Dramatisierung ist der neue Volkssport?

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8 Antworten

Ich denke es haben sich einfach einige Dinge verändert.

Als erstes, dass Dinge wie psychische Probleme angesprochen werden. In der Generation meiner Großeltern und Eltern (also die heute 55-100 Jährigen) gibt es einige die einen Knacks weg haben, aber kaum einer davon würde sich professionelle Hilfe holen. Führt dann dazu, dass deren Kinder teils keinerlei Kontakt mehr zu ihnen wollen. Mein Vater meint selber, dass viele seiner etws ältern Verwandten ein massives Kriegstrauma hatten, was dann teils über merkwürdiges Verhalten an die Kinder und Enkel weiter gegeben wurde. Wie viele der alten Generation trinken (teils täglich) zu viel Akohol? Wie viele haben Schlafstörungen ohne medizinischen Grund? Es gibt dann eben doch diese und andere Anzeichen, dass es denen nicht zwingend gut geht.

Mein Vater hatte mehrere Freunde, die typische Burn-out Probleme hatten (auch teils mit 40h Jobs), aber die wurden vor ein paar Jahrzehnten nicht krank geschrieben, eher sozial gezwungen weiter zu machen weil die Familie von ihnen abhängig ist (inkl. blöder Kommentare von Freunden, weil das eben normal war), viele davon sind unter 65 an Herzinfarkten gestorben, teils sogar schon mit 50 an Leberversagen, weil sie den Druck die letzen 10 Lebensjahre eben mit massivem Trinken kompensiert haben. War das eine bessere Zeit? Oder ist es besser sich nun wie heute Hilfe suchen zu können?

Ich selber gehöre mit 29 vermutlich noch zur letzten Generation, der eine unbeschwerte Kindheit hatte. Über Fernsehen bin ich zwar auch früh mit Bildern und Themen in Kontakt gekommen, die nicht immer Altersgerecht waren, aber Internet und erst Recht Smartphones waren da noch kein Thema. Bei den jüngeren aber schon, sollten 8 Jährige Reals von sterbenen gleichaltigen Kindern in der Ukraine oder Palästina sehen? Gerade wenn es ungefiltert und ohne Hilfe von Erwachsenen passiert, die das mit ihnen besprechen und aufarbeiten?

Die Generationen meiner Eltern zudem den Aufschwung, die Ressourcen wirkten unendlich, es gab immer mehr Fortschritt, Dinge wurden immer günstiger und für jeden erschwinglich, mit einem normalen Mittelstandsjob konnte sich jeder ein Haus leisten. Die Welt heute sieht anders aus, der Planet ist ausgebeutet, durch Medien und Forschung weiß man das auch und es ist täglich in den Medien und macht Angst, man bekommt täglich von jeder Kriegsfront mit, man hat keine sichere Aussicht auf Aufschwung, dass sich jeder bei den jetzigen Preisen ein Haus leisten kann usw., man wächst in einer Welt aus Unsicherheit und fehlender Pespektive auf. Und das, nicht wie früher mit behüteter Kindheit und man erfährt erst im geeignetesn Alter davon, sondern schon als Kind.

Früher sind Kinder damit aufgewachsen, dass es normal ist ein Kind zu sein, draußen rum zu laufen und auch mal laut zu sein. Die Generation von mir und anderen erlebt und erlebte viel Hass der Gesellschaft auf Kinder, das Freibad was seit 50 Jahren dort war wurde geschlossen, weil Anwohner in der Mittagsruhe der Kinderlärm gestört hat. Man wächst als Störfaktor auf, den kaum einer möchte, auch das belastet. Und ja, selbst wenn man nicht total rücksichtslos übertreibt, sondern einfach nur ein Kind ist.

Was ich beispielsweise bei den etwas jüngeren Kollegen und Azubis erlebe ist nicht, dass sie nicht 8h arbeiten wollen, sondern dass sie sich fragen wofür, wenn man sich damit kaum noch was leisten kann. Wenn früher in ihrem Alter ein Mann als Alleinverdiener ein Haus kaufen konnte, sie das jetzt trotz Partner zu zweit nicht mehr können. Dazu klar ist, dass unser Rentensystem bis sie in Rente gehen nicht mehr funktioniert, sie also ordentliche Abgaben zahlen ohne Wissen, ob sie je was bekommen.

Dazu viele auch einfach von ihren Eltern nur Materialismus und Konsum vorgelebt bekommen haben, ihnen nun zu sagen, mit 18 sollen sie plötzlich nicht ihr weniges Geld immer fürs neue Handy ausgeben, wenn sie genau das davor 18 Jahre bei ihren Eltern, deren Freunden und dem ganzen restlichen Umfeld als vollkommen normal gesehen haben, ist kompliziert. Die Ansprüche allgemein sind gestiegen, das stimmt schon, aber viele haben keinen gesunden Weg vorgelebt bekommen damit umzugehen und müssen erstmal ihren Weg finden.

Und das, in einer vollkommen reizüberfluteten Welt, wo immer alles schnell schnell gehen muss, man jederzeit verfügbar sein soll und vieles sehr oberflächlich ist.

Und wenn ich Pratikanten sehen, die denken man würde wer weiß was verdienen und dann enttäuscht sind, wenn die Realität in Ausbildung und danach anders aussieht, dann haben nicht nur sie versagt, sondern insbesondere auch deren Eltern beim Thema finanzielle Bildung.

