Was meint ihr, warum gewinnen Freikirchen so an Zulauf?
Die katholische Kirche wird oft und oft zurecht kritisiert, weil sie zu konservativ ist. Gleichzeitig ist aber, vorallem in den USA, Lateinamerika, Afrika, aber auch in Europa ein Trend zu beobachten, dass immer mehr Jugendliche zu Freikirchen gehen.
Freikirchen unterscheiden sich auf den ersten Blick durch eine wesentlich modernere Liturgie bzw. Abwesenheit von Liturgie. Es werden moderne Lobpreislieder gesungen, es werden flammende Reden gehalten und es können auch mal Bands während des Gottesdienstes auftreten. Das alles ist für viele Jugendliche natürlich ansprechender als die Liturgie der katholischen Kirche. Ich persönlich kenne auch ein paar Jugendliche, die zu Freikirchen gegangen sind, weil dort die Gottesdienste "cooler" sind.
Allerdings vertreten Freikirchen oft ein extrem strenges Weltbild. Die Bibel wird wörtlich genommen. Theologische oder philosophische Bücher werden kaum behandelt, sondern man konzentriert sich allein auf die Bibel, die wahres Worte Gottes ist. Gebote und Verbote in der Bibel werden sehr streng ausgelegt. Die Ablehnung Homosexueller ist wesentlich radikaler als in der katholischen Kirche. (Siehe Brasiliens Präsident, der seinen Sohn verstoßen oder umbringen würde, wenn er schwul wäre.)
Es gibt ein sehr starkes Netzwerk unter den Gläubigen und dadurch eine sehr starke soziale Kontrolle. Vermeintliche Regelverstöße werden angesprochen. Für das Fernbleiben vom Gottesdienst muss man schwerwiegende Gründe aufweisen.
Die Familie eines guten Freundes ist in einer Freikirche. Die Familie ist total nett und ich bin immer froh, wenn jemand christlich ist. Aber viele Brettspiele lehnt die Mutter ab, weil sie unchristlich sind. Ebenso viele Filme oder Lieder. Der Sohn, mittlerweile erwachsen, nabelt sich von diesen Regeln langsam ab.
Aber ich frage mich halt, was so viele Jugendliche in die Freikirchen zieht, wo doch die katholische Kirche geradezu liberal und freigeistig im Vergleich ist.
Konzentriert man sich nur auf die "coolen" Gottesdienste und blendet alles andere aus? Weiß man von der Strenge der Freikirchen? Gefällt diese Strenge sogar? Sieht man Theologie als "Verwässerung" an?
10 Antworten
Ich bin mir nicht sicher ob der Zulauf wirklich so groß ist....
Aber ich bin selbst in der Freikirche und versuche mal die Frage zu beantworten.
- Richtig, es gibt meist keine Liturgie. Sie wird als zu starr empfunden, nicht lebendig genug
- Richtig, die Musik ist moderner und für mich ansprechender, weil sie nicht von Menschen geschrieben wurde, die vor Jahrunderten gelebt hatten. Unsere Lebenswelt hat sich gewandelt und da darf es die Musik auch. Deswegen sind alte Lieder trotzdem manchmal schön und haben viel Wahrheitsgehalt.
- Predigten sind mal mehr oder weniger flammend😅. Ich denke der Unterscheid besteht in der persönlicheren Art und in dem Blick auf den Alltag der Menschen. Aber es gibt auch kath. Prediger die das so machen, z.B. Johannes Hartl. Ein guter Prediger nimmt seine Weisheit, seine Tipps, seine Hoffnung, und seine Freude aus der Bibel und der Beziehung zu Jesus.
- Richtig, das Weltbild ist konservativ. Ich denke, wenn man sich Gott öffnet und eine Beziehung mit ihm sucht, kommt man nicht umhin auch sein Wort genau zu studieren und auf sein Leben anzuwenden. Die Strenge Gottes wird bejaht.
- Soziales Netzwerk: richtig, auch das ist sehr intensiv. Aber das ist auch das Schöne. Wir möchten aufeinander aufpassen und uns umeinander kümmern. Keiner lässt seinen Freund vor die Hunde gehen, und religiös gesprochen kann das auch heißen, man hilft ihm aus Sünden raus und lässt ihn nicht allein. Auch eine Konsequenz aus den Lehren der Bibel.
- kulutreller Einfluss: da gibt es strengere und lockere Freikirchen. Mit Brettspielen, Filmen und Musik wird sehr unterschiedlich umgegangen. Je nachdem wie man Freiheit in Christus auslegt.
Ich empfinde die Gottesdienste in meiner Gemeinde lebendiger als in den großen Volkskirchen. Ich merke, dass keiner aus Tradition oder aus Pflichtgefühl kommt, sondern weil man glaubt, was hier gehört wird. Das macht es anziehend für mich.
Ich bin katholisch aufgewachsen, stehe jedoch mittlerweile, nachdem ich so richtig zum Glauben gekommrn bin, einer bestimmten Freikirche sehr nahe und höre mir regelmäßig die Predigten an.
