"Dann geh' doch rüber!": Wer würde heute lieber in der DDR leben?
"Dann geh' doch rüber!" - diesen Satz hörten linke Bundesbürger im Westen seit Ende der sechziger Jahre oft von ihren konservativen Zeitgenossen. Es war das Totschlagargument gegenüber jenen, die das marktwirtschaftliche System und die Westbindung kritisierten. Die gegen Aufrüstung und soziale Ungerechtigkeit protestierten.
Allerdings setzte diesen Vorschlag kaum jemand in die Tat um. So schlecht war das Leben in der "Bonner Republik" dann eben doch nicht.
Dann kam das Jahr 1989, die Grenzen sind offen. Millionen Bürger der DDR strömen in den Westen, holen sich ihre 100 D-Mark Begrüßungsgeld ab und genießen die bunte Warenwelt der BRD. Ab jetzt kann es nur noch aufwärts gehen.
Doch nicht nur die ehemalige DDR veränderte sich. 15 Jahre später entsprach Deutschland nicht mehr der alten BRD. "Wohlstand für Alle" und viele Sicherheiten brachen für Millionen Deutsche durch die neoliberale Agenda 2010 weg.
2024 haben sich diese Entwicklungen nochmals verschärft. Armut ist ein Thema in Deutschland, Wohnungsnot, hohe Mieten und Inflation im Supermarkt. Es gibt mehr Arbeitslose als offene Stellen, trotz Fachkräftemangel. Urlaubsreisen oder ein Auto können sich viele Bundesbürger nicht mehr leisten, die das vor 20 Jahren noch konnten. Auch sind viele Menschen in Ost und West mit den gesellschaftlichen Entwicklungen unzufrieden. Masseneinwanderung verändert das Straßenbild und das Sicherheitsgefühl vieler Bürger hat abgenommen. Zudem haben viele Menschen das Gefühl aufpassen zu müssen, wenn sie ihre Meinung äußern.
Kurz: Was nützt die Freiheit in die USA reisen zu können, wenn man sich das eh niemals leisten kann? Was nützt das überbordende Warenangebot, wenn das Geld nur für das Nötigste reicht? Was nützen demokratische Wahlen, wenn doch immer nur Parteien regieren, die die Reichen reicher machen und das Leben der unteren Mittelklasse erschweren und verteuern?
Wäre ein Staat wie die DDR heutzutage nicht für viele Menschen, auch Wessis, eine attraktive Alternative?
Ein sicherer Arbeitsplatz an dem man sich weder überarbeitet, noch ihn jemals verlieren kann? Ein Recht auf Wohnung, die zwar nicht schön und eventuell sogar marode ist, dafür aber auch kaum Miete kostet. Mehr Geld im Monat verdienen als man ausgeben kann. Nie pleite sein, dafür manche Waren nicht immer kaufen können. Also alles auf etwas niedrigerem Niveau, dafür entspannt und sicher. Existenzängste sind unbekannt. Der Staat kümmert sich um den Bürger von der Wiege bis zur Bahre. Dafür bezahlt man mit Einparteienherrschaft, die natürlich sozialistisch ist, und eingeschränkter Reisefreiheit. Die Mauer sperrt ein aber schützt ebenso vor Überfremdung.
Meine Frage an Euch:
Wer wäre also bereit sein heutiges Leben gegen das Leben in einer neuen DDR einzutauschen?
79 Stimmen
13 Antworten
Du siehst das aus einer rosaroten Brille:
Ich habe die DDR live erlebt. Fast 30 Jahre. Ein Auto konnten sich im Osten die wenigsten leisten.. neben der Wartezeit von 14 Jahren auf ein "Neuwagen".
Dein Argument: schützt vor " Überfremdung" .. ist sehr fragwürdig.
Der große Ausländer-Hass im Osten kommt von den wenigen Berührungspunkten .. Pegida und Co hatten dort die großen Erfolge wo es kaum Ausländer gibt.
