Blickwechsel 26. Juni 2024
Blickwechsel - Deine Fragen an eine Bürgergeldempfängerin
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Ich verstehe dich nicht?

4 Antworten

Hi,

danke für deine Frage!

Diese Frage hier möchte ich, obwohl sie vergleichsweise spät eingegangen ist, zuerst beantworten, da ich bei der Thematik nicht ganz unbefangen bin und mir die Quintessenz meiner Antwort wichtig ist.

Ich habe geahnt, dass mindestens eine solche Frage kommen wird. Ich habe großen Respekt vor dem, was du leistest. Gleichzeitig macht mich die Frage auch – es sei mir verziehen, ich versuche, so sachlich wie möglich auf dein Anliegen einzugehen – etwas wütend. Denn du unterstellst mir mit deiner Frage zwei Sachen:

a) Ich hätte noch nie gearbeitet.

b) Ich würde mich bloß nicht genug um Arbeit bemühen, schließlich schuftest du mit einer schweren körperlichen Einschränkung auch.

Auf diese beiden Vorwürfe möchte ich das von dir gewünschte Statement abgeben.

Zu Punkt a: Dies entspricht nicht der Tatsache. Ich weiß nicht, ob du den Einleitungstext gelesen hast. Dort schreibe ich, dass ich seit dem Alter von 15 Jahren immer einem (Neben-)Job nachgegangen bin. Zunächst war es Nachhilfe, dann parallel zum (sehr sehr zeitaufwendigen) Studium Aushilfe im Sekretariat, Tutorin an der Uni und Vertretungslehrkraft an einer Schule (letztere sogar zeitweise parallel). Ich habe also seit dem Alter von 15 Jahren immer 15-20 Stunden nebenher gearbeitet. Die Aussage kann ich also entschieden zurückweisen. Die Problematik bestand darin, dass ich im Studium als sogenannte Werkstudentin galt und somit – trotz Jobs – von der Sozialversicherungspflicht befreit war.

Zu Punkt b: Diesen Punkt finde ich besonders schwierig, da du hier Krankheiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, gegeneinander aufwiegst und psychische Erkrankungen damit gleichzeitig (vermutlich eher unbewusst) abwertest. Wie gesagt ziehe ich meinen Hut vor deiner Leistung. Ich habe tatsächlich das erste dreiviertel Jahr meiner Krankheit noch gearbeitet und mein Studium beendet. Irgendwann aber war ich zu eingeschränkt. Ich weiß nicht, wie viel du dich zu psychischen Krankheiten belesen hast, aber erstens können diese auch körperliche Symptome verursachen und zweitens können sie sogar (je nach Schwere der Krankheit) zur vollständigen Erwerbsminderung, zur Anerkennung einer Behinderung, zum Anspruch auf einen Pflegegrad und sogar in sehr schweren Fällen zum Tod führen. Psychische Leiden sind also keine Bagatelle, die man einfach mit „ein bisschen zusammenreißen“ oder reiner Anstrengung überwunden bekommt. Natürlich braucht es Willenskraft, um an der Problematik zu arbeiten (und das tue ich!), aber psychische Krankheiten können einen genauso einschränken wie körperliche Krankheiten. Bei mir war die Erkrankung zeitweise so schlimm, dass ich mich selbst und alles um mich herum vernachlässigt habe und nur zwischen Bett, Schreibtisch und Toilette existierte.

Hier prallen also nicht zwei Welten aufeinander. Sondern hier zeigt sich lediglich, dass du dich mit psychischen Krankheiten vermutlich noch nicht allzu sehr beschäftigt hast und von dir auf andere schließt (nach dem Motto: Wenn ich kann, müssen andere auch können). Ich habe deshalb vor allem eine Bitte an dich, wenn ich dir diese mitgeben darf: Bitte nimm trotz deiner Situation die Lebensrealitäten anderer Menschen ernst, auch wenn sie augenscheinlich fit genug zum Arbeiten wirken oder vermeintlich weniger Einschränkungen haben als du. Dass du trotz eines implantierten Defibrillators und einem GdB von 50% noch einer körperlich so anstrengenden Tätigkeit nachgehen kannst, ist nicht nur deiner Willenskraft geschuldet; es ist vor allem auch ein ziemlich großes Privileg. Es gibt auch Leute mit einem GdB von 90%, die arbeiten gehen. Jeder Mensch hat individuelle (Belastungs-)Grenzen, Krankheiten schränken unterschiedlich stark ein und während du in deiner Situation noch schwer arbeiten kannst, kann die nächste Person mit derselben Behinderung bettlägerig und aufgrund dessen psychisch schwer krank sein. Das ist kein Wettbewerb, wem es hier am schlechtesten geht. Deshalb wäre es schön, wenn du trotz deiner Situation die Lebensrealitäten anderer Leute ernst nimmst und nicht indirekt – ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt – dadurch abwertest, dass du ihnen dein Leben auf diese Weise vor Augen führst.

