Warum regen sich so viele über "unverdiente" Sozialleistungen auf, obwohl diese im Wirtschaftssystem fast keine Rolle spielen?

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo Parthenoz,

ich biete mal eine ungewöhnliche Sichtweise auf dieses Thema an, von der ich aber sicher bin, dass sie einen großen Teil dieser Aufregung erklärt.

Und zwar hängt das mit unserer Bewertung von Arbeit zusammen. Die meisten Menschen bewerten Arbeit als etwas in irgendeiner Art Unangenehmes, Negatives, das man machen muss, um dafür etwas "Positives" zu bekommen, nämlich Geld (bzw. das Geld kann dann in etwas Positives ausgetauscht werden).

Also: Tue etwas für dich Negatives (Arbeit) um etwas Positives (Geld) zu "verdienen"!

In unserem System ist tiefgreifend verankert, dass Arbeit sein muss, im Notfall auch mit Zwang, und das Arbeit über vielem anderen steht - auch im Zweifelsfall über der eigenen Gesundheit. Das stammt übrigens noch aus der Industrialisierung und der These, dass der Mensch von sich aus "faul" sei. Was nicht stimmt, wie die Psychologie heute weiß, aber diese Erkenntnis konnte die alten, krustigen Strukturen noch nicht aufbrechen. Tatsächlich strebt der Mensch inhärent nach Selbstverwirklichung und hat viele verschiedene Bedürfnisse, die in Arbeit erfüllt werden können - wenn es eine wertschätzende, positive Arbeit ist. Das ist eben das Problem: Wenn Arbeit als etwas Nerviges, Negatives gestaltet wird, dann muss man Menschen dazu bringen, das gegen ihren Willen zu tun - Anreize setzen (Geld, Karriere, Ansehen usw.) oder eben mit Androhung von Strafe, im Zweifelsfall ein Entzug der Lebensgrundlage. Die Folge ist dann natürlich vor allem Missgunst, wenn es jemandem "gelingt", das Positive zu bekommen, ohne das Negative ableisten zu müssen.

Meine These ist dadurch gestützt, dass vor allem jene Menschen, die keine erfüllende Arbeit erleben dürfen, am häufigsten gegen Arbeitslose schießen.

Die Lösung wäre, Arbeit nachhaltig als etwas Positives zu gestalten, das man tun darf. Es gibt ja schon Menschen, die Arbeit als etwas sehr Erfüllendes erleben - und das sollte es ja auch sein, wenn wir so viel Zeit unseres Lebens damit verbringen. Arbeit bringt soziale Kontakte mit sich, das Gefühl, etwas beitragen zu können, ein Bereich, in dem man seine Stärken einsetzen und weiterentwickeln kann und ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein. Gerade für anspruchsvolle Berufe braucht es eine Wertschätzung - monetär wäre der erste Schritt, z. B. eine bessere Bezahlung für Kranken- und Altenpfleger*innen usw. Das muss aber nicht nur für Lohnarbeit gelten - es kann auch z. B. für Care-Arbeit gelten!

Wenn Arbeit etwas Komplementierendes ist, etwas, was uns vollständig macht und in dem jeder seine Stärken mit einbringen kann, damit unsere Gesellschaft vorankommt, dann postuliere ich, dass kaum jemand mehr arbeitslos sein wollen würde. Zur Zeit wollen wenige arbeitslos sein, weil es geächtet ist und weil einem dann Strafen drohen. Aber wenn wir Arbeit als etwas Erfüllendes kreieren und erkennen würden, wie viel Arbeitslosen dann entgeht, dann würden wir sie nicht verächtlich, sondern mit Mitleid behandeln.

Diese Gedanken sind aber für viele Menschen bis jetzt noch nicht denkbar. Der Gedanke der Dressur ist da sehr tief eingebrannt. Wer aus der Reihe tanzt und sich gegen eine entwürdigende, unpassende Arbeit wehrt, der muss bestraft werden. Aus meiner Sicht total kontraintuitiv, aber natürlich notwendig, solang die Prämisse im Raum bleibt, dass Arbeit etwas Unliebsames ist.

Liebe Grüße!

Das ist seltsamerweise eine Art Neiddebatte.

Leute die zu wenig verdienen werden gegen Empfänger von Sozialleistungen gehetzt und springen darauf an anstatt sich darüber aufzuregen, dass sie so niedrige Löhne haben.

Diese Kampagne fahren Bild und CDU seit langem und die AfD macht jetzt auch mit.

Die SPD war auch nicht immer frei davon. Der Spruch: "Es gibt kein Recht auf Faulheit." stammt von Gerhard Schröder zur Einführung von HartzIV. Der miese Satz von 345€ zu Beginn, anstatt 590€ wie es im Entwurf von Peter Hartz stand, geht auf das Konto der CDU, die damals die Mehrheit im Bundesrat hatte.