Das meiner Meinung nach schlimmste am Osten aber war nicht die fehlenden Reisefreiheit: es war die fehlende Meinungsfreiheit.
Es gab da mal nen Spruch: gesucht wird der beste politische Witz. Erster Preis: 3 Jahre.
Heute kann man sagen, was man will . Natürlich nur solange man nicht zu Gewalt und Extremismus aufruft und unsere Gesetze auf Basis der freiheitlich- demokratischen Grundordnung achtet und diese nicht stürzen will. Das sich eine Demokratie verteidigen muss: logisch. Freiheit kommt nicht von allein.
Du siehst das aus einer rosaroten Brille:
Ich habe den Text bewusst so geschrieben...
Ich habe Studienreisen in die sogenannte "DDR" unternommen und die von der Stasi vorgekaute "DDR" kennenlernen dürfen. Geschäfte, die besucht wurden, waren natürlich gut gefüllt mit Waren aller Art. Mangel gab es doch nicht in der "DDR", das gab es, O-Ton Reiseleiter (Stasi) nur in der BRD. In der "DDR" gab es natürlich auch eine Meinungsfreiheit: man/frau durfte frei seine Meinung über die Vorzüge des "real existierenden Sozialismus" sagen.
Fazit: zu viel Friede-und Freudestaat. Kann ja nur gelogen sein.
Hab ich nicht bestritten, es ist aber eigenartig, dass man als Fremder diese Leute sofort erkannt hat, wir "Eingeborenen" aber nicht.
Auch das kann sein, weil ja alle Stasi waren.
Kann ich nicht beurteilen. Ich war erst nach der Wende mal 2 Wochen in der DDR. Da gab es zwar noch Ostmark und VoPo, aber schon keine Stasi mehr.
Da gab es zwar noch Ostmark und VoPo, aber schon keine Stasi mehr.
Wer sich nicht auf einen Marktplatz gestellt und "Honecker ist doof" oder ähnliches gerufen hat, hat auch vor der Wende nichts von Stasi gehört und gesehen.
Vielleicht nicht ganz, ich hatte zwei Mitarbeiter, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Die Kaderabteilung (Personalabteilung) hat mich alle 3 Monate aufgefordert Beurteilungen zu schreiben. Das haben die mit Sicherheit im Auftrage der Organe des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) gemacht.
Übrigens: Beurteilungen mussten immer der beurteilten Person vorgelegt und von dieser als "gesehen" unterschieben werden.
Möglich, dass auch einer meiner Kollegen informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. In 20 Jahren habe ich das nicht erkannt. Wenn also jemand erklärt:
"Ich habe Studienreisen in die sogenannte "DDR" unternommen und die von der Stasi vorgekaute "DDR" kennenlernen dürfen." , dann kann er durchaus mit Sicherheitsleuten Bekanntschaft gemacht haben.
Wer in die DDR kommt und sie als sogenannte "DDR" bezeichnet, der ist schon als Feind gekommen.
Ja, diese Antwort fand ich auch seltsam. Klingt eher nach Nordkorea. Hier auf gf sind viele Ultra-Kapitalisten unterwegs.
Ich weiß, dass man sich als Wessi auch vor der Wende frei in der DDR bewegen konnte.
Die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit waren Geheimdienstmitarbeiter. Wenn du bei Studienreisen solche Personen erkannt hast, dann hast du mehr erreicht als viele DDR-Bürger. Von 2 Bekannten munkelte man, dass sie bei der Stasi waren.
Ich weiß. Die Stasi entspricht entfernt einer Mischung aus unserem Verfassungsschutz und dem Staatsschutz - und war doch etwas komplett Anderes und viel größer.
Das ist mir schon klar, auch wenn ich nicht unter ihr gelitten habe.
Wer wäre also bereit sein heutiges Leben gegen das Leben in einer neuen DDR einzutauschen?
