Ich zitiere mal diesen Abschnitt aus dem Aufsatz eines Professors für Vergleichende Religionswissenschaft, welcher darauf bezug nimmt.
"(..)
Der Koran nennt bekanntlich in der ersten Sure, Al-Fatihah, als erste Eigenschaft Allahs nicht Allmacht, sondern rahman und rahim.
Die Wurzelbedeutung beider Wörter ist '[Leben schenkender] Mutterleib, Gebärmutter'!
Von diesem durchaus anatomischen Begriff leitet sich dann z.B. das arabische Verb rahma, d.h. 'zärtlich lieben' oder in Urdu das Substantiv rahm, d.h. 'Zärtlichkeit' ab.
Diese Bedeutungsabwandlung ist leicht erklärlich: Eine Mutter liebt zärtlich, was sie geboren hat.
Damit hängt zusammen, daß das arabische Verb rahima auch die Bedeutung 'sich erbarmen' in sich beschließt.
Barmherzigkeit meint nichts anderes, als daß der Leib, der das Kind geboren und zärtlich liebt, diesem gegenüber, wenn es leidet, voller Mitgefühl ist und alles daransetzt, das Leiden zu beenden.
Wenn rahman und rahim als Allahs erste Eigenschaft in der ersten Sure genannt wird, wird damit gesagt, daß sie auch seine primäre, d.h. wesentliche Eigenschaft ist.
Alle anderen Eigenschaften, insb. die Allmacht, sind ihr untergeordnet und ranken sich um diese eine Ureigenschaft - eine Ureigenschaft, die einer aus dem eigenen Leib Kinder gebärenden und diese ihre geborenen Kinder zärtlich liebenden Mutter eigen ist.
Keın Wunder, daß z.B. in Urdu das Adjektiv rahmani die Bedeutung 'göttlich' hat.
Rahman und rahim zu sein, das ist Allahs ureigenstes Wesen, seine göttliche Eigenschaft schlechthin.
Aus dieser seiner ureigensten Wesenseigenschaft der gebärenden, zärtlich liebenden und sich erbarmenden Mütterlichkeit entspringt Allahs unstillbares Bedürfnis nach Leben schenken, nach nicht endender Schöpfung.
Aber diese Schöpfung erschöpft sich nicht im Gebären, sie setzt sich fort in Pflege und Schutz des Geborenen.
Es ist seine zärtliche Liebe zu seiner Leibesfrucht, die ihn antreibt, sein Kind, sein Geschöpf, das in den Schmutz, in die Sünde, gefallen ist, aus eigenem mütterlichen Antrieb und mit eigenen Händen zu reinigen, und mit neuem Lebensmut zu versorgen, es mit neuer Gnade auszustatten.
Aber daraus folgt ebenso Allahs nicht minder starkes Bedürfnis nach Erneuerung von erstorbenem Leben oder in der Sprache der Gesetzesreligion nach Sündenvergebung.
Leben schenken oder Sündenvergebung macht demnach das vorrangige Interesse Allahs gegenüber seinen menschlichen Geschöpfen aus.
Der Islam ist so besehen nichts anderes als die Erfahrung Allahs als eines ewigen Schöpfers und Erlösers, als geradezu triebhafter Mutter. (..)"
Quelle: http://web.uni-frankfurt.de/irenik/relkultur67.pdf
LG