Ich hoffe, du nimmst mir den Ton meiner Antwort nicht zu übel. Dieser Aspekt ist für mich emotional vorbelastet, da ich schon mein Leben lang immer über meine Grenzen gegangen bin, um Anerkennung zu bekommen und als vollwertiger Mensch angesehen zu werden. Nun vorgehalten zu kriegen, dass Leute mit vermeintlich schlimmeren Einschränkungen mehr leisten, weil ich gerade nicht funktioniere, wie es die Gesellschaft von mir verlangt, erachte ich als ziemlich respektlos.

Dennoch wünsche ich dir weiterhin alles Gute. Pass auf dich auf und achte auf deine Grenzen. Denn das tun wir alle in dieser leistungsorientierten Gesellschaft viel zu selten.

LG

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – aktuell auf Bürgergeld angewiesen

Du vergleichst hier Äpfel mit Birnen, mehr nicht.

Du hast einen GdB von 50? Den hatte ich schon als Kind mit einem gut eingestellten Typ 1 Diabetes, so schlecht kann es dir da also nicht gehen.

Ich kenne Leute mit Defibrillatoren. Die sind dadurch nur sehr geringfügig eingeschränkt und das meiste davon beschränkt sich auch darauf, dass das Gerät nicht beschädigt wird. Im Gegenteil: der Defibrillator sorgt gerade dafür dass sie wieder belastbar sind.

Würdest du auch ohne Defibrillator und ohne jede Art von Rücksicht deinen Beruf mit der gleichen Leistung nachgehen ohne dich zu beschweren? Dazu Hausarbeit, Einkauf, Hobbies, etc? Denn genau das verlangst du hier gerade von psychisch erkrankten.

Es ist die eine Sache es nicht nachvollziehen zu können. Es ist die andere Sache es Leuten abzusprechen.

Du musst es nicht nachvollziehen können wie es sich anfühlt wenn es die volle Kraft abverlangt sich einfach nur zu waschen oder überhaupt aufzustehen. Es ist aber nicht zu viel verlangt, dass du deinen Kopf einschaltest: Psychische Erkrankungen können eben so weit gehen, dass man es nicht schafft das Haus zu verlassen, sich zu waschen oder aufzustehen. Es gibt Leute, die sich das Leben nehmen weil sie keine Kraft, keine Hoffnung und keine Perspektive haben. Woher soll ein Mensch an diesem Punkt plötzlich die Kraft nehmen jeden Tag auf Arbeit zu gehen und die erwartete Leistung zu bringen?

Psychische Erkrankungen kannst du nicht einfach weg operieren. Du hast Probleme mit dem Herz, also gehst du zum Arzt und bekommst Medikamente, den Defibrillator, etc um ein halbwegs normales Leben zu führen.

Warum ist es also schlecht wenn ein psychisch kranker die Reißleine zieht und die nötigen Schritte unternimmt um aus der vorher beschriebenen Situation zu kommen oder es gar nicht erst soweit kommen zu lassen?

Psychische Erkrankungen sind nicht "jeder ist mal ein bisschen traurig" oder "ich bin auch mal nervös, stell dich nicht so an". Natürlich ist jeder mal Nervös, aber nicht jeder ist extrem angespannt wenn er nur aus dem Haus geht. Jeder grübelt mal nachts und verliert dadurch Schlaf. Aber nicht jeder hat ständig schlaflose Nächte weil er sich über die kleinsten Details den Kopf zerbricht.

Schämst du dich jedes Mal, wenn in der Öffentlichkeit jemand lacht oder tuschelt, weil es ja um dich gehen könnte, auch wenn du weißt dass es nicht so ist? Fängst du an zu zittern wenn dich dein bester Freund plötzlich anruft? Überdenkst du durchgängig wie du läufst, sitzt, stehst, atmest, schaust, etc? Machst du dir vor jedem Gespräch eine Liste im Kopf, was genau du sagen musst? Wirst du extrem nervös wenn das Gespräch auch nur leicht von dieser Liste abweicht? Hast du Angst, dass Kassierer auf deinen Einkauf schaut und dich verurteilst?


DieChemikerin  26.06.2024, 16:12

Ich danke dir wirklich sehr für deine unterstützende Antwort.

12
2muchaccs 
Beitragsersteller
 26.06.2024, 17:13
@DieChemikerin

Und du solltest dich Mal mit meiner Situation befassen. DU hast nämlich keine Ahnung.

