Stereotypen über Wessis und Ossis?

8 Antworten

Von Experte Udavu bestätigt

Ich hab 9 Jahre im Süden (in Franken) gelebt und komme aus dem Osten.

Die Unterschiede sind doch deutlich und auf vielen Ebenen.

Es ist zu viel um alles aufzuzählen doch hier die ersten drei Sachen die mir eingefallen sind:

Frauen im Osten sind in der Regel selbstständiger und deshalb selbstbewusster

Es ist selbstverständlich, dass Frauen im Osten arbeiten. Du hast meist Doppelverdiener. Ist auch nötig wegen der niedrigeren Löhne. So was wie Hausfrauen kennt man hier nicht. In Franken war meine Frau eine der wenigen die nur ein Jahr Elternzeit machte. Die meisten anderen blieben gleich 3 Jahre zu hause oder für immer.

Freunde von mir aus meiner Heimatstadt wohnen in Hamburg, wo die gesamten männlichen Kollegen davon ausgingen, dass die Frau nach dem Kind nicht mehr zur Arbeit zurück kommen würde- gar nicht mehr. Sie kam aber auch nach einem Jahr wieder.

Da Frauen ihre eigene Ausbildung, ihr eigenes Auskommen, ihr eigenes Geld haben, sind sie häufig selbstständiger und selbstbewusster. Lassen sich auch weniger von ihrem Mann gefallen, weil sie besser allein über die Runden kommen wenn es hart auf hart kommt.

Menschen im Osten haben in der Regel keine Religion

Ostdeutschland ist die atheistischste Region auf der Welt. Es ist hier völlig normal ohne Religion aufgewachsen zu sein. Ich bin ein ziemlich cleveres Kerlchen und habe erst als Jugendlicher verstanden, dass es tatsächlich im Westen noch Menschen gibt die religiös sind (oder "in die Kirche rennen" wie es manchmal gesagt wird). Ich bin Atheist in dritter Generation mütterlicherseits und zweiter Generation väterlicherseits. In meinem Umfeld gab es fast keine religiösen Menschen.

Es gibt auch hier religiöse Menschen, sie sind aber eine Minderheit und die meisten Menschen wachsen ohne Religion auf.

Die Kneipen-, Bar- und Wirtshauskultur ist im Osten weniger stark ausgeprägt

Es war so schön in Franken mit Kollegen essen zu gehen. Und die Restaurants waren voll. An einem Mittwoch Abend.

Ossis machen das seltener und das hat eine Menge Gründe die auch von Region zu Region unterschiedlich sein können:

  • Dadurch dass Ossis weniger verdienen wollen sie weniger Geld in Kneipen ausgeben. Ein typischer Spruch "Warum soll ich 5 Euro inner Kneipe für'n Bier ausgeben? Dafür krieg ich zuhause einen ganzen Kasten."
  • In Vielen Städten haben die Menschen ihre Gärten (von Wessis manchmal als "Datsche" bezeichnet- ich habe noch nie einen Ossi seinen Garten Datsche nennen gehört aber das mag auch Regional bedingt sein). Und dann sitzen sie gern am Wochenende in ihren Gärten und trinken und essen dort und gehen weniger ins Restaurant oder sonstige Kneipen.
  • Zu DDR-Zeiten ist diese ganze Sache schon etwas verkümmert und als nach der Wende Massenarbeitslosigkeit und relative Armut herrschte, ist es noch mehr untergegangen.

Das sind die drei ersten Dinge dir mir einfallen. Es gibt sicher mehr und es gibt mit Sicherheit Unterschiede zwischen Ost und West. Wäre auch merkwürdig wenn es nicht so wäre.


spanferkel14  11.07.2023, 17:08

Unter Datsche verstehe ich nicht den Garten, sondern nur das Gartenhaus (zu dem natürlich auch ein Garten gehört). Die Datsche, so wie ich sie verstehe, ist so ausgestattet, dass man zwar bescheiden, aber auf jeden Fall auch längerfristig darin wohnen kann, fast schon eine kleine "Zweitresidenz". Liege ich da richtig?

Oppulus  11.07.2023, 17:14
@spanferkel14

Wie gesagt ich habe das Wort noch niemanden in Wirklichkeit sagen hören.

