Joachim Gauck bei Miosga "Viele denken ja, der Ossi ist undankbar"

5 Antworten

Ich finde grundsätzlich, das an dem von dir kolportierten Spruch von Ricarda Lang etwas dran ist. Viel zu lange wurde von Ostdeutschen unterschwellig erwartet, dass sie das Gesellschaftls- und Lebensmodell „Bundesrepublik“ als überlegen ansehen und ihre eigenen Lebens- und Arbeitserfahrungen als zweitklassig. Das muss unbedingt aufhören.

Mich stört daran allerdings das „othering“: Wir und die Osdeutschen. Da wird direkt schon wieder eine Unterscheidung aufgemacht. Wichtig finde ich vor allem, dass wir alle in dieser Gesellschaft voneinander die Bedürfnisse wahrnehmen.

Die AfD ist ja immer noch eine "Westpartei", deren Inhalte dankbar angenommen werden. Dabei wird nur völlig übersehen, dass die Partei - ganz "westlich" - auch für Marktvergötzung steht, wovon man im Osten - in dieser Absolutheit - eigentlich gar nichts hält.

Ich kann nachvollziehen, dass im Westen der Eindruck von Undankbarkeit entsteht, war doch die DDR nach dortiger Lesart (und aus Sicht von Gauck) ein einziges großes Gefängnis. In der unmittelbaren Nachwendezeit gab es diese Dankbarkeit auch durchaus ("Helmut, nimm uns an die Hand! Führ uns ins Wirtschaftswunderland!"). Die existenziellen Sorgen, die daraufhin die meisten durchmachen mussten, hätten aber auch die Dankbarkeit jedes gelernten Bundesbürgers überstrapaziert.

Das mag auch ein Grund sein, warum man sich dagegen wehrt, "Buntheit" und "Vielfalt" nun unbedingt gut finden zu müssen, nur weil es einem so eingeblasen wird. Im Westen hatte man Jahrzehnte Zeit, sich mit einem gesteuerten (!) Zuzug von Arbeitskräften anzufreunden (was auch nicht von Anfang an gelang). Die jetzige Situation ist im Vergleich zu damals chaotisch, aber man bemüht die gleichen Argumente und moralischen Keulen. Das wird nicht akzeptiert.

Viele Ostdeutsche haben die Soziale Marktwirtschaft bis heute nicht verstanden. "Deutschland zuerst" bedeutet nicht den eigenen Einsatz für Deutschland. Es geht denen nur darum, mehr Unterstützung zu bekommen.

Beispielsweise ist in einer Marktwirtschaft der Lohn von der Produktivität abhängig. Wer gleichen Lohn verlangt, obwohl die Produktivität des Arbeitgebers im Osten niedrig ist, versucht marxistisches Gedankengut mit dem Wohlstand des Westens zu verbinden. Wir sollten den Ostdeutschen klar das Beispiel des Baltikums vor Augen halten. Die haben es geschafft, ohne beim großen Bruder zu betteln.


guenterhalt  24.09.2024, 17:10
Die haben es geschafft, ohne beim großen Bruder zu betteln.

wer ist denn der große Bruder?

Es wird zwar immer gesagt, das Baltikum war von den Russen besetzt. wer aber, als es noch die Sowjetunion gab, in Russland oder den jetzt "befreiten" Ländern war, der wird schwer solche Unterschiede gefunden haben, die auf Ausbeutung und Unterdrückung hingedeutet haben. Auch die Verteilung/Arbeitsteilung war nicht so, dass die Letten, Litauer oder Esten nur Handlangeraufgaben für Russland zu erledigen hatten.
Auch nach 1991 blieben die Arbeitsstätten erhalten. Sie haben, aufbauend auf dem Vorhandenen modernisiert, denn für sie galten die bis 1991 angewendeten Embargobestimmungen nicht mehr.
Anders als im Osten wurden die Betriebe nicht zu Ramsch Objekten eines "großen Bruders" durch eine Treuhand verteilt.

Es geht denen nur darum, mehr Unterstützung zu bekommen.

