Religiöses Engagement und Nationalstolz zeigen viele Parallelen in Hinblick auf die Motivation und die Auswirkungen. Es sind nicht nur beide identitätsstiftend, ritualverbunden und potentiell exkludierend, auch Schopenhauers Satz über Nationalstolz lässt sich bis zu einem bestimmten Grad auf Religionen anwenden.
Hier eine ausführliche Auflistung der Gemeinsamkeiten, die ich finden konnte.
Identitität und Gemeinschaft:
- Sowohl Nationalstolz als auch religiöse Vereinungen befriedigen das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft und schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
- Nationalstolz und Religion tragen beide wesentlich zur Identitätsbildung bei. Für manche Menschen ist ihr Nationalstolz, für andere ist ihre religiöse Überzeugung ein wichtiger Teil der Persönlichkeit.
- Beides kann eine starke Emotionen hervorrufen (wie Stolz, Dankbarkeit, Ehrfurcht etc.)
Traditionen und Rituale:
- Nationalstolze Menschen führen kulturelle Rituale, kulturelle Feiern und Paraden aus, und orientieren sich an der "Leitkultur". Religiöse Menschen führen dafür religiöse Rituale aus, besuchen Gottesdienste und Messen, und orientieren sich an der "heiligen Schrift".
Abgrenzung:
- Sowohl Patrioten als auch Religionsmitglieder haben bestimmte Vorstellungen davon, welche Voraussetzungen ein Mitglied erfüllen sollte, um dazuzugehören. Je nachdem, wie radikal die Gruppierung ist, kann das sowohl bei Nationen als auch bei Religionen dazu führen, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften ausgeschlossen werden. (z.B. historischer Ausschluss von Menschen mit körperlichen Behinderungen aus Religionen, Ausschluss von Menschen mit bestimmter Hautfarbe aus Nationen)
- Das Gruppengefühl kann in beiden Fällen zu einer extremen Selbstüberhöhung und Exklusion führen. Bei Religionen resultiert das in religiösem Fundamentalismus und Religionskriegen gegen andere Religionen (z.B. "Ketzer"). Bei Nationalstolz führt es zu Sozialdarwinismus und rassistisch motivierten Kriegen gegen andere Nationen (z.B. "Untermenschen") - nicht nur die Ursache (Selbstüberhöhung einer geschlossenen Gruppe), sondern auch die Auswirkungen sind sich also ziemlich ähnlich.
Stolz und Gemeinschaftsgefühl ohne wesentliche Eigenleistung:
Arthur Schopenhauer sagte einst zum Nationalstolz, dass er "das letzte Aufgebot derer ist, die sonst keinen Stolz besitzen". Ein Mensch muss für Nationalstolz keine eigene Leistung vollbringen, er muss nur seine Geisteshaltung anpassen.
Genau das trifft auch auf Religionen zu: Gerade Kinder von religiösen Familien mussten nur mit dem Strom schwimmen. Sie haben keine Eigenleistung vollbracht, um zu ihrer religiösen Identität zu gelagen.
Religiöse und nationalstolze Menschen knüpfen ihre Identität nicht an ihre persönlichen Tugenden oder Leistungen, sondern an übergeordnete Gruppen wie Religionen oder Nationen.
Religionsgemeinschaften lassen sich nach Schopenhauer, wie auch Kulturgemeinschaften, als Ersatzgemeinschaften für Menschen verstehen, denen es an individuellen Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften mangelt, eine eigenes Netzwerk aufzubauen.
Ist religiöses Engagement also sehr gut mit Nationalstolz vergleichbar?
Anmerkung: Dieser Beitrag soll weder religiöse Menschen noch selbsternannte Patrioten angreifen oder diskreditieren.