Substitutionsprodukte bei elektrophiler aromatischer Substitution?

2 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

Moin,

am einfachsten ist dir bei Aufgabe a) zu helfen.

Du hast doch selbst geschrieben, dass die Carboxygruppe einen –M-Effekt hat. Sie ist bei einer Zweitsubstitution am Benzenring daher meta-dirigierend.
Die Hydroxygruppe hat zwar einen –I-Effekt, aber dafür einen +M-Effekt, der den I-Effekt überwiegt. Die Hydroxygruppe ist daher ortho- oder para-dirigierend.

Soweit, so klar...

Nun liegt ein Benzenring vor, der bereits zwei Substituenten hat, nämlich einmal eine Carboxygruppe an C1 und dann eine Hydroxygruppe an C2. Wenn es nun zu einer weiteren elektrophilen Substitution kommen soll, dann wird diese Substitution an C3 oder C5 stattfinden, denn diese Kohlenstoffatome liegen in meta-Position zur Carboxygruppe und gleichzeitig in ortho- bzw. para-Position zur Hydroxygruppe. Das passt gut zusammen.

Was die Nitrogruppe (–NO2) angeht, so musst du wissen, dass man die Kombination von konzentrierter Salpetersäure mit konzentrierter Schwefelsäure auch als „Nitriersäure” bezeichnet. Die stärkere Schwefelsäure drückt dabei (reversibel) der ebenfalls starken Salpetersäure ein Proton auf:

HNO3 + H2SO4 ⇌ H2NO3+ + HSO4

Die auf diese Weise protonierte Salpetersäure spaltet daraufhin Wasser ab, wodurch ein Nitronium-Ion entsteht:

H2NO3+ ⇌ H2O + NO2+

Das Nitronium-Ion (NO2+) ist dann ein sehr starkes Elektrophil, das den bereits substituierten Benzenring angreift und eine typische elektrophile Substitution durchführt. Dabei kommen dann an C3 und C5 nitrierte Derivate heraus.

Zu b)
Hier guckst du natürlich nicht mehr auf ortho-, meta- oder para-Positionen, weil der Benzenring ja gar keinen Erstsubstituenten trägt, der irgendeine dirigierende Wirkung haben könnte.
Bei dieser Reaktion geht es also nur um eine ganz normale elektrophile Substitution am Benzenring.
Na ja, dann bleibt nur noch die Frage, wer das Elektrophil ist!? Und da kommt der Heterozyklus ins Spiel. Das ist nämlich das Anhydrid der Butandisäure („Bernsteinsäure”).

Wenn Butandisäure Wasser abspaltet (Anhydrid = ohne Wasser), dann bildet sich Butandisäureanhydrid (Bernsteinsäureanhydrid). Das ist im Grunde eine intramolekulare Veresterung.

Und ein solch cyclisches Anhydrid kann mit Säuren in Anwesenheit von Wasser auch wieder geöffnet werden (saure Hydrolyse). Das kannst du mit einer Lewis-Säure wie Aluminiumchlorid (AlCl3) oder mit normalen Brønsted-Lowry-Säuren (Protonendonatoren; H+) machen.

Die Ringöffnung lässt ein Elektrophil entstehen, dass dann in einer normalen elektrophilen Substitution am Aromaten reagiert.

Das ist schon alles...

Zu c)
Das ist in der Tat etwas heikel. Und hier würde ich dir auch zustimmen, dass man als Otto-Normal-Student auf diese Lösung nicht so ohne weiteres kommen kann.

Der Punkt ist hier, dass du einen dreifach substituierten Benzenring vor dir hast. Die Substituenten sind zwei Nitrogruppen (–NO2) sowie ein Halogen (–F, –Cl, –Br oder –I). Die Nitrogruppen haben einen –I- und einen –M-Effekt. Sie verringern also kräftig die Elektronendichte des aromatischen Systems und sind schlecht für die Reaktivität (deaktivierende Wirkung).
Der Halogensubstituent hat immerhin ebenfalls einen –I-Effekt, was die Elektronendichte im Benzen noch einmal verringert (den +M-Effekt lasse ich jetzt einmal unberücksichtigt).
Insgesamt führen also alle drei Substituenten zu einer mehr oder weniger starken Deaktivierung des aromatischen Systems.

