Die Grünen sind nicht verantwortlich für die derzeitigen Probleme. Diese wurden über Jahrzehnte vor allem von der CDU unter Mithilfe der SPD erschaffen. Jetzt gibt es eine liberal-progressive Regierung aus SPD, Grünen und FDP, sie hat aber im Verhältnis zur vorherigen Politik wenige Fortschritte erreicht.
Die Grünen haben die Probleme zwar nicht verursacht, sie werden sie aber auch nicht lösen. Die Grünen sind nicht systemkritisch, sie tragen die kapitalistische Ausbeutung der Arbeiterschaft mit. Sie haben bisher keine der notwendigen Veränderungen vorangebracht.
Vor allem vernachlässigen sie soziale Aspekte im Diskurs. Sie haben zwar geringfügige Verbesserungen umsetzen können, aber der Diskurs der Grünen konzentriert sich auf andere Themen. Eine tatsächlich linke Partei muss sich in ihrem Diskurs auf die Probleme der Arbeiterschaft und auf Kapitalismuskritik konzentrieren.
Ich sehe die Grünen eher als liberal-progressive Partei, die genauso wie die CDU und die SPD bürgerlich geprägt ist, aber einen moderneren Anstrich hat und vor allem unter progressiven Linksliberalen beliebt ist, die zumeist aus einem privilegierten Millieu stammen.
Sie erreichen also eine bürgerliche Klientel, die nicht antikapitalistisch eingestellt, aber zu progressiv positioniert ist, um SPD oder CDU zu wählen.
Die Grünen selbst müssen nicht viel verändern. Erfolg und Misserfolg der Parteien hängen kaum von ihrem Programm oder ihrem politischen Personal ab. Der maßgebliche, entscheidende Faktor ist die Themensetzung im politischen Diskurs.
Es gibt verschiedene Gründe, warum komplexe Inhalte und hunderte Seiten lange Programme nahezu vollkommen irrelevant sind. Vor allem geht es aber um mangelnde politische Bildung, in Kombination mit mangelndem Interesse für Politik.
Viele Menschen interessieren sich zwar in Ansätzen für politische Vorgänge, jedoch nicht für komplexe Hintergründe. Sie wollen zwar partizipieren, wollen sich aber nicht umfangreich mit Themen beschäftigen, weil das politische Interesse eben nur oberflächlich und nicht tiefgreifend ist.
Die Themenfelder, die bei der Europawahl 2019 dafür gesorgt haben, dass die Grünen derart stark werden konnten und andere Themen, die dafür gesorgt haben, dass bei der Bundestagswahl 2021 junge Menschen vor allem Grüne und FDP gewählt haben, sind heute kaum noch im Diskurs präsent.
Die Europawahl 2019 fiel in eine recht kurze Phase, in welcher der Klimawandel ein bedeutendes, omnipräsentes Problem war und Wahlentscheidungen maßgeblich beeinflusst hat.
Der Höhepunkt der Fridays-for-Future-Bewegung war im Frühjahr 2019. Bei der ersten globalen Aktion am 15. März 2019 nahmen in Deutschland mehr als 300.000 Schüler teil. Es gab in vielen Städten enorm große Demonstrationen, unter anderem in Hamburg oder Berlin mit jeweils etwa 25.000 Teilnehmern.
Die Themenfelder der AfD, nämlich Migration, Sicherheit oder Kriminalität waren damals im öffentlichen Diskurs kaum präsent, vor allem in sozialen Medien nicht, und wurden daher von vielen Menschen nicht wahrgenommen.
Heute ist es umgekehrt, die Themen der Grünen, vor allem der Klimawandel sind kaum mehr politisch präsent, die Grünen sind in sozialen Medien fast ausschließlich negativ repräsentiert.
Die Vormachtsstellung in sozialen Medien hat mittlerweile schon längst die AfD, die damit Themen setzen und den Diskurs steuern kann. Die AfD entscheidet, was in sozialen Medien besprochen wird. Egal welche Plattform, die AfD ist im politischen Diskurs im Internet die stärkste Kraft. Das sieht man vor allem auf Tiktok, das sieht man auf Instagram und auch auf anderen Plattformen wie Youtube oder Twitter.
Die AfD vertritt in ihren Themenfeldern eine einfache, leicht zu erfassende Position. Die drei Kernthesen, die in nahezu allen Beiträgen vertreten sind, bestehen aus den üblichen Narrativen. Es wird behauptet, Menschen mit Migrationshintergrund seien übermäßig kriminell und daher gefährlich, es wird behauptet, wir bräuchten mehr Abschiebungen, um dieses vermeintliche Problem zu lösen und es wird behauptet, die derzeitige Regierung wäre schuld an allen Problemen, die es derzeit gibt.
Das erfordert kein weiteres hinterfragen, kein um die Ecke denken, keine umfangreiche Recherche. Es ist auf den ersten Blick leicht zu verstehen und erscheint für Uninformierte logisch.
Wenn man bereit ist, eine oberflächliche, fünfminütige Recherche zu betreiben, wird man diese Position bestätigt finden, denn, oh Wunder, die Kriminalitätsrate bei Menschen mit Migrationshintergrund ist tatsächlich überproportional hoch und, kuck mal da, in Mannheim gab es vor ein paar Tagen einen Messerangriff.
Um tatsächlich inhaltlich zu verstehen, warum diese Forderungen unsinnig sind und warum die Zahlen, die für den uninformierten Bürger diese Forderungen bestätigen, in Wirklichkeit etwas anderes aussagen, reichen fünf Minuten Recherche nicht aus. Um das zu verstehen muss man sich umfangreich mit politischen Aufgaben und gesellschaftlichen Konflikten beschäftigen.
Wenn man alleine, für sich selbst und dazu aus einer uninformierten Psotion, recherchiert, dauert es bestenfalls eine oder zwei Stunden bis man die Thematik ansatzweise überblickt hat. Nur ein sehr kleiner Teil der Menschen ist bereit, derart viel Zeit dafür zu investieren.
Um diesen Trend umzukehren und die Stärke der AfD zu brechen, müssen wir die Macht in sozialen Medien zurückgewinnen und verhindern, dass Faschisten den Diskurs lenken können. Wir müssen in eine Position kommen, in der linke Forderungen sich so eingängig verbreiten wie die der AfD.
Wir brauchen einfach zu verstehende, populistische Positionen, nur eben von links. Wenn wir Abschiebungen im Diskurs durch höhere Löhne und bezahlbares Wohnen ersetzen können, wird dieser Trend sich wieder umkehren.
Das können sich die Grünen zunutze machen, wenn sie es gut umsetzen. Bestenfalls würden die Menschen natürlich die Linke wählen und nicht die Grünen, ich sehe aber mehr Potenzial bei SPD und Grünen, weil sie bürgerlich gemäßigt sind und eine deutlich breitere gesellschaftliche Basis haben als die Linke.