Du hast damit recht, dass Psychotherapien die gesellschaftlichen Aspekte der psychischen Gesundheit ignorieren. Depressionen treten heute um ein Vielfaches häufiger auf als noch vor 100 Jahren. Woran liegt das? Sicherlich spielt unser moderner Kapitalismus eine Rolle, wo Menschen auf Arbeitsleistung und Konsum reduziert werden. Arme Menschen, Menschen mit Behinderungen/Krankheiten und marginalisierte Gruppen (z.B. LGBTQ+) haben ein vielfach höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken [Quelle]; gleiches gilt für Menschen mit besonders stressvollen Berufen, z.B. Rechtsanwalt [Quelle], Theaterschauspieler [Quelle] und Lehrer [Quelle].
Wenn du jedoch nach Ursachen nach Depressionen googelst, findest du vor allem medizinische Abhandlungen über ein Hormonungleichgewicht – die aber nicht erklären, wie dieses Ungleichgewicht zustande kommt.
Die moderne Medizin ist sehr auf unseren Körper fokussiert, aber der wird stark durch soziale Aspekte beeinflusst. Wer zum Beispiel 40 Stunden die Woche arbeitet und sich dazu noch um 2 kleine Kinder kümmert, hat kaum Zeit, um gesund zu kochen und aktiv Sport zu treiben. Menschen in Schichtarbeit bekommen oft nicht genug Schlaf. Menschen, die wegen ihrer Arbeit ständig reisen müssen, leiden öfter unter Stress. Menschen, die viel Gewalt erfahren haben (auch Sexismus und Diskriminierung), entwickeln öfter eine Traumastörung. Das alles sind Risikofaktoren für Depressionen.
Studien haben gezeigt, dass Bildung präventiv gegen Depressionen helfen kann, aber eher wenig effektiv ist [Quelle]. Um effektiv gegen Depressionen und andere psychische Krankheiten vorzugehen, sind meines Erachtens größere strukturelle Veränderungen notwendig. Dass Psychotherapie bloß "Ablenkung" ist, würde ich allerdings nicht sagen. Psychotherapie wird auch nicht vom Staat vorgegeben. Es ist aber definitiv ein Umdenken in der medizinischen Community – und insgesamt in unserer Gesellschaft – notwendig.