Auch wenn sicher nicht alles schlecht war und eine liberalisierte Form der DDR so wie im Jahr 1990 durchaus ihren Reiz hätte - hätte ich die Wahl zwischen einem Staat, in dem es zwar theoretisch eine gewisse Gleichheit durch Kommunismus gibt, dafür aber auch Unterdrückung, Folter, Überwachung (Stasi) von politischer Seite und andere menschliche Unzulänglichkeiten (wenn man anderer Meinung ist, hat es sich mit der Gleichheit erübrigt & sind manche gleicher als gleich) sowie zwischen einem Staat, in dem zwar nicht alles optimal läuft, in dem man aber nicht überwacht wird, nicht eingesperrt wird und weder Folter noch Unterdrückung zu erwarten hat, würde ich für das Zweite votieren ... und hier bleiben. Ich wäre als einer, der eigene Gedanken hat (wenn auch nicht mehr umsetzt, Politik ist nicht mehr meins) wohl auch ein klassischer Typ, für den sich eine Art DDR-Stasi interessieren könnte.
https://www.youtube.com/watch?v=cs4CWeElpzk
https://www.youtube.com/watch?v=5A0uch3i-lU
Ich habe mich viel mit dem Thema DDR und COMECON/RGW beschäftigt, das war nicht alles schlecht und die Wende lief nicht optimal ab; letztlich ist alles, was SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine 1990 voraussagte und was ihn den Wahlsieg kostete, schon 1993/94 spätestens eingetreten.
https://www.youtube.com/watch?v=id5qlPYRj1Y
https://www.youtube.com/watch?v=dCZEymaRKAo
Andererseits möchte ich das, was ich hier an Freiheiten auch denkerischer und politischer Art habe, nicht eintauschen gegen ein Leben, in dem ich überwacht und geformt werde und mich so zu verhalten habe, wie es Parteigenossen und andere Apparatschiks von mir erwarten und wo ich verloren habe und ggf. mit dem Leben oder meiner Würde bezahle, wenn ich andere Meinung bin als die erwähnten Obrigkeiten.
Besser ein armer Vogel in der Freiheit als ein eingesperrter, der es im warmen Zimmer gut hat und versorgt wird, den aber diese Versorgung jegliche Eigenständigkeit kostet.
Andererseits würde ich sofort in ein (West-)Deutschland bzw. Nachwende-Deutschland etwa der Jahre 1990-2000 zurückreisen und dieses der Gegenwart bevorzugen - nicht aus Nostalgie oder Schönrednerei oder aus Prinzip, sondern weil es mir damals ganz gut gefiel und ich zufrieden war. Bin ich heute immer noch, aber damals waren tatsächlich manche Dinge besser, auch die Musik und die Stimmung in der Gesellschaft. Hatte es heute erst mit einem Zeitzeugen drüber, mit dem ich in den 90ern viel Zeit verbracht habe.
Das kann ich unterschreiben.
In den 90ern hätten bei dieser Umfrage auch wohl kaum bisher 20% mit "Ich gehe rüber" abgestimmt. Das waren hier in der Spitze bisher sogar 29%.
Die Stimmung wurde seit Mitte der 2000er einfach immer mieser. Daher auch diese Frage.
Was heißt mieser (ich weiß, was du meinst) ... ich sage es mal so: in meiner ganz persönlichen, subjektiven Erinnerung hat sich ziemlich genau ab Mitte 2001 (klar subjektiv, aber ich beanspruche für mich die Gabe, auch so was eher objektiv zu sehen bzw. weit objektiver, als es andere wahrhaben wollen) die Gesellschaft im Allgemeinen etwas verändert, was aber mit 9/11 nix zu tun hatte. Deutschland war vorher arg konservativ - und auf einmal musste vieles "cool und schnoddrig" sein, wurde alles so schnelllebig und der Euro kam und das Internet ... ich habe erstmals 2001/02 mitbekommen, dass ich von anderen als provinzieller Loser wahrgenommen wurde, weil ich bestimmte Modemarken nicht kannte, nicht wie andere in meinem Alter immer supercool sein musste, als Typ relativ ruhig gewesen bin und bodenständig war. Ich merkte das vor allem in der Schule, aber auch allgemein in meinem Umfeld - es war im August 2001 nichts mehr so wie im August 2000 oder im August 1999 oder im August 1998. Der Tonfall war rauer, schnippischer, einzig die "alten Leute" blieben sich treu. Man redete von nun an oft so "amimäßig und cool", alles Neue wurde gefeiert und wer nicht cool war, der war dumm. So kam es mir vor, so war es auch - ich bin mir sicher, dass viele aus meinem damaligen Umfeld es heute auch so sehen, aber nicht in der Lage sind, es auszuformulieren oder vernünftig darzustellen.