Es hat viele Gründe, weshalb ich mich von der katholischen Kirche abgewandt habe. Einer davon ist, dass dort der Glaube nicht lebendig ausgelebt wird. Die Kirchenlieder sind sehr veraltet und somit nicht wirklich ansprechend. Die Predigten waren leider nicht alltagsbezogen und ziemlich realitätsfern. Auch die Liturgie ist für mich einfach nicht das wahre. Ein Gottesdienst sollte nicht aus dem Abarbeiten von verschiedenen Punkten bestehen, sondern es sollte genügend Spielraum für das Wirken des Heiligen Geistes vorhanden sein. Auch dass man in traditionellen Kirchen vollständig auf den Einsatz von Technik verzichtet ist in unserer heutigen Zeit einfach nicht mehr zeitgemäß. Sicherlich gibt es einige Außnahmen, aber die große Mehrheit dieser Kirchen passen sich nicht dem Stand der Technik an.
Bei der Auslegung der Bibel sind die evangelische und katholische Kirche ziemlich lau und viele Dinge werden einfach an den aktuellen Zeitgeist angepasst, nur damit nicht noch mehr Menschen aus der Kirche austreten. Für Christen ist nunmal die Bibel die Grundlage des Glaubens und darf nicht verfälscht werden. Das einige Freikirchen die Bibel wortwörtlich auslegen ist jedoch sehr problematisch, denn viele Bibelstellen sind Metaphern oder Gleichnisse. Eine wortwörtliche Auslegung führt zu Radikalismus und Hass gegen andere Menschen (z.B. wie in dem Beispiel mit den Homosexuellen). Ich denke viele junge Leute, die ihren Glauben aktiv leben und auch regelmäßig in der Bibel lesen wissen, wie wichtig die Bibel ist und dass die vielen Regeln nur für unser Wohl sind und uns nicht den Spaß verderben sollen. Ich denke auch in einer Welt, in der wir heutzutage leben, in der es keine Moral mehr gibt und Menschen den einzigen Sinn in vergänglichen Dingen Alkohol, Drogen, exzessives Partyleben, Anzahl der Sexpartner, etc. sehen, sich einige Leute nach gewissen Regeln sehnen. Viele haben gar keinen Plan davon, wie sie ein geregeltes Leben führen sollen, dann geben ihnen die strengen Regeln Halt im Leben.
Soziales Miteinander ist in Freikirche auch ausgeprägter. Es ist wichtig für Menschen, sich gegenseitig über den Glauben auszutauschen. Eine "soziale Kontrolle" ist eher ein Merkmal für eine Sekte und findet in den meisten Freikirchen nicht statt. Es wird zwar ermahnt, wenn sich jemand falsch verhält, aber es wird normalerweise kein Druck auf die Person ausgeübt. Gerade für junge Menschen ist sozialer Kontakt wichtig.
Es gibt wirklich noch viele Gründe, warum Freikirchen mehr Zuwachs bekommen.
Das mit der Strenge kann ich jetzt so nicht für alle Freikirchen bestätigen. Es ist vielleicht auch, weil die klassischen Kirchen überholt sind
warum gewinnen Freikirchen so an Zulauf
Vielleicht tun sie das ja gar nicht...? Vielleicht musst du lediglich mal deine These kritisch auf ihren Realitätsgehalt hin überprüfen?!!! :-)
Sehen wir uns mal stocknüchtern die Zahlen an:
"Die Mitgliederzahlen der katholischen und der evangelischen Kirche gehen seit Jahren zurück. So waren 2013 noch 23 Millionen Deutsche in der evangelischen und 24,2 Millionen in der katholischen Kirche. 2016 waren es noch 21,9 Millionen (evangelische Kirche), beziehungsweise 23,9 Millionen (katholische Kirche). Das sind 1,4 Millionen Mitglieder weniger.
Die beiden größten freikirchlichen Vereinigungen, der Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden und der Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden, haben in der Zeit Mitglieder gewonnen. Zählten sie 2013 noch 130 000 Mitglieder in Deutschland, waren es vier Jahre später bereits 140 000."
Schon irre der "Zulauf"! :-)
Ich bin evangelisch-reformierter Christ. Vor Corona war ich oft in Gottesdiensten von Freikirchen (als Gast) - ganz verschiedenen. In meinem Bekanntenkreis gibt es zahlreiche Personen, die in Freikirchen gehen.
Deshalb kann ich nur sagen, es gibt nicht DIE Freikirchen. Die meisten Gemeinden, die ich kennen lernen konnte, die entsprechen deiner Beschreibung nicht.
Flammende Predigten - Fehlanzeige; Gebote und Verbote die einem das Leben vermiesen - Fehlanzeige; kein Interesse an weltlichen Dingen (zum Beispiel Wissenschaft) - Fehlanzeige....
Ich weiss, es gibt solche Freikirchen. Man erkennt die Mitglieder meist an dem, was sie tragen.
Was macht die Gemeinden für junge Leute attraktiv? Predigten, die den Bezug zum Alltag haben. Die die aktuellen Probleme von Menschen aufnehmen. Die den Bezug zur Bibel haben. (Einer "meiner" evangelischen Pfarrer hielt super-tolle Predigten, aber es gab kaum einen Bezug zur Bibel.) Es gibt keine Orgeln, sondern zeitgemässe Instrumentalbegleitung. Die Lieder begeistern (gut für mich manchmal etwas zu viel heile Welt). Die Gemeinschaft ist ein wichtiges Thema. Man trifft sich, hilft sich, trägt gemeinsam Lasten.
Zwei Beispiel, damit man sieht, was ich meine:
Orgel kann ziemlich zeitgemäß spielen, die Leute tun es nur nicht, Warterloo auf der Orgel war echt mal ein Erlebnis, die Möglichkeiten dieses Instruments werden gewöhnlich nicht ausgeschöpft.