Wäre das nicht gewesen wären wir jetzt nicht bei 563€, sondern bei realistischen 850 €.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Langjährige Erfahrung in der Parteipolitik und als Reporter

Die Sozialleistungen in unserem Haushalt sind der grösste Faktor von allen.

Es geht auch um Gerechtigkeit. Warum sollen Menschen die arbeiten für Faulenzer mitarbeiten?

Eine "Tatort"-Folge kostet bis zu 2 Mio. Euro, obwohl die Meisten sich diese nicht mal anschauen ...

Die Gesamtkosten der Tatort-Produktionen liegen nach Angaben der ARD meist bei 1,5 bis 1,7 Millionen Euro pro Folge.15.12.2023

Diese Filme werden in die ganze Welt verkauft, sie werden gesehen!

Die einkaufsstärksten Länder sind Frankreich, Italien, Spanien sowie die in Skandinavien, Benelux und Osteuropa. Grundsätzlich gilt für die Auslandsverkäufe: Klassiker verkaufen sich am besten, Krimis sind nach wie vor stark gefragt.


Parthenoz 
Fragesteller
 27.04.2024, 14:58

"Es geht auch um Gerechtigkeit. Warum sollen Menschen die arbeiten für Faulenzer mitarbeiten?"

Ich glaube, es ist egal, wie viel du arbeitest, du könntest niemals die "Arbeit" eines Kindes in Afrika für deinen Kaffee [oder deine Schokolade] damit aufwiegeln ://

Deutschland ist "reich", weil es auf Kosten der Welt lebt, wo ist da der Unterschied?

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Parthenoz 
Fragesteller
 27.04.2024, 15:06
@Skywalker17

Ich wollte damit sagen ...

  • Du isst Fleisch? Du lebst auf Kosten der bemitleidenswerten Tiere in der Massentierhaltung ...
  • Du isst Schokolade? Du lebst auf Kosten der unterbezahlten Arbeiter in afr. Ländern ...
  • Du trinkst Milch? Du lebst auf Kosten der Kühe, die auf Milchproduktion getrimmt werden ...
  • Du hast ein Smartphone? Du lebst auf Kosten der Kobalt-Abbauer in Afrika ...
  • usw.

JEDER lebt auf Kosten anderer ...

Also was ist jetzt Gerechtigkeit? :/

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Skywalker17  27.04.2024, 16:38
@Parthenoz

Also jeder ausser den Tieren wird bezahlt für seine Leistung und Produkte.

Wenn die Arbeiter in den jeweiligenn Ländern nur einen schlechten Lohn bekommen, dann ist das Schuld der dortigen Länder. Wo alles auf Korruption basiert.

Die Faullezer die nicht arbeiten wollen tun aber garnichts dafür, sondern lassen andere arbeiten für sich.

Ausserdem entschuldigt ein Unrecht nicht das andere.

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Der Vergleich mit der Tatort-Folge hinkt. Wenn jemand 2 Millionen Euro hat und er dafür eine Tatort-Folge produziert ist das sein Recht und absolut legitim. Das Geld der Sozialleistungen stammt jedoch von der harten Arbeit der restlichen Bevölkerung und das kann ich nachvollziehen, dass man da empört darüber ist, dass das Geld was man erarbeitet hat verschenkt wird.


woflx  27.04.2024, 15:05

Der Tatort wird von den ARD-Sendeanstalten produziert, also über zwangsweise erhobene Gebühren finanziert, das wäre der gewichtigste Einwand gegen solche Produktionen.

Daß der Vergleich trotzdem albern ist, steht außer Frage, schließlich landet auch das Geld, das für Filmproduktionen ausgegeben wird, irgendwo in der Wirtschaft.

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Skywalker17  27.04.2024, 16:49
@woflx

Die Produktionen rechnen sich, da sie in viele Länder verkauft werden.

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"Jeder Flüchtling u. jeder Arbeitslose etc. gibt sein Geld wieder aus - das heißt, er speist es wieder in die "Wirtschaft" ein und hilft dieser somit ..."

Glückwunsch, Du hast das Perpetuum Mobile erfunden. Deiner Logik folgend, müsste man dem genannten Personenkreis noch mehr Hilfen auszahlen und schon brummt die Wirtschaft.


Parthenoz 
Fragesteller
 27.04.2024, 23:35

Warum "Perpetuum Mobile"? Ich wollte damit nur sagen, dass die Flüchtlinge/Arbeitslose bei Weitem nichts damit zu tun haben, dass in Deutschland das "Geld" fehlt - das Problem kommt eher von oben, also bitte nicht nach "unten Treten" ...

Die Umverteilung ist Mist, nicht mehr und nicht weniger ...

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