Was mir viel gibt ist, auch wenn es doof klingt, mein 90er-Jahre-Siebener-BMW. Der stammt irgendwie aus einer anderen Zeit und ist ein klotziger, riesiger Möbelwagen, aber er gibt mit Sicherheit, weil er schon damals existiert hat. Ich bin kein Ewiggestriger, aber ich konnte mit meiner weit neueren Mercedes E-Klasse nix anfangen, die war mir total fremd; mit diesem BMW konnte ich mich dafür auf Anhieb anfreunden, weil wir aus der selben Zeit stammen.
Ich war halt provinziell und lebte in einem Milieu, in dem 2001 viele zwanghaft versuchten, auf einmal hip und cool zu wirken, obwohl sie es nicht waren ... das war oft grotesk und sehr anstrengend, letztlich auch peinlich für diese Personen.
ein paar grundsatzideen als inspiration zu nehmen, kann eine gute idee sein.
aber die ddr selbst würde ich nicht wollen. schon zum beispiel deshalb, dass ich mich nicht kritisch äußern dürfte, ohne meine zukunft zu gefährden. oder wenn man als frau nicht regelkonform gelebt hat (z.b. häufiger wechselnde sexualpartner) kam man in sog. „tripperburgen“. nein danke.
Spielst Du auf den Asozialen-Paragraphen an? Was waren Tripperburgen?
genau, da wurden frauen eingewiesen, die unliebsam waren. zdfinfo hat auf instagram da einen kleinen beitrag dazu gepostet.
Aber was war das? Gefängnis, Krankenhaus, Wohnheim?
Es fällt mir schwer, mit wenigen Worten zu umreißen, was dieses "DDR"-System für mich bedeutete. Ich habe diesen Staat und diese Gesellschaft vermutlich etwas anders erlebt als die meisten "DDR"-Bürger, die bis heute nichts wissen von radioelektronischer Überwachung & Folter, von der Bonzen-Willkür, von der unglaublichen Machtkonzentration in den Händen weniger Figuren, die sich über jeden Zweifel erhaben wähnten, während sie sich in Wahrheit durch Inkompetenz auszeichneten ... Als Biermann in den Westen gekommen war, hatte er etwas bemerkt, was es war, sei dahingestellt, aber es war wohl zumindest als ungeheuerlich zu bezeichnen, denn er sagte VOM REGEN IN DIE JAUCHE sei er gekommen und musste sich dafür sofort im öffentlich rechtlichen Fernsehen entschuldigen, weil sich zuvor eine Zahnärztin in einer Fernsehsendung darüber geradezu hysterisch empört äußerte. Biermann hatte schnell begriffen, wie der Westen funktioniert ... Es gibt kein Zurück in die "DDR" aber es wird auch kein Weiter-so geben, wenn wir nicht in einer offenen Diktatur aufwachen wollen.
In meiner fiktiven DDR entscheiden sich die Leute ja freiwillig für ein solches Leben und sind somit alle überzeugte Sozialisten und keine subversiven Elemente. Da könnte man dann vielleicht auf eine Staai verzichten. VoPo reicht in meiner neuen DDR hier.
Aber natürlich gäbe es einen Auslands- und Inlandsgeheimdienst. Das muss sein. 😉