Sicher, um das was ihnen weggenommen wurde etwa auszugleichen. Wo ist denn das Halbleiterwerk Frankfurt/Oder geblieben, wo das Fernmeldewerk Berlin/Köpenick, was ist aus dem Institut für Nachrichtentechnik, dem VEB Kältetechnik ... geworden. Nichts davon gibt es mehr. Wo die Ingenieure eines diese Unternehmen hin gegangen sind, kann ich beantworten. Einige nach West-Berlin, der größte Teil nach München und Stuttgart.
Wie ist das mit der Arbeitsproduktivität? Haushandwerker und sonstiges Personal brauchte man im Westen nicht. Die haben sich selbständig gemacht und auf den Straßen Würstchenbuden betrieben.
Die Menschen im Osten haben schon verstanden, wie Marktwirtschaft funktioniert. Sie brauch ein ausgewogenes Verhältnis in der Ausbildung. Wo sind die alle hin? Massenweise nach Bayern, Hessen, NRW oder ....
Dann kommen Leute, die diesen Ausverkauf organisiert haben und beklagen die nieder Arbeitsproduktivität der zurückgelassenen Alten Kranken und Kinder.

Mit solchen Worten:

Wer gleichen Lohn verlangt, obwohl die Produktivität des Arbeitgebers im Osten niedrig ist, versucht marxistisches Gedankengut mit dem Wohlstand des Westens zu verbinden.

werden sie auch noch verhöhnt.
Warum da 30% der Wählerstimmen an die gehen, die ein "weiter so" nicht wollen, die unschwer erkennen wo und wie das Geld mit Bum Bum vernichtet wird, lässt sich da leicht beantworten.

Geraldianer  25.09.2024, 08:18
@guenterhalt
Es wird zwar immer gesagt, das Baltikum war von den Russen besetzt.

Die Waldmenschen (Wiederstandskämpfer) im Baltikum kämpften bis Mitte der 50er Jahre gegen Stalin. Wer heute im Baltikum unterwegs ist, findet sehr viele Menschen, die Verwandte in den russischen Gulags verloren haben. Und noch heute kann man in den Städten die Folterkammern von Putins KGB-Kollegen finden. Mit Listen der dort gefangenen Sinti, Juden, Balten, Deutschen und anderer Minderheiten.

guenterhalt  25.09.2024, 08:37
@Geraldianer

Was haben die Verbrechen Stalins nun mit der Arbeitsproduktivität im Osten zu tun. Ich habe lange genug mit Letten, Russen ... in der Hauptstadt Lettlands gearbeitet. Da wurde aus meiner Sicht keine Nationalität anders behandelt. Die Lebensverhältnisse waren in den Sowjetrepubliken ähnlich. Wie Menschen so sind, einige wollen immer mehr. Sicher kann man das mit Gefängnissen und Arbeitslagern nicht lösen.

Oben hast du vergessen neben Sinti, Juden ... auch deutsche Kommunisten zu nennen.

Aegroti  24.09.2024, 16:45

Die Versorgung im Osten Deutschland wird gerade nur noch durch extremen Einsatz noch arbeitsfähiger Menschen aufrechterhalten, weil bei einer überalterten Bevölkerung massiv Arbeitskräfte und Fachkräfte fehlen. Die Produktivität leidet natürlich unter dem fehlenden Personal.

Nein, undankbar ist keine gute Erklärung.

Was man tatsächlich versäumt hat: Man hätte die Ostdeutschen tatsächlich nach der Wende an's Patschehändchen nehmen müssen und ihnen die "neue Welt" ordentlich erklären. So wie sich das gehört. Die waren natürlich erwachsen und gestandene Manns- und Weibsbilder aber sie hatten zuwenig Vorstellung WIE anders der Kapitalismus sein würde. Demokratie lernt man auch nicht von selbst (auch wenn sich Kohl das so vorgestellt hat) und was bestimmt für viele unerwartet kam: Man muss sich um alles selbst kümmern - da ist kein Staat, der für "alles" sorgt.

Man hat damals die Wiedervereinigung vollzogen und in dem Wahn gelebt, jetzt würde von selbst alles gut werden. Nein - das konnte nicht gutgehen!

Ich war nach der Wende in einigen Städten im Osten. Einen Satz vergesse ich niemals: "Siehste, Garin, nu gomm de Gombjuder und dann verlier mr alle uns're Arbeed!". Und genau so kam es! Wundert sich da jemand über die Enttäuschung der Ostdeutschen?

Es fängt an das immer noch in zwei Gruppen unterschieden wird.
Als würde es reichen die Menschen in zwei Schubladen zu stecken und damit wäre alles erklärt.