Frauen hatten in Gegenwart redender Männer zu schweigen?

2 Antworten

So extrem nicht, aber in meiner Kindheit war es oft noch so, dass der Mann das letzte Wort hatte (bin 1974 geboren).

In meiner Heimatstadt dürfte das heute noch so sein. Stichworte: Dumpfes und reaktionäres, von sich eingenommenes, meist offen bigottes und überfrommes Spießer- und Arbeitermilieu, strenge Hierarchien; für Freundlichkeit ist kein Platz, ein Mann ist ein Mann und gibt schweigsam und brummig den Ton an; die Frau hat Kinder zu kriegen und ruhig zu sein und ihm das Brot zu schmieren, sobald der Arbeitsmann nach Hause kommt. In der Fabrik wird in der Regel schon gebrüllt und oft gesoffen, immer noch, daheim geht das grad so weiter.

Ich habe dort noch vor rund zehn Jahren durchaus Frauen erlebt, die ihre Männer "ach doch so sehr lieb haben" und einräumten, durchaus regelmäßig geschlagen zu werden, "aber nur, wenn man es verdient hat". Da verwundert einen ncihts mehr; ich habe auch durchaus erlebt, dass Kinder und Frauen vom Vater gedemütigt und verletzt wurden, wenn man "dazwischen redete" oder "nicht brav war" - und ich sah Suppenterrinen und Teller auf die Straße fliegen, wenn dem Arbeitsmann das Essen nicht schmeckte. Auch gab es Männer, die Tiere quälten. Ich denke, dass das heute noch ganz genauso ist.

So was vererbt sich in der Regel auch, wenn die nachkommende Generation nicht komplett rebelliert. Meine damaligen Klassenkameraden dürften zum Großteil so weitermachen wie ihre Väter vor 20-30 Jahren; wir hatten letztes Jahr Klassentreffen, da wurde einiges erzählt und es klang glaubhaft.

Wir waren in diesem grässlichen Milieu übrigens eine der wenigen Familien, in denen jeder reden durfte und jeder sich einbringen konnte und wo kein Kind geschlagen worden ist, wo der Umgangston nicht aus Schreien, Pöbeln, Winseln und Anfauchen bestand und man Probleme sauber ausdiskutiert hat.

Und genau deswegen kann ich den Loriot-Humor bis heute nicht ausstehen, wenn man den Film "Pappa ante portas" ausklammert. Mich erinnert Loriot, auch wenn er diese Spießigkeit mehr parodiert hat, immer an meine Heimat und das in einer so unangenehmen und treffenden Weise, dass ich damit große Probleme habe.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

filmfan69 
Beitragsersteller
 08.03.2024, 14:50

Hilfe, das klingt ja schaurig. Ist das eine Schilderung aus den 70ern? Die Gegend war wahrscheinlich hunderte Kilometer von einer Metropole entfernt, oder?

rotesand  08.03.2024, 14:56
@filmfan69

Nein, das ist noch vor rund zehn Jahren so gewesen und ich denke, dass es heute nicht viel anders ist. So was trägt sich ja in die nächste Generation meist weiter und wenn so ein junger Fabrikarbeiter irgendein Bauernmädchen kennen lernt, das den selben rüden Ton und die selbe Familienstruktur gewohnt ist, geht das in die nächste Runde. Großstädte sind gar nicht so weit entfernt, wie man es denken mag - das ist eher so Vorstadtbereich.

Es ist immer eine Frage der Vorbilder: Niemand kommt so auf die Welt, dass er Frauen schlägt, roh und gemein zu Kindern und Tieren ist und andere Leute demütigt und schurigelt, wo es nur geht - das ist alles die logische Folge des Aufwachsens, des eigenen Erlebens und auch des stillen Beobachtens: Wenn der Papa die Mama verhaut, wird das schon richtig sein; der Opa haut ja die Oma immer noch auf die Backe, wenn ihm das Essen nicht schmeckt und sie trägt ihm immer noch den Abfall weg und schmiert ihm das Brot... so ist da die Denkweise.

Ich kann mit Loriot, obwohl er objektiv ein guter Humorist war und was drauf hatte, aus diesem Grund zumeist nichts anfangen. Seine Karikaturen sind witzig und "Pappa ante Portas" ist ein unterhaltsamer Film mit viel Witz und Esprit, aber was er sonst so gemacht hat, "triggert" mich zu sehr.

In vielen Fabriken und auch Handwerksbetrieben wie z.B. Autohäusern war es vor wenigen Jahren noch Standard, dass die Bierflasche neben der Werkbank stand und die Mechaniker bereits nach der Mittagspause halb besoffen waren; kamen sie am Abend nach Hause, waren sie voll und haben die Frauen verklopft, die Kinder, ihre eigenen alten Eltern oder Schwiegereltern oder aber Haustiere oder legten sich mit Nachbarn an. Keiner durfte da auch nur was sagen; wenn es eine Frau tat, wurde sie durchaus auch krankenhausreif geschlagen und sonntags sackte der Arbeiter beim Vaterunser in der Kirche weinend zusammen.

Ich denke immer noch drüber nach, mal ein Buch zu schreiben nach dem Motto "Stolz, kein Dorfkind zu sein". Mal sehen... es wäre halt für jeden ersichtlich, der da noch wohnt, um was und um wen es geht; ich würde die zu gern alle sehen, wie sie mein (hypothetisches) Buch lesen, sich darin wieder erkennen, anschließend mit dieser rosenkranzartigen "ich weiß ja net"-Mentalität daheim beim Abendbrot unter den betenden Dürer-Händen an der Wand drüber debattieren, voreilige Schlüsse ziehen wie immer und die Sachen nicht zuende denken, sie nur nach eigenem Gutdünken bewerten wie es ihnen selber passt, anschließend schön hinterrücks aufeinander losgehen, aber so freundlich und christlich tun - und jeder alles leugnet und sich alle gegenseitig widersprechen.

Ich bin froh, dass ich da raus bin.