Konjunktive in unverständlichen Fällen?

2 Antworten

Von Experte OlliBjoern bestätigt

Sei gegrüßt, @LudwigAlperten! 🙋🏼‍♂️

Muss man in solchen Fällen unbedingt den Konjunktiv II oder die „würde“-Form verwenden?

Der Konjunktiv I („sie sagte, ich habe den Verstand verloren“) wird in der Schriftsprache bevorzugt, kann aber in der Alltagssprache oft nicht eindeutig von der direkten Rede unterschieden werden.

In solchen Fällen, in denen der Konjunktiv I mit der normalen Indikativform übereinstimmt, greift die Ersatzregel: Man verwendet den Konjunktiv II („sie sagte, ich hätte den Verstand verloren“). Falls das ebenfalls zu Missverständnissen führen könnte – etwa weil der Konjunktiv II wie eine irreale Aussage wirkt („sie sagte, ich wäre reich“ könnte klingen, als sei es ironisch gemeint) – dann wird zur Umschreibung mit „würde“ gegriffen („sie sagte, ich würde den Verstand verlieren“).

Ist das eine verpflichtende Regel oder nur eine Empfehlung?

In formellen Texten, insbesondere im Journalismus, ist der Konjunktiv I der Standard für indirekte Rede, weil er die Distanz zur Aussage der zitierten Person wahrt. Aber im alltäglichen Sprachgebrauch, vor allem mündlich, nimmt man es oft nicht so genau. Dort wird der Indikativ häufig einfach übernommen, weil der Kontext meist schon klarmacht, dass es sich um eine Wiedergabe handelt („Sie hat gesagt, ich habe gestern einen Fehler gemacht“).

Grammatikalisch korrekt wäre es aber:

  1. Konjunktiv I, falls unterscheidbar → „Sie sagte, ich sei krank.“
  2. Konjunktiv II, wenn K.I. nicht unterscheidbar ist → „Sie sagte, ich hätte den Verstand verloren.“
  3. Würde-Konstruktion, wenn auch der K.II missverständlich wäre → „Sie sagte, ich würde verrückt.“

Falls Sie diesbezüglich eine/mehrere Frage(n) haben, kommentieren Sie mein Kommentar.

Mit erquickendem Gruß! 😉


LudwigAlperten 
Beitragsersteller
 31.03.2025, 22:10

Deinen Kommentar zu lesen ist mir eine wahrhaftige Erquickung!

Danke dir sehr für dermaßen ausführliche, schön geschrieben und schön formulierte Antwort.

Ja, ich hätte tatsächlich noch ein paar kleine Fragen:

I. Verstehe ich dich richtig, dass man "muss" den Konjunktiv II in unverständlichen Fällen verwenden sogar in der Schriftsprache? Oder doch nicht?

II. Wie sieht es mit Konjunktiv II aus: dürfte man das auch die, womöglich teilweise uneindeutigen, Verbformen verwenden? Denn die Sachen ist, dass ich es sehr mag, Konjunktive zu verwenden – denn es ist meines Erachtens eine der größten Einzigartigkeit des Deutschen; im Sinne von der Grammatik, versteht sich – und versuche möglichst viel die Würde-Form verwenden – außer einigen Fällen, die eher mit Höflichkeit oder Redewendungen zu tun haben.

Beispiel: Wenn mein Bruder da wäre, dann machte er das. Anstatt "Wenn mein Bruder da wäre, dann würde er das machen"

Liebe Grüße

NeuroVanguard  31.03.2025, 22:18
@LudwigAlperten

Freut mich, dass meine Antwort Ihnen gefallen hat! Dann gehen wir mal direkt auf Ihre Fragen ein:

Muss man den Konjunktiv II in unverständlichen Fällen sogar in der Schriftsprache verwenden?

