Interessieren sich Deutsche heutzutage überhaupt noch für das Konzept der Ehre?

7 Antworten

Ich persönlich (ich bin Deutscher) lege keinen Wert auf Ehre, und habe überhaupt kein Verständnis für jegliche Art von Ehrenkultur. Ich lehne so etwas strikt ab.

Ganz entschieden widersprechen möchte ich Deiner Darstellung, dass solche Tugenden wie Anstand, Moral, ethische Prinzipien etc. unbedingt mit dem Konzept der Ehre verbunden wären.

Während in vielen Kulturen Ehre noch immer eine zentrale Rolle spielt, wird in Deutschland oft mehr Wert auf Individualismus und persönliche Freiheit gelegt.

Wo genau ist denn mein Ehrgefühl, wenn ich nicht frei bin und für mich selbst entscheide? Wo ist meine Ehre, wenn ich nicht für mich selbst spreche, sondern in einer Gruppe untertauche?

Ehre ist für mich etwas sehr Eigenes, Individuelles; deshalb verstehe ich nicht im Ansatz, warum du sie hier im Kontrast zu Dingen wie Selbstverwirklichung setzt.

Du kannst über Eigensinn vs. Gemeinsinn diskutieren. Das hat aber mit Ehre nicht viel zu tun.

Der Begriff der Ehre wird mittlerweile auch negativ konnotiert, siehe Ehrenmord, und hat häufig auch etwas mit Egoismus zu tun.

In der modernen deutschen Gesellschaft scheint das Konzept der Ehre zunehmend in den Hintergrund zu treten.

Was ist denn "das Konzept der Ehre" konkret? Mir scheint, dass das erklärt werden muss, bevor man diesen emotionalen Eindruck teilt oder ablehnt!

Während in vielen Kulturen Ehre noch immer eine zentrale Rolle spielt,

Man müsste klären, was in den verschiedenen Kulturen unter "Ehre" verstanden wird. Gerade in rückständigen Kulturen wird "Ehre" oftmals missverstanden und artet zu Verbrechen aus!

wird in Deutschland oft mehr Wert auf Individualismus und persönliche Freiheit gelegt.

Das sind Grundrechte, auf die selbstverständlich in Deutschland großer Wert gelegt wird! Außerdem kommt in Deutschland der Gleichberechtigung von Mann und Frau zentrale Bedeutung zu, die von einer Reihe anderer "Kulturen" sträflich vernachlässigt wird!

Traditionelle Werte wie Respekt, Treue und Ehrgefühl verlieren an Bedeutung,

Nein.

da die Gesellschaft immer mehr auf Selbstverwirklichung und persönliche Erfolge ausgerichtet ist.

Noch einmal: das sind Grundrechte! Ihre Wahrnehmung bedeutet keineswegs, dass sie in Rücksichtslosigkeit und Egoismus ausarten müssen!

Dies führt dazu, dass das Verständnis von Ehre und moralischem Anstand oft vernachlässigt wird.

Die Grenzen der "Moral" und auch der Beeinträchtigung der persönlichen "Ehre" werden in den (straf-)rechtlichen Bestimmungen umschrieben.

Die Folge ist eine Kultur, in der persönliche Interessen und materielle Werte häufig über ethische Prinzipien gestellt werden.

Häufig? Eher in Einzelfällen! Gerade "ethische Prinzipien" genießen in Deutschland einen hohen Stellenwert!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.

Richtig ist, dass Ehre eher in Kulturen wichtig ist, bei denen die Gruppe (Familie, Staat) über dem Einzelnen steht. Also beispielsweise beim Ehrenmord. Ich persönlich ziehe eine Gesellschaft vor, in der das Individuum seinen eigenen Wert hat.

Ehre ist aber auch aus einem anderen Grund aus der Mode gekommen. Bei der Ehre geht es um die Sichtweise der Außenstehenden. Was sagen die Nachbarn ...

Alle Untaten, die verschleiert werden können, sind auch nicht ehrenrührig. Es geht nicht um Schuld, es geht nur um das Ansehen.

Eine große Wende brachte Luther, der die abendländische Kultur durch die persönliche Verantwortung vor Gott geprägt hat, was heute auch die Atheisten ähnlich empfinden. Klassische Katholiken und Muslime können alles machen, nur dürfen sie sich nicht erwischen lassen.


Silo123  02.06.2024, 18:18

Wenn ich Deinen Kommentar lese, merke ich echt, daß ich eine Dinosaurierin bin. für mich zählt der Begriff der "Ehre" durchaus noch.. "Ehre" bedeuted für mich, sich an das gegebene Wort zu halten, andere nicht zu übervorzuteilen.

"Ehre" ist für mich ein Begriff der Wahrhaftigkeit, auch Ehrlichkeit.... Z.B. ist gegen meine "Ehre" ein Haus mit mit mir bekannten versteckten Mängeln zu verkaufen, gegen die Arglist, die zum Glück noch immer ein Straftatbestand ist. Aber dieser Straftatbestand würde bei einem Gefühl der "Ehre" gar nicht eintreten können. Für MICH ist "Ehre" wichtig und wenn ich meine "Ehre" verlieren würde, wäre das schlimm für mich.

Was die Nachbarn zu mir sagen ist mir ziemlich egal, solange ich nicht als" ehrlos " gelte.

Ich habe tatsächlich noch den Begriff der "Ehre", der heute schon als überkommen gilt: Ehre bedeutet für mich, sich an das gegebene Wort zu halten, niemanden zu übervorzuteilen. Aber ich merke tatsächlich immer mehr , daß ich eine Dinosaurierin bin.

"Ehrenmorde" sind schon in sich ein Absurdum. Im Schlimmsten Fall würde man den/die Delinquentin/ten versuchen in ein wieder adäquates zurückzuführen.

Für MICH löst das aber gar nichts aus- jeder soll seiner Facon nach glücklich werden.

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Geraldianer  02.06.2024, 20:14
@Silo123

Dann hast du aber einen anderen Begriff von Ehre, der eher auf Eigenverantwortung oder (Un-)Schuld beruht. Und damit meiner Vorstellung durchaus nahekommt.

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