Bei uns sagt man "Garten" mit einem "Gartenhaus".

Und die sind in der Regel so eingerichtet, dass man da übernachten kann.

Mein Onkel zieht sobald es warm genug ist in seinen Garten und bleibt da den Sommer über. Das machen viele.

Ist tatsächlich illegal, wird aber nicht durchgesetzt.

Also kann sein, dass man es woanders in Ostdeutschland Datsche nennt, ich habe es noch nie im echten Leben gehört. Aber ich bin auch kein Experte.

spanferkel14  11.07.2023, 17:29
@Oppulus

Ja, genauso stelle ich mir das vor. Ich dachte halt immer, dass man das in Ostdeutschland Datsche nennt. Ich würde Gartenlaube dazu sagen. Dass diese Gartenhäuser nicht zum Wohnen gedacht sind, ist mir schon klar. Aber wenn man - vor allem in der Großstadt - so ein Kleinod besitzt, dann liegt's doch nahe, dass man im Sommer (auch mit Einschränkungen) lieber dort wohnt als vielleicht in ner kleine 2-Zi-Wohnung irgendwo im Wohnblock.

Oppulus  11.07.2023, 18:38
@spanferkel14

Eins muss ich noch sagen:

Wo wächst das Fleißige Lieschen?

Im Strebergarten.

spanferkel14  11.07.2023, 18:48
@Oppulus

🤣 Ja, die Schrebergarten-"Kultur" ist was ganz anderes. Da kann man nicht, wie man will. Da muss man nach genauen Vorschriften dies und das anpflanzen, darf nicht einfach Rasen auf seinem gepachteten Gelände haben und, und ... Schrecklich! Der Grundgedanke dabei ist natürlich gut, aber man kann es auch übertreiben - halt Strebergarten.

OlliBjoern  11.07.2023, 19:18

Wobei mir im Osten aufgefallen ist, dass es da noch mehr Kegelbahnen gibt.
Das mit dem Kegeln ist hier im Südwesten ziemlich ausgestorben.

spanferkel14  11.07.2023, 22:04
@OlliBjoern

Das kann ich von Baden-Württemberg und auch von Niedersachsen aber nicht bestätigen. Nicht wenige Leute treffen sich in privaten Kegelrunden z. B. regelmäßig alle 14 Tage zum Kegeln, Klönen und evtl. auch zum Essen. Was aber nicht mehr so häufig anzutreffen ist, sind Gastwirtschaften, die über 2, evtl. nur eine Kegelbahn verfügen. Es handelt sich heute meistens um Kegel-Center mit 8 oder mehr Bahnen. Eine Küche mit einfachen Gerichten ist in der Regel auch dabei.

Du scheinst in der Zeit vor 1990 nicht gelebt zu haben - oder nichts mitbekommen zu haben.

Denn bis 1989 - bis zur unbeschränkten Reisefreiheit in der DDR haben sich zwei komplett getrennte Kulturen entwickelt - mit allem, was dazu gehört. Keine Sorge, ich werde hier ganz sicher keine Ost-West-Unterschiede und -Vorurteile wälzen.

Aber wenn man als "Wessi" mal mit einem "Ossi" kommuniziert hat (und dies über ein paar Worte hinausgegangen ist) hat man festgestellt, dass der "andere" zwar genauso ein Mensch war und genau die gleiche Sprache gesprochen hat wie man selbst.

Man hat allerdings auch festgestellt, dass die Unterschiede nicht im Aussehen und der Sprache lag - sondern in der Denkweise, welche man den Menschen diesseits und jenseits des eisernen Vorhangs aufgedrückt und anerzogen hat.

War man im Westen der gehorsame Deutsche, welcher zu allem JA und AMEN sagte, was die Besatzungsmächte von ihm wollten, so wurde man im Osten zur Selbstständigkeit erzogen, zum Selber-Macher - aber eben nicht zum Selbst-Denker. Denn was man zu denken hatte, sagte einem im Osten nicht die Bild-Zeitung - sondern die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands!

