Warum steht da Konjunktiv I?
Servus!
Eine Frage an euch: Ich fing jüngst "Faust" zu lesen und da stand Folgendes:
»Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
Wie wenig das dem echten Künstler zieme!«
Und mir ist nicht klar, weswegen da Konjunktiv I steht? Das ist weder Wunschäußerung wie "Es lebe die Freiheit" noch die Indirekte Rede.
Ich freute mich, mit eurer Hilfe, dieses Rätsel zu lösen!
Danke für eure Antworte im Voraus!
Liebe Grüße
5 Antworten
Dem nicht vorhandenen Gefühl fehlt die Möglichkeit, die genannten Dinge zu erkennen - deshalb hier die Möglichkeitsform.
Es bringt herzlich wenig, frühere Dichtkunst mit dem Maßstab heutiger Sprache zu analysieren.
Die zitierte Stelle würde übersetzt in heutiges Deutsch etwa lauten:
„Ihr fühlt nicht, wie schlecht ein solches (berufliches) Handeln ist? Wie wenig sich das für einen echten Künstler gehört!”
Der Dichter spricht gehobenes Deutsch der damaligen Zeit, auch um seine eigene Bildung und Integrität zu veranschaulichen und um sich vom Pöbel abzuheben. Er mach dem Direktor Vorwürfe, nicht als Künstler zu handeln und zu entscheiden, aber der ist in ersterLinie Geschäftsmann und will die Massen zufriedenstellen. Ein tiefsinniges Kunstwerk kommt bei den Massen nicht an und das weiß er.
Hallo,
der Dichter hat ja gar nicht ernsthaft vor, ein solches Stück zu schreiben, wie es dem Direktor vorschwebt und das nur zur Zerstreuung der Massen dienen soll.
Deswegen der Konjunktiv. Sollte ich ein solches Machwerk fabrizieren, wäre das schlecht.
Der Dichter sieht das, was der Direktor von ihm verlangt, als eine bloße Möglichkeit, die er - was ihn betrifft - sofort verwirft.
Der Indikativ würde dieser Zumutung Substanz verleihen.
Kurz: Durch den Konjunktiv distanziert sich der Dichter von einer reinen Volksbelustigung, die nur für volle Kassen sorgen soll.
Ein ähnlicher Konflikt taucht wieder beim Pakt zwischen Faust und Mephisto auf.
Faust erwartet sich Erkenntnis in das innere Walten der Natur, Mephisto bietet ihm stattdessen Geschmacklosigkeiten wie die Saufbrüder in Auerbachs Keller, den Hexensabbat auf dem Blocksberg etc.
Letztendlich läßt sich der Dichter doch auf ein Stück ein, das unterhält - immerhin auf hohem Niveau - und Faust läßt sich durch Weibergeschichten von seinem hehren Ziel ablenken (Gretchen, Helena).
Herzliche Grüße,
Willy
Durchaus. Aber so ein Dichter muß ja auch auf das Versmaß und den Klang Rücksicht nehmen. Außerdem: Wer würde schon einen Goethe kritisieren wollen? Der durfte sogar als wie sagen: ... und bin so klug als wie zuvor.
Unsereiner würde dafür vom nächsten Deutschlehrer eins auf den Deckel bekommen.
Unsereiner würde dafür vom nächsten Deutschlehrer eins auf den Deckel bekommen
Das stimmt absolut 🤣🤣.
Bei Luther übrigens ist genau das, womöglich sogar in einer stärkeren Form, zu beobachten: Er benutzt »als« anstelle von »wie« und umgekehrt; benutzt »worden« im Sinne von »geworden« und unzählig vieles weitere.
Liebe Grüße
Ich habe mir lange ganz dieselbe Frage gestellt, bis ich irgendwann auf eine Antwort gestoßen bin, die ich bislang noch nicht widerlegen konnte:
1 – Je älter der neuhochdeutsche Text ist, in dem dieses Phänomen auftritt, desto häufiger wird es einem begegnen.
2 – Grund dafür / seine Herkunft ist das bewusste oder unbewusste Bemühen, an dieser Stelle die Grammatik des Lateinischen nachzubilden. Und das Lateinische setzt abhängige Fragesätze tatsächlich in den Konjunktiv.
Je älter der neuhochdeutsche Text ist, in dem dieses Phänomen auftritt, desto häufiger wird es einem begegnen.
Das merkte ich auch! Je älter ist der Text, umso häufiger kommt, aus Sicht der heutigen Grammatik, unnötiger Konjunktiv I vor. – Bspw bei Luther o.Ä. ist es gar nicht selten der Fall.
Wenn ich dich darum bitten dürfte, könntest es mir etwas ausführlicher erklären? Es interessierte mich halt enorm.
Wenn ich dich darum bitten dürfte, könntest es mir etwas ausführlicher erklären? Es interessierte mich
Ganz auf die Schnelle: Ich bin jetzt gerade schon auf dem Sprung in 14 Tage Osterurlaub und muss jetzt packen. Du kannst es aber jederzeit in Deiner eigenen Lateingrammatik nachschauen (sofern Du sie nicht entsorgt hast (was man nie tun sollte)) oder natürlich auch einen der Lateinexperten hier im Forum befragen.
Viel Erfolg; es wird sich schon klären! :-)
Ich sehe das im weitesten Sinn als eine indirekte Rede — der Dichter gibt wieder, was der Direktor zwar nicht sagt, aber fühlt (bzw. nicht fühlt).
Danke für deine ausführliche Antwort! Noch eine Frage hierzu hätte ich aber noch: Wäre denn in dem Falle Konjunktiv II etwas passender? Also wenn es statt "sei" "wäre" stünde.