Aus meiner Sicht haben beide Charaktere extreme Schwächen aufgezeigt und Fehler gemacht. Trotzdem hat James ein paar Sympathiepunkte, die mir bei Snape komplett fehlen.
Das häufigste Argument, was ich höre, wenn es darum geht, dass Snape sympathischer ist, ist das Verhalten von James ihm gegenüber. Das will ich auch gar nicht herunterspielen. Es war einfach abscheulich, wie James nach den ZAG auf Snape losgegangen ist. Man muss allerdings auch berücksichtigen, wir kennen nur sehr kleine Ausschnitte aus dem Konflikt. Zu sagen, James war der böse Mobber, welcher es einfach geil fand, andere zu quälen, während Snape sein unschuldiges Opfer war, ist vor allem eins: Interpretation.
Tatsache ist, wir wissen nicht, wie sich der Konflikt der beiden genau entwickelt hat. Sie waren sich von Anfang an nicht wirklich grün und offensichtlich ist es dann ziemlich eskaliert. Wir wissen aber nicht, ob James es einfach geil fand, Snape zu quälen. Wir wissen auch nicht, ob der Konflikt so einseitig war oder ob Snape vielleicht selbst regelmäßig auf James losgegangen ist, wenn er die Gelegenheit dafür hatte.
Wenn man James schon vorwirft, ein Mobber zu sein, sollte man vielleicht auch nicht unterm Tisch fallen lassen, dass Snape in seiner Schulzeit es ziemlich normal fand, Muggelstämmige als Schlammblut zu bezeichnen. Und zwar schon lange bevor es ihm gegenüber Lily herausgerutscht ist. Regelmäßig andere zu beleidigen ist auch eine Form von Mobbing.
Und auch hier kommt wieder das Problem auf: Wir wissen nur relativ wenig über die Schulzeit der Rumtreiber und Snape. Es sind eben nur kleine Ausschnitte, weshalb es offen bleibt, in wie weit er bei den "Scherzen" von zum Beispiel Mulciber und Avery beteiligt war.
Was man ebenfalls nicht vergessen sollte, ist, dass James definitiv mehr als nur der böse Mobber von Snape war. Er war für viele anderen Menschen einfach ein guter Freund. Er wurde für Remus ein unregistrierter Animagus und nahm Sirius bei sich auf, als er nicht wusste, wohin er gehen soll.
Bei Snape fehlt mir der Moment, an dem ich das Gefühl bekam, er tut gerade von sich aus etwas Gutes. Eigentlich ging dort immer ein Befehl von Dumbledore voraus. Nicht einmal bei Lilys Rettung konnte er einfach mal der Gute sein: Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er einfach Harry dem dunklen Lord ausgeliefert, damit seine "große Liebe" leben kann. Was sie davon gehalten hätte, war ihm vollkommen egal.
Hinzu kommt noch, dass James vor allem sein Verhalten als Jugendlicher vorgeworfen wird. Natürlich starb er auch sehr früh. Trotzdem ist man als Fünfzehnjähriger ein anderer Mensch als mit zwanzig. Wir wissen nicht, ob er sich nun so sehr zum guten gewandelt hat, dass Lily ihn mochte, oder Lily seine Fehler einfach irgendwann egal wurden. Es gibt aber eben Interpretationsspielraum, dass er sich gebessert hat.
Ein solcher Spielraum fehlt bei Snape. Wir wissen, er hat aus seiner eigenen Schulzeit nichts gelernt. Anstelle sich selbst zu reflektieren, quält er Jahr für Jahr die Schüler. Schüler, die nichts für all die Dinge können, die damals geschehen sind. Wenn er wirklich von den Gryffindors schlimm gemobbt wurde, ist es zwar irgendwie verständlich, dass er jetzt einen Groll dieses Haus hegt, aber es rechtfertigt nicht sein Verhalten. Er ist Erwachsen. Er könnte sich Hilfe suchen, um endlich die Ereignisse seiner Vergangenheit zu verarbeiten und auch mal die Besessenheit von Lily Evans abzulegen. Er müsste auch nicht Lehrer in Hogwarts bleiben. Jedenfalls kann ich mich an keine Stelle im Buch erinnern, in der etwas Gegenteiliges behauptet wird.
Daher mag ich James menschlich gesehen lieber. Wenn ich mit ihnen in Hogwarts gewesen wäre, hätte ich mich lieber mit ihm als mit Snape angefreundet und auch später hätte ich keine Lust gehabt, Zeit mit Snape zu verbringen.
Snape ist für mich aber trotzdem einer der besten Charaktere in der Reihe, einfach weil er eben so dunkel und verdreht ist.