Und daher kommen auch diese Unterschiede im Verhalten und der Kultur, welche - auch dreissig Jahre nach dem unfreiwilligen Anschluss der DDR an die BRD - immer noch in den Menschen erkennbar ist. Diese UNterschiede verwässern zwar in der Zwischenzeit massiv - aber sie sind noch da

Und ich möchte hier nur EINEN EINZIGEN Unterschied anführen, welcher mir als Wanderer zwischen Ost und West immer wieder auffällt:

Die Menschen in den nicht mehr so neuen deutschen Bundesstaaten sind wesentlich individueller. Sie sehen individueller aus (Kleidung, Stil, Haarschnitt, Schmuck etc) und sie benehmen sich auch individueller. Vor allem aber sind sie lautstarker und auch in der Lage, ihre Meinung offen kund zu tuen - auch wenn diese aneckt und anstößt.

Die Menschen, welche zum allergrößten Teil immer noch auf dem Gebiet der ehemaligen besetzten West-BRD leben, sind wesentlich konformer. Sie versuchen, gleich auszusehen, ein gleichförmiges Verhalten an den Tag zu legen, gleiche Dinge zu tuen, nicht aufzufallen und möglichst den Ball flach zu halten um nicht aufzufallen.

P.S.: Ich habe jeweils einen Wohnsitz in den Freistaaten Bayern und Sachsen und bin beruflich in der gesamten BRD unterwegs. Ich kenne daher Menschen aus ALLEN REGIONEN der BRD und erlaube mir dieses, oben geschriebene Urteil - denn es rührt konkret aus der Erfahrung heraus.

Übrigens: Ich bin weder WESSI noch OSSI - ich bin MENSCH!

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Menschlichkeit ist mein persönlicher Grundsatz!

Ich habe - als nicht BRD-Bürger - die Wende in Thüringen miterlebt und mich über die Arroganz der Wessies maßlos geärgert. Es wäre einmal beinahe zu einer Schlägerei gekommen, weil mich überhebliche Wessies für einen Ossie gehalten haben. Ich habe mich darüber gefreut, dass ich von den Ossies, obwohl ich kein ehemaliger DDR-Bürger war, immer voll akzeptiert wurde.

Also ich konnte beobachten, dass es z.B. mir (als "Wessi") ziemlich egal ist, wenn jemand aus guten Gründen einen anderen Wessi kritisiert. Da denke ich mir: ja ok, das kann ja schon sein, was soll's?

Aber bei Leuten aus den östlichen Bundesländern ist das anders: die stellen sich meist schützend vor den anderen - auch wenn sie dessen Position vielleicht gar nicht selber vertreten. Man hält also zusammen.

Das kann Vorteile haben, das kann aber auch nachteilig sein (weil das ein wenig "kritikimmunisierend" wirken kann). Es muss ja auch möglich sein, individuelle Positionen zu kritisieren (ohne dies auf die Herkunft zu beziehen).

Naja, ein Stereotyp gegenüber Wessis ist, dass diese sich gegenüber Ossis sehr arrogant und herablassend benehmen, Ossis nicht ernst nehmen, als Bürger zweiter Klasse sehen, eben sich für was besseres halten etc.

Leider muss ich, als Kind einer Wessi-Familie, das bestätigen. Für meine Frau Mutter waren "die von drüben" alles arbeitsscheue Drückeberger, die nichts konnten und nichts wollten, Ausbildungen die "drüben" gemacht wurden waren sowieso wertlos und darüber wie armseelig es doch ist, jahrelang auf diese Papp-Autos (Trabant) zu warten wurde leidenschaftlich gelacht, genauso über die Ossis an sich (während man sich den Wanzt bei McDonalds vollgefressen hat). Daher denke ich, dass an dem Stereotyp durchaus etwas dran sein könnte.

Ossis wiederum galten als ungebildet, rückständig, verarmt (naja eben was oben so steht). Ich persönlich fand die allermeistne Ossis sehr sympathisch, die sind oft deutlich bodenständiger, genügsamer, und auch dankbarer für das was sie haben. So mein Eindruck. Wer weniger hat, oder zumindest nicht alles im Überfluss, weiß den Wert von Dingen eben mehr zu schätzen. Andere, insb. manch ein Wessi welcher sehr auf Konsum getrimmt ist, könnte "mit wenig zufrieden sein" eben auch als arm und rückständig deuten.

Alles natürlich pauschalisierungen, jeder Mensch ist individuell anders.