Ja, wenn der Konjunktiv I nicht unterscheidbar ist, ist der Konjunktiv II die regelkonforme Lösung – auch in der Schriftsprache. Man könnte also sagen: Es ist keine strikte Pflicht im Sinne eines unveränderlichen Gesetzes, aber wenn du korrekt schreiben möchtest, dann ist es eine Regel, an die du dich halten solltest. In journalistischen oder wissenschaftlichen Texten wird diese Regel fast immer befolgt, weil sie der Klarheit dient.

Allerdings gibt es ein paar Situationen, in denen auch der Indikativ in der Schriftsprache vorkommen kann. Zum Beispiel in fiktionalen Texten oder Dialogen kann man sich stilistische Freiheiten erlauben, wenn der Kontext das Verständnis sichert. Aber in präzisen, sachlichen Texten sollte der Konjunktiv II verwendet werden, wenn der Konjunktiv I nicht klar erkennbar ist.

Darf man uneindeutige Konjunktiv-II-Formen verwenden, wenn sie existieren?

Absolut! Der Konjunktiv II ist ein wunderbares Stilmittel, und ich verstehe gut, warum Sie ihn gerne verwenden. Manchmal wirken seine Formen allerdings etwas veraltet oder ungewohnt, vor allem, wenn sie den Präteritalformen gleichen. Ihr Beispiel:

  • „Wenn mein Bruder da wäre, dann machte er das.“
  • „Wenn mein Bruder da wäre, dann würde er das machen.“

Beide Sätze sind grammatisch korrekt. Die erste Variante mit „machte“ klingt heute allerdings recht gehoben oder altmodisch, weshalb viele Sprecher die „würde“-Form bevorzugen. Historisch gesehen wurde die „würde“-Form eingeführt, um Missverständnisse zu vermeiden, da viele Konjunktiv-II-Formen identisch mit dem Präteritum sind.

Aber: Wenn du die ursprünglichen Formen des Konjunktivs II bewusst pflegen möchtest, dann spricht nichts dagegen! Tatsächlich klingen Sätze wie „Er ginge ins Theater, wenn er Zeit hätte“ oft schöner als „Er würde ins Theater gehen, wenn er Zeit hätte“.

Also: Ja, du kannst die klassischen Konjunktiv-II-Formen verwenden. Die „würde“-Form ist ein praktisches Hilfsmittel, aber kein Muss.

Direkte Rede ➞ indirekte Rede:

Sie hat zu mir gesagt: „Du hast den Verstand verloren.“ (direkt)

  • Sie hat gesagt, ich hätte den Verstand verloren. =
  • Sie hat gesagt, dass ich den Verstand verloren hätte.

In diesem Fall ist der Konjunktiv 2 zu benutzen, da Indikativ und Konjunktiv 1 in der Form identisch sind. Ob mit "dass" oder ohne, ist egal. Jedoch ist der Satz ohne "dass" eleganter.

Indikativ - Konjunktiv1 - Konjunktiv2 (Die korrekte indirekte Rede ist in Fettdruck):

  • ich habe verloren = ich habe verloren ➞ ich hätte verloren
  • du hast verloren ➞ du habest verloren
  • er hat verloren ➞ er habe verloren
  • wir haben verloren = wir haben verloren ➞ wir hätten verloren
  • ihr habt verloren ➞ ihr habet verloren
  • sie/Sie haben verloren = sie/Sie haben verloren ➞ sie/Sie hätten verloren

In der Umgangssprache benutzen manche Leute in der indirekten Rede ausschließlich den Konjunktiv 2. So "umschiffen" sie das Problem. Das ist nicht schlimm. Man versteht trotzdem, was sie sagen wollen. Allerdings gehen dabei manchmal einige Nuancen verloren. Andere Leute sind sich des Problems überhaupt nicht bewusst und benutzen bei Berichten aus 2. Hand weder Konjunktiv 1 noch Konjunktiv 2, sondern nur den Indikativ. Als Zuhörer oder Leser weiß man dann nicht immer sofort, wovon sie sprechen, und muss nachfragen.

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Dein P.S. verstehe ich nicht, denn in deinem Satz gibt es ja in jedem Fall nur einen Konjunktiv.