Dazu ist es bei manchen Jugendlichen auch einfach ein Kampf um Aufmerksamkeit, weil die Familie ihnen nicht genug gibt. Ich bin noch so aufgewachsen, dass man als Kind mal alleine gespielt hat (also alleine oder mit anderen Kindern), aber die Eltern auch viel mit einem gemacht haben. Die etwas jüngeren haben aber zunehmend Eltern, die dann lieber den FIlm schauen wollten oder gar schon die ersten mit Eltern-Handy-Generation, die dann von den Eltern oft ignoriert wurden und selbst von denen oft das Gefühl hatten, Störfaktor statt geleibtes Kind zu sein. Ja, es ist praktisch ein Kind vor dem Fernseher zu parken, auch viele meiner gleichaltirigen Freunde haben das oft erlebt, aber gerade die die es viel durften plus die Eltern sich wenig Zeit genommen haben sind als junge Erwachsene nun die, die Bindungsprobleme haben, immer wieder in schlechte Beziehungen rutschen und denen viel Nähe, Zuspruch und Sicherheit fehlt.

Ich will keinesfalls sagen, dass heute alles besser ist, aber in meinen Augen auch nicht dass es viel schlecher ist, sondern es ist einfach anders. Ein paar Dinge sind besser, ein paar schlechter und viele einfach verändert.


Stellwerk  02.07.2024, 07:22

Schöne, differenzierte Betrachtung!

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Grundsätzlich hast du zwar recht, das Problem ist aber bei weitem noch nicht so ausgeprägt wie du angibst.

Ja, es war ein Fehler die Wehrpflicht auszusetzen. Das hat früher wohl viele junge Männer aus ihrer Wattehülle und Hotel Mama rausgezogen.

Aber es gibt tatsächlich Bereiche in denen das Arbeitsleben tatsächlich unter alle Kanone war und man eigentlich schon lange mal eine "da hab ich kein Bock mehr drauf" Einstellung gebraucht hätte. Handwerk, Pflege, Gastro . Allein der Ton der da teilweise herrscht ist einfach nicht der Bezahlung und Bedeutung angemessen. Das sind die Bereiche, die am meisten unter Fachkräftemange leiden.

Ja, unsere Azubis sind teils schon echt Lieferando und Tiktok verseucht, aber nach ner Ansage geht das dann schon.

Angefangen hat das übrigens schon in den 2010ern. Ein Kollege von der IHK hat mir mal erzählt, dass sie seit dem Aufkommen der MMORPG (Online-Games wie z.b. World of Warcraft) massiv mehr Ausbildungsabbrecher haben.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Verschiedene Funktionen im Beruf(Ersthelfen, SiBe)
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Generation Snowflake. Es gibt aber ein wenig Hoffnung, wie die Europawahl gezeigt hat. Die grüne Sekte verliert an Boden und die Konservativen kommen zurück.


Snack262 
Beitragsersteller
 27.06.2024, 02:49

Unvorstellbar das diese großgewordenen Kinder Häuser bauen sollen wie früher! Den ist doch das Werkzeug schon zu schwer!

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Das Problem sind ja nicht die 8 h Arbeitszeit an sich, sondern das, was da genau vor sich geht (auch das Zwischenmenschliche ist wichtig). In einer Firma mit gutem Arbeitsklima ist das auch kein Problem, aber in einer Firma mit schlechtem Arbeitsklima ist die Sache schon anders, denn man verbringt einen großen Teil seines Lebens im Beruf. Und wenn im Beruf was nicht passt, hat das eine große Auswirkung auf die Psyche.

Und da geht es nicht nur um die körperlichen Belastungen.
Die frühere Arbeitswelt hatte hohe körperliche Belastungen zur Folge, die moderne Arbeitswelt hat dafür höhere psychische Belastungen zur Folge.

Man darf nicht unterschätzen, wie sehr die Online-Welt unsere Psyche beeinflusst (siehe auch hier auf GF, viele haben Angst vor einem Krieg, und das liegt auch daran, dass die Flut an Informationen uns erdrückt).

Auch belastet uns die Tendenz, sehr viel online machen zu müssen im Beruf.
Man trifft die Kollegen seltener. Der Mensch ist aber ein soziales Wesen, und kein Online-Meeting ist ein vollkommener Ersatz dafür.

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8 Stunden am Tag für etwas zu arbeiten ist einfach nichts als ein kapitalistisches Problem. Warum sollten sich Menschen Jahrzehnte lang kaputt arbeiten, nur damit sie die letzten 5 bis 10 Jahre ihre Ruhe haben, wenn sie alt und gebrechlich sind?

Niemand auf dieser Welt, der so lange hart gearbeitet hat ist psychisch einwandfrei!

Die meisten älteren Menschen sind ein soziales Wrack! Heute gibt es für psychische Erkrankungen einfach ein stärkeres Bewusstsein!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Soldat im aktiven Dienst

zalto  26.06.2024, 23:13

8 Stunden pro Werktag zu arbeiten um 24/7 vollversorgt zu leben ist kein Problem, schon gar kein "kapitalistisches".

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Snack262 
Beitragsersteller
 26.06.2024, 22:58

Unser Land ist kein purer Kapitalismus, zieh 1 Jahr lang in bestimmte US-Staaten.

Nichts ist kostenlos

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