Die nächte sind das, was mich am meisten fertig macht Bei mir ist schon das Socken anziehen in der früh anstrengend. Spätestens da schwitz ich. Manchmal komm ich schon verschwitzt aus der Dusche raus. Aufgrund dessen bilde ich mir immer ein, zu stinken. Infolgedessen halte ich mich ungern in geschlossenen Räumen mit Personen auf, fahr kein Auto mit Personen, Sozialkontakte auf das minum runtergefahren. Berührungen sind nogoEigentlich habe ich ne. Sozialphilosophie. Und ich lege mich jeden Tag ins Bett, und hoffe, dass ich nicht mehr aufwache. Also wohl auch Depressionen.

Auto fahr ich auch nicht mehr, da ich wenn ich mich überanstrenge, wahrehmungsstörungen und Konzentrationsprobleme hab

Du siehst, auch ich habe psychische Probleme.

Ich lass mich nur nicht gehen

1
DieChemikerin  26.06.2024, 17:17
@2muchaccs

"Ich lasse mich nur nicht gehen"? Entschuldige bitte, aber was ist das für eine respektlose Aussage? Ich bin erschüttert, wie wenig Einsicht du mir gegenüber zeigst, obwohl ich deiner provokanten Frage sachlich und respektvoll begegnet bin (wie die anderen auch). Du willst es nicht verstehen, oder? Sondern hier lieber deinen Frust herausposaunen und andere degradieren. Schade, dass ein Mann am Ende seiner 40er so stur seinen Standpunkt vertritt und absolut keine Anstrengung zeigt, seinen Horizont auch nur ein Stück zu erweitern.

8
2muchaccs 
Beitragsersteller
 26.06.2024, 17:21
@DieChemikerin

Da ist nix Respektlos dran

Ich übergebe mich fast jeden Morgen.

Und ich überlege mir auch jeden Morgen, mich krankschreiben zu lassen, anruf genügt.

Aber ich reiße mich zusammen.

Wenn ich wollte, könnte ich sofort in Rente gehen.

Aber nein, ich will noch einen Teil zur Gesellschaft beitragen

0
DieChemikerin  26.06.2024, 17:28
@2muchaccs

Das ist aber deine eigene Entscheidung, weil du dem Gedanken aufersessen bist, dass man nur mit Leistung und über Grenzen gehen was wert ist.

Aber anderen zu unterstellen, sie würden sich nicht genug zusammenreißen, ist eine Frechheit.

7
2muchaccs 
Beitragsersteller
 26.06.2024, 17:34
@DieChemikerin

Von anderen zu erwarten, trit ihrer psychischen und physischen Probleme arbeiten zu gehen und deinen Wohlstand zu sichern, ist eine Frechheit.

Wenn alle denken würden wie du, gäbe es in Deutschland 80millionen Bürgergeldempfänger

1
DieChemikerin  26.06.2024, 17:45
@2muchaccs

Was ein Unfug. Ich erwarte das von niemandem. Du allein entscheidest dich jeden Tag dafür, arbeiten zu gehen. Niemand sonst.

An dieser Stelle beende ich die Diskussion, anstatt weiter meine Energie in Menschen zu investieren, die einen Blickwechsel nur dazu nutzen, um ihrem angestauten Frust Luft zu machen.

7

Ich sehe das so ähnlich wie "Die Chemikerin". Man kann körperliche und psychische Erkrankungen nicht gegeneinander aufwiegen.

Ich z.B. bin seit frühester Kindheit psychisch stark eingeschränkt. Schon die Kindergärtnerinnen sprachen meine Eltern regelmäßig auf meine psychischen Auffälligkeiten an. Ich kam dann mit 5 Jahren in eine spezielle Fördermaßnahme für Kinder mit drohender Behinderung. Im Laufe meiner Kindheit und Jugend war ich immer wieder in therapeutischer und psychiatrischer Behandlung - teilweise auch in Kliniken.

Ich habe eine stark ausgeprägte soziale Angststörung. Teilweise konnte ich nicht mal die Wohnung verlassen. Mittlerweile schaff ich es wieder raus, aber nur unter ständiger Angst und Panik.

Ich bin jetzt Ende 20 und lebe isoliert. Ich hatte noch nie Freunde - obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche. Ich hatte noch nie eine Beziehung - obwohl ich es mir so sehr wünsche. Ich war noch nie berufstätig - obwohl ich es mir so sehr wünsche.