Das Piperidin (der Heterozyklus mit dem sekundären Stickstoffatom) ist jetzt auch nicht gerade der „Burner” unter den Elektrophilen.

Deshalb ist zu erwarten, dass eigentlich keine elektrophile Substitution am Aromaten möglich sein sollte (deaktivierter Aromat und schwaches Elektrophil).

Tja, aber hier kommt noch einmal der Halogensubstituent ins Spiel. Halogene sind nämlich auch ganz gute Abgangsgruppen (je größer das Halogenatom, desto besser ist es als Abgangsgruppe). Und das bedeutet, dass das schwache Elektrophil Piperidin das Halogenatom als Substituent ersetzen kann. Das bezeichnet man als ipso-Angriff (ipso = selbst). Das bedeutet, dass ein Substituent einen anderen, bereits vorhandenen Substituenten an der selben Stelle ersetzt.

Aber um darauf zu kommen, muss man tatsächlich schon über etwas Erfahrung verfügen. Ich glaube übrigens auch nicht, dass das mit Fluor als Substituenten funktionieren würde. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Ich hoffe, du hast alles nachvollziehen können. Und nicht verzagen, irgendwann hast auch du die nötige Erfahrung gesammelt, so dass dir das alles weniger befremdlich vorkommen wird. Bis dahin Kopf hoch (und zum Beispiel weiterhin hier nachfragen)...

LG von der Waterkant


MeisterRuelps, UserMod Light  18.06.2023, 09:34

c ist meines Erachtens eine normale nukleophile arom. Substitution. Du hast. Eine gute Abgangsgruppe und eine EWG unter anderem entgegen gesetzt zur LG. Piperidin ist ein brauchbares Nucleophil

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DedeM  18.06.2023, 11:06
@MeisterRuelps, UserMod Light

Ja, eben. Es kann keine elektrophile Substitution sein (deaktivierter Aromat und kein brauchbares Elektrophil). Also muss es einen anderen Mechanismus geben.

Und weil Halogenatome eine Abgangsgruppe darstellen, kommt eine nucleophile Substitution in Frage. Das hatte er ja schon in seiner Frage (durch die Lösung) herausgefunden. Ich wollte ihm ja nur erklären, wieso das so ist. Abgangsgruppe und freies Elektronenpaar am Stickstoff - nucleophile Substitution...

Deine Anmerkung bringt also keinen Mehrwert, oder?

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MeisterRuelps, UserMod Light  18.06.2023, 11:16
@DedeM
Deine Anmerkung bringt also keinen Mehrwert, oder?

Doch nur wieso komplizierter machen, als es ist. Einfach sagen, dass ein nuc Angriff vorliegt, fertig und Piperidin ist kein Elektrophil.

Nun ja, du hattest behauptet, dass das schwache Elektrophil Piperidin das Halogenatom als Substituent ersetzen kann, was nicht stimmt (m.W.), das Elektronenpaar am Stickstoff ist eher ein Anzeichen für ein Nuc. Hier ist kein ipso-Mechanismus vorhanden, der für eine elektrophile arom. Subst spricht. Tatsächlich liegt hier die o.g. SN(arom) vor, da gibt es keine ipso-Subst

....hier würde ich dir auch zustimmen, dass man als Otto-Normal-Student auf diese Lösung nicht so ohne weiteres kommen kann.

halte ich für ein Gerücht, das ist Thema in OC2 und ein simpler Mechanismus

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DedeM  18.06.2023, 11:39
@MeisterRuelps, UserMod Light

Aber er kommt doch offensichtlich gedanklich von der elektrophilen Substitution am Aromaten (also der typischen aromatischen Substitution) und wundert sich, dass hier eine nucleophile Substitution erfolgt. Wenn ich das empathisch aufgreife, braucht er eine Erklärung, warum gerade keine elektrophile Substitution vorliegen kann.

Da schlicht zu sagen: „Das ist eine einfache nucleophile Substitution.” reicht meiner Meinung nach nicht, weil er das durch die Lösung bereits selbst wusste... Das wäre für ihn eine Tautologie.

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MeisterRuelps, UserMod Light  18.06.2023, 11:42
@DedeM

Naja in Uni-Klausuren hast Du das Material vom gesamten Semester, da ist alles gemischt, das ist oft verwirrend, da stimme ich Dir zu.

