Moin,
ja, ja, die Benennungen von Substanzen... Ein Kapitel für sich.
Der Name Benzol leitet sich aus dem Arabischen ab. Dort hieß „luban dschawi” übersetzt etwa „Weihrauch aus Java” und zielte darauf ab, dass es ein Stoff mit einem wohlriechenden Aroma war (daher auch die Bezeichnung Aromat für derartige Stoffe).
Die arabische Bezeichnung wurde in Italien zu »benjui« und daraus wurde dann „Benzol”. Das bedeutet, dass die Bezeichnung „Benzol” historisch gewachsen ist. Solche historischen Namen bezeichnet man auch als „Trivialnamen”. Sie sind oft so alt oder so weit verbreitet, dass man gegen sie kaum noch ankommt. Deshalb werden sie einfach traditionell beibehalten.
Beim Benzol hat man später versucht, der Sache wenigstens dadurch etwas entgegen zu kommen, dass man nach dessen Strukturaufklärung aus der älteren Bezeichnung „Benzol” die neuere Bezeichnung „Benzen” machen wollte. Das tat man, weil man - genau wie du jetzt - bemerkte, dass es im Benzol gar keine Hydroxygruppe gibt, so dass die Endung „-ol” als unpassend empfunden wurde und stattdessen lieber die Endung „-en” (wegen der Doppelbindungen) angemessen erschien. Doch diese durchaus nachvollziehbare Umbenennung gelang nur mit mäßigem Erfolg.
Heutzutage ergeben der gleichzeitige Gebrauch von „Benzol” und „Benzen” eine wilde Mischung in unterschiedlichen schriftlichen Werken, die es einem Lernenden schwerer macht.
Das Wort „Benzen” hat darüber hinaus noch die Schwierigkeit, dass es im englischsprachigen Raum zu „Benzene” wird, das man »benzin« ausspricht. Doch das erweckt bei deutschsprachigen Menschen noch einmal eine völlig andere (und falsche) Assoziation zum Treibstoffgemisch Benzin.
Dein Vorschlag, das Ganze als Cyclohexa-1,3,5-trien zu bezeichnen und damit einen systematischen IUPAC-Namen zu benutzen, ist nicht möglich, weil das nur ginge, wenn es lokalisierte Doppelbindungen gäbe (wie du ja schon selbst kritisch hast anklingen lassen).
Doch das würde bedeuten, dass Benzol ein asymmetrisch gebautes Molekül sein müsste:
weil die C=C-Doppelbindungen mit 133 Å kürzer als C–C-Einfachbindungen mit 145 Å sind. Tatsächlich sind aber alle C-C-Bindungen im realen Benzolring vollkommen gleichwertig in Länge (139 Å) und Charakter, gerade weil die pi-Elektronen delokalisiert sind.
Insofern ist deine Einschränkung: „Wären die Elektronen der Doppelbindungen nicht delokalisiert...” vollkommen richtig und bildet den Schlüssel dafür, warum man den Stoff nicht als Cyclohexa-1,3,5-trien bezeichnen kann.
Im Falle des Anilins war es so, dass es einerseits eine farbige Flüssigkeit war, andererseits zur Herstellung weiterer Farbmittel und Farbstoffe verwendet werden konnte. Das führte ab 1840 dazu, dass die Substanz ihren Trivialnamen Anilin erhielt. Das portugiesische Wort „anil” bedeutet so viel wie „Indigo” (ein anderer Farbstoff).
Obwohl im Phenol tatsächlich mal eine Hydroxygruppe enthalten ist, hat auch hier dieser Umstand nichts mit der Bezeichnung zu tun. Die Substanz wurde um 1834 und dann noch einmal 1841 aus Steinkohlenteer isoliert. Auf dem Wege zur Produktion von Kohle entstand unter anderem auch Leuchtgas (Stadtgas), das man damals zur Beleuchtung von Straßen in Städten einsetzte (das heute benutzte Erdgas wurde erst später zum Stadtgas).
Dieses Leuchtgas erhielt schließlich von C. Gerhardt die Bezeichnung Phenol, was sich aber vom griechischen Wort »phainomai« (= leuchten) herleitet und nicht von dem Umstand, das darin eine alkoholische Hydroxygruppe enthalten ist.
Was die Begriffe „Aminobenzol” (oder „Benzolamin” für Anilin) oder „Hydroxybenzol” (für Phenol) angeht, so benutzt man hier lediglich den Trivialnamen „Benzol” (siehe oben) und setzt die funktionelle Gruppe daran (einmal die Aminogruppe, das andere Mal die Hydroxygruppe). Im Falle des Anilins kommt es dann noch einmal darauf an, ob du den Charakter der funktionellen Gruppe („Benzolamin”) oder den aromatischen Ring („Aminobenzol”) als Stamm in den Vordergrund rücken willst.
Immer wenn es um „thio” geht, ist Schwefel (anstelle von Sauerstoff) im Spiel. Deshalb ist die –SH-Gruppe im Thiophenol anstelle einer Hydroxygruppe am Benzolring.
In keinem der Fälle hat das „-ol” irgendeinen systematischen Bezug, sondern leitet sich immer aus der historisch gewachsenen Bezeichnung des Benzols ab.
Insofern ja, Begriffe wie „Benzol”, „Benzen”, „Aminobenzol” oder „Benzolamin”, „Hydroxybenzol”, „Phenol” oder „Thiophenol” musst du einfach zusammen mit den dazu gehörenden Formeln wie Vokabeln lernen.
Wenn du das jetzt blöd findest, tja, so ist das nicht zu ändern. Aber zur Beruhigung sei gesagt, dass die IUPAC den Stoff Wasser systematisch als „Oxidan” bezeichnet. Doch das macht im deutschsprachigen Raum wirklich niemand so.
Im Gegenteil, gehe mal in ein Restaurant und sage zum Ober, du hättest gern ein Glas Oxidan! Dann glauben die Leute in dem Laden, dass du Drogen kaufen willst.
Du siehst, nicht immer ist die Verwendung von IUPAC-Namen besser geeignet. Manche der Trivialnamen sind eben so verbreitet, dass man das nicht mehr aus den Menschen herausbekommt.
Und an die völlig unsystematischen Bezeichnungen von Methan, Ethan, Propan, Butan, Wasser, Ammoniak (IUPAC: Azan)... hast du dich doch auch gewöhnt, oder?
Kopf hoch, das wird schon...
LG von der Waterkant