Gemüse in Kühlschrank mit Fingerabdrucksensor und Süßigkeiten im Tresor - Ist das, das mein Vater macht richtig?
Ich bin jetzt 17 Jahre alt und habe vor sechs Jahren Anorexie diagnostiziert bekommen, letztes Jahr hat sie sich allerdings in Bulimie entwickelt. Beides macht mir nach wie vor Probleme. Die Bulimie äußerte sich durch zwanghafte Essattacken, die unmittelbar danach durch selbst herbeigeführtes Erbrechen kompensiert werden. Bei diesen Anfällen konsumierte ich Lebensmittel, die ich sonst nicht essen würde. Sowohl beim Essen als auch beim Erbrechen kommt es zu Dopaminausschüttungen in meinem Gehirn, die gesamte Bulimie fühlt sich dadurch an wie eine warme, beruhigende Umarmung und hat somit ein sehr hohes Suchtpotential. Seit ich eine Herzrhythmusstörung habe, habe ich für mich die Entscheidung getroffen, an mir selber zu arbeiten und seither von einem Tag auf den anderen nach einem Jahr alles erbrechen, das ich esse und ansonsten weder essen noch trinken, mit dem Erbrechen aufgehört.
Außerdem wollte ich mein Geld nicht mehr weiter für diese Sucht verschwenden, denn mein Vater finanziert meine Essattacken natürlich nicht, sondern hat letztes Jahr direkt nach der neuen Diagnose im Gegenteil alles Kalorienreiches in einen Tresor gesperrt, der mit einem Schloss gesichert ist. Gemeinsam mit den Süßigkeiten meines 13-jährigrn Bruders, bei dem Zucker "Autismus Kicks" auslösen würde (er ist untergewichtig und seine "Kicks" äußern sich so, dass es mit meinem zweiten Bruder in der Wohnung Fangen spielt).
Geschafft habe ich es, mit dem Erbrechen aufzuhören, indem ich auf Lebensmittel zurückgegriffen habe, die mir eine gewisse Sicherheit geben und von denen mir nicht schlecht wird. Das ist insbesondere Gemüse, Obst und leichte Joghurts ohne Laktose (vertrage ich nicht), dies aber in adäquaten Portionen, um an Gewicht zuzunehmen (ich habe jetzt kein akut lebensgefährliches Untergewicht mehr und meine Psychiaterin, die das Gewicht monitorisiert, ist zufrieden). Ich habe es auch geschafft, an zwei besonderen Anlässen etwas Torte zu essen, ohne mich hinterher zu übergeben und ich arbeite daran, die Palette an Lebensmitteln, die ich ohne Reue konsumieren kann, zu erweitern.
So. Gester in der Früh wache ich auf, gehe in die Küche und sehe einen Kühlschrank mit Fingerabdrucksensor neben dem anderen Kühlschrank stehen. Ich mache den anderen Kühlschrank auf und sehe, dass der buchstäblich leer ist.
Dann schaue ich auf mein Handy und erinnere mich daran, dass mir mein Vater vor einigen Tagen folgende Nachricht zukommen hat lassen (er spricht mit mir nicht über das Thema Essen, weil ihm davon seitens meiner Psychiaterin, alten und neuen Therapeutin abgeraten worden ist, sondern schreibt stattdessen Nachrichten):
Ich hab gedacht, ich bin im falschen Film und das denke ich ehrlich gesagt noch immer. Hab dann gestern einfach selber von meinem Geld bisschen Gemüse eingekauft und im nicht -verschließbaren Kühlschrank verstaut, das ist dann aber im Laufe des Tages wohl in den anderen Kühlschrank verschwunden. Stattdessen stehen im Kühlschrank jetzt ausschließlich Joghurts und Puddings mit Laktose und Zucker (ich wiederhole, ich bin von Laktoseintoleranz betroffen und diese Diagnose kennt er eigentlich), irgendein Fleisch (ich ernähre mich seit einer Dekade vegatarisch) und ein Energy Drink. Eier und Käse sind auch weg. Und Gebäck und Süßkram wird in dieser Familie im Tresor gelagert. Ich war echt hungrig und habe deshalb das Energy Drink in meinen Rucksack gepackt und bin dann zu meinem C++ Kurs gegangen. Dann sehe ich ein paar Stunden später, dass ich eine neue Nachricht von meinem Vater bekommen habe:
Jetzt fühle ich mich einfach nur dreckig, denn ich weiß nicht mehr, was ich in dieser Wohnung essen darf und was nicht. Ich habe gedacht, alles, das in dem nicht-absperrbaren Kühlschrank ist, ist für jeden aus der Familie gedacht. Meiner Mutter scheint es ähnlich zu gehen, denn seit wir den zweiten Kühlschrank haben, ist sie zu meiner Großmutter (ihrer Mutter) gegangen und nicht mehr zurückgekommen. Es ist gestern heftig eskaliert zwischen meinem Vater und ihr. Weder sie noch ich haben eigenes Einkommen.
Ich bin jedenfalls frühzeitig von meinem Kurs nach Hause gegangen, um meinem Vater ein neues Energy Drink zu kaufen, das ich ihm weggenommen hätte. Ich weiß jetzt aber nicht, was ich machen soll. Ich habe in meinen 17 Jahren etwas Geld am Sparkonto angespart und werde mir wohl davon von nun an selber diverses Essen kaufen müssen, bis ich einen Job habe und ausziehen kann, damit umgekehrt meine Lebensmittel nicht weggenommen und weggespert werden.
Meine Psychiaterin, meine Therapeutin und eine Kinderanwältin raten mir schon länger, in ein außenbetreutes Wohnen zu ziehen, bis ich volljährig bin und einen Job habe, um mir eine eigene Wohnung finanzieren zu können. Aber der Gedanke daran macht mir Angst.
Ich fühle mich jedenfalls miserabel wegen dem Energy Drink, ich habe ehrlich nicht gewusst, dass es von meinem Vater ist. Ich will am liebsten überhaupt nichts mehr essen, ich hasse alles so sehr und ich kann nicht mehr. Was soll ich machen?