Aber mit ipso hat das nichts oder nur sehr wenig in diesem Moment zu tun, das ist hier mehr verwirrend, als hilfreich. Das mag bei der arom. E+ Subst super passen (s.o.)

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Jensek81 
Beitragsersteller
 18.06.2023, 16:36
@DedeM

Erstmal Danke Danke und nochmal danke für die ausführliche Erklärung DedeM. Ich glaube selten hat sich jemand ein Sternchen so sehr verdient wie hier.

Zu der kleinen Diskussion : Also die Klausuraufgabe hat die Überschrift "Elektrophile aromatische Substitution". Unser Dozent meinte selbst, daß die Aufgabe c) irgendwie blöd gewählt wurde und eigentlich nicht ganz reingehört ^^.

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a) -NO2 ist nur die Nitrogruppe. Man erhält NO2+ aus Protonierung und Dehydratisierung der HNO3. Entsprechend erhält man NO+ mit HNO2 (salpetrige Säure, Nitrite). Das ist ein Gleichgewicht in der Nitriersäure, echt ätzendes Zeug.

-M/-I bedeutet, dass Elektronendichte aus dem Ring abgesaugt wird. Ich kenne es so: bei -M immer meta.

b) Bernsteinsäureanhydrid. Klassiker.

Man kann Anhydride und auch manche Ester als schwächeres Säurechlorid (-COCl) auffassen. Die entsprechen alle formal -CO+ und sind durch die planare Struktur gut zugänglich.

Anhydride sind sehr reaktiv und hydrolysieren schnell.

Du musst an Ringreaktionen kennen: Säurechlorid/Halogenid (Friedel-Crafts-Alkylierung/Acylierung) oder Säureanhydrid plus Lewis-Säure (AlCl3, FeCl3, H+...).

c) nukleophile aromatische Substitution ist schwierig, selten und hat auch keinen festen Mechanismus. Es widersetzt sich sämtlicher Intuition. Im Clayden ist ein gutes Kapitel, wo ein -F mit -NO2 substituiert wird, ich glaube, dass es "vicarious nucleophilic substitution" hieß.

Ein Arinmechanismus (Eliminierung, "Benzin" mit Dreifachbindung als Zwischenprodukt) erscheint mir durch die Stellung der Nitrogruppen unwahrscheinlicher. Base wäre aber vorhanden.

Hier sind alle SNAr-Mechanismen: https://en.wikipedia.org/wiki/Nucleophilic_aromatic_substitution

Letztendlich ist es Übung, Übung, Übung, als Chemiestudent sind das Fingerübungen, die man definitiv können muss, da das Reaktionen sind, die im Multitonnenmaßstab ablaufen. Aber den letzten Fall müsste ich auch nachgucken.

ich hoffe, dass ich weiterhelfen konnte.


Jensek81 
Beitragsersteller
 18.06.2023, 14:44

Vielen Dank, ja das hat sehr geholfen.

Ich bin mir nur noch nciht ganz sicher bezühglich "Vicarious nucleophilic substitution" bei der c). Da haben wir NO2. Das hat einen "-M" Effekt. Schiebt also Elektronen aus dem Ring. -M heißt "Meta"-Angriff. Trotzdem erfolgt jetzt die nucleophile Substitution am Chlor, also Ortho zum NO2. Für mich kling das irgendwie nach ner stinknormalen nucleophilen Substitution ("Halogen abspalten -> Nucleophil dranhängen) und ich kann das schwer mit diesen 6 SnAr-Mechanismen in einklang bringen

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ZitrusLiebe  18.06.2023, 16:55
@Jensek81

Damit hast du recht. Vicarious nucleuphilic substitution war ein anderer Mechanismus. Mir sieht es auch nach stinknormaler SnAr mit Additions-Eliminationsmechanismus aus. aus. Wie gesagt, es gibt ein Beispiel mit Fluor als Abgangsgruppe (!) im Clayden.

Denkbar wäre auch der Arinmechanismus, der hat aber folgende Schwächen: das Proton ist an einem meta-C mit viel Elektronendichte und Amine sind zu schwache Basen.

Schau hier ab S. 514: (gecrackte pdf vom Clayden)

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