Ich habe auch schon kleine Fortschritte gemacht: Z.B. traute ich mich letztes Jahr zum ersten Mal in ein Museum. Das hatte ich mir jahrelang gewünscht, aber aufgrund meiner Angst nie getraut. Ich traute mich vor 2 Jahren zum ersten Mal in ein Schwimmbad. Auch darauf habe ich jahrelang hingearbeitet. Als ich es dann endlich geschafft hatte, war das ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit und Glück.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn die Frage ernstgemeint ist und du nicht nur polarisieren, sondern es wirklich verstehen willst, solltest du dich etwas in das Thema psychische Erkrankungen einlesen.


2muchaccs 
Beitragsersteller
 26.06.2024, 17:13

Und du solltest dich Mal mit meiner Situation befassen. DU hast nämlich keine Ahnung.

Die nächte sind das, was mich am meisten fertig macht Bei mir ist schon das Socken anziehen in der früh anstrengend. Spätestens da schwitz ich. Manchmal komm ich schon verschwitzt aus der Dusche raus. Aufgrund dessen bilde ich mir immer ein, zu stinken. Infolgedessen halte ich mich ungern in geschlossenen Räumen mit Personen auf, fahr kein Auto mit Personen, Sozialkontakte auf das minum runtergefahren. Berührungen sind nogoEigentlich habe ich ne. Sozialphilosophie. Und ich lege mich jeden Tag ins Bett, und hoffe, dass ich nicht mehr aufwache. Also wohl auch Depressionen.

Auto fahr ich auch nicht mehr, da ich wenn ich mich überanstrenge, wahrehmungsstörungen und Konzentrationsprobleme hab

Du siehst, auch ich habe psychische Probleme.

Ich lass mich nur nicht gehen

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WasserMineral  26.06.2024, 18:25
@2muchaccs

Ich maße mir nicht an deine Situation zu beurteilen. Das kann man als Ausstehender auch gar nicht. Leider tust du genau das bei anderen.

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WasserMineral  26.06.2024, 18:28
@2muchaccs

Und zu dem Thema, dass ich keine Ahnung habe. Natürlich habe ich keine Ahnung. Wie denn auch? Ich gehe ja schließlich nicht in deinen Schuhen (sinnbildlich gesprochen). Du gehst aber genauso wenig in den Schuhen von mir oder anderen Erwerbsunfähigen und hast deshalb von meiner/unserer Situation genauso wenig Ahnung wie ich von deiner. Ich finde es ehrlich schade, dass du das nicht erkennen kannst oder willst.

9

Hallo 2muchaccs,

Hab ne Herzleistung von 30%, nen defilibrator implantiert, gdb50.

Ein Kollege von mir hatte eine Beipass OP und war noch nicht mal genesen, als das Jobcenter ihn schon traktierte sich zu bewerben. Man ließ ihm nicht mal die Zeit zum genesen.

Ich arbeite Vollzeit auf Baustelle, tw sogar 1000m unter Tage im Bergwerk

Was aber nichts über deinen Job aussagt.

Hier prallen zwei Welten aufeinander.

Das stimmt, denn du hast Glück gehabt. Ich habe in der Zeit wo ich arbeitslos war vieles erlebt und nichts entspricht deiner Welt.

  • Eine alleinerziehende Mutter der das Jobcenter nicht mal volles Geld zahlte steckte man in eine Maßnahme, während sie einen 400€ Job hatte um genug Geld zu haben. Das Amt hatte kein Problem damit den Job zu riskieren den sie hatte.
  • Eine Frau ü50 wollte nichts anderes als einen Job, doch das Jobcenter versuchte in der Maßnahme wo ich war es das 6. mal sie in Rente zu schicken. Die Soziale Einrichtung und andere AG welche dringend Personal suchten und sei es ungelernt, haben sie nicht genommen.
  • Eine Schulkameradin hatte sich in ihrem Beruf beworben weil alle Personal suchten, Ergebnis waren nur Absagen. Begründung: "Vielen dank das sie die geforderte Qualifikation haben, aber ich suche Quereinsteiger, ihnen muss ich Tariflohn zahlen."
  • ....

Die Liste kann man endlos weiterführen. Am ende kommt es immer wieder zu dem selben. Bist zu teuer, bist nicht unterwürfig genug. Gründe weshalb man abgelehnt wird sind teils so banal und absurd das man beim Gedanke schon Kopfweh bekommt. Zudem wenn man bedenkt wie unmenschlich man vom Jobcenter behandelt wird, werden viele ihr möglichstes versuchen dort weg zu kommen. Ein Teil der Leute wird vom Jobcenter so fertig gemacht das sie Arbeitsunfähig werden, wie ein Kumpel von mir, der zum Alkoholiker wurde.

Und es wäre lieb, wenn du da ein Statement abgeben könntest

Will ehrlich sein. Was du schreibst in der Art wie, hat was von Prahlhans.

MfG PlueschTiger