Sehr schwieriges Thema. Ich finde aber nicht, dass man seine Diskursfähigkeit verlieren sollte, auf beiden Seiten.
Das wichtigste ist ja eigentlich, dass dieser Konflikt hoch emotionalisiert, völlig nachvollziehbar bei den Bildern vom 7. Oktober und von den Bildern aus Gaza die über die Monate immer unerträglicher werden. Dabei ist der Konflikt aber hoch komplex und kaum durch die Emotionalisierung gewünschten einfachen Antworten zu verstehen. Jede Seite hat historische Gründe, dem Gegenüber einiges Übel zu nehmen, Geschichte lässt sich hier und da unterschiedlich interpretieren, aber beide Seiten haben Leid erfahren was man ihnen nicht absprechen kann und sollte.
Dass bei dieser Vorgeschichte kombiniert mit den aktuellen Bildern nicht jede Aussage komplett hinterfragt wird, bevor sie in die Welt gesetzt wird, ist da leider
vorprogrammiert.
Dennoch muss man die Perspektive der Gegenseite einmal genau einnehmen, und dabei hier und da den benefit of the doubt geben. Ich gebe mal beispielsweise meine Position zum besten:
Der 7. Oktober, die Geiselnahmen, die bestialischen Morde waren schockierend. Keine Vorgeschichte der Welt rechtfertigt solche individuellen Gräueltaten. Ich habe direkt verstanden, dass es für Israel keine weitere strukturelle Duldung der Hamas geben kann und auch, dass die Geiseln befreit werden müssen.
Dennoch war ich von Anfang an sehr skeptisch ob des Militäreinsatzes, mit jedem Tag den er andauert, steigt diese Skepsis. Und zwar weil durch diese Ausnahmesituation im gesamten Gazastreifen über Monate mit so vielen Toten und Hungernden und Verletzen schlechtestmögliche Voraussetzungen für eine langfristige Lösung geschaffen werden. Selbst wenn sich Israel bei einzelnen Attacken immer an das Völkerrecht hält, ist die Wirkung auf die ja auch zum Groβteil unschuldigen Menschen in Palästina die einer Kollektivstrafe und macht die Menschen entsprechend sauer auf die israelische Regierung (bzw. die Israelis, für die Menschen die ob der Lage nicht differenzieren können oder wollen).
(Ich hätte mir deutlich mehr Geheimdienstoperationen gewünscht, gezielte Geiselbefreiungen, Druck auf Hamas (vor allem auf deren Eliten in Katar), bei bestmöglicher Unterstützung der Zivilgesellschaft. Harter Schritt unmittelbar nach dem 7. Oktober, aber langfristig in meinen Augen viel erfolgsversprechender, viel zielgenauer. Der Zug ist nun leider abgefahren.)
Und auch wenn niemand hier von uns gewöhnlichen Diskutanten je so tun sollte, als wüsste er die ganze Wahrheit über diverse Kriegsverbrechen seitens Israels, sollte man zumindest anerkennen, dass viele Völkerrechtler gute Argumente für einzelne Kriegsverbrechen und auch für einen Genozid als ganzes sehen. Das kann sich am Ende als juristisch falsch herausstellen und es ist sicher keine leichte Diskussion, aber wenn fachliche Experten sich ob der Klarheit der Sache nicht einig sind, sollten wir in unserer Diskussionskultur niemandem einen Strick daraus drehen, dass er oder sie die eine oder andere Position vertritt. Und insbesondere bei der Anzahl der getöteten Kinder und der Ernährungssituation fällt es schwer, eine völkerrechtlich stringente Verteidigung des Vorgehens der israelischen Regierung zu sehen.
Gerade weil die deutsche Politik und Medienlandschaft sich so schwer tut und diese international völlig anerkannten Debatten zur Seite wischt wo es nur geht, führt es Menschen mit anderen Wurzeln hier und da auch zu Medien die nochmal einen ganz anderen Blickwinkel und zum Teil auch Hass einbringen. Zionismus beispielsweise meint meiner Erfahrung nach für verschiedene Menschen verschiedene Dinge, einige dieser Dinge sind kritikwürdig, wie beispielsweise der Siedlerkolonialismus und auch die nicht immer gegebene Gleichbehandlung arabischer Menschen im Staat Israel, andere Dinge sind Quatsch, wie beispielsweise Israel sein Existenzrecht absprechen (allen Schwierigkeiten um die Gründung zum Trotz), das jüdische Volk über einen Kamm scheren, so zu tun als wäre jede einzelne Handlung Israels von ihrem genozidalem Gedankengut inspiriert.
Also wie damit umgehen?
1. Sicherstellen, wer wirklich Verschwörungen verbreitet, und wer vielleicht nur eine sehr andere aber auch haltbare Perspektive einnimmt.
2. Immer höflich bleiben! Auch wenn es schwer fällt, eine komplett entgegengesetzte Meinung auszuhalten ist respektvolles Zuhören immer wichtig.
3. Keine Beleidigungen an Dich zulassen. Dann lieber Diskussion abbrechen mit Hinweis, du sprichst gern weiter wenn es nicht mehr beleidigend ist.
4. Widersprüche in der inneren Logik des anderen finden und aufdecken ist in meinen Augen der beste Weg um Leute aus trügerischen herauszuholen, auch wenn es natürlich kein Rezept gibt.
5. Sich daran erinnern, dass man in solchen Konversationen auch immer etwas lernen kann.
Achja, und der einfachste und wichtigste Rat: niemals einen Menschen als Muslim, Juden, Christen oder sonst was wahrnehmen, sondern immer in erster Linie als Mensch. Kein Mensch ist perfekt, jeder Mensch hat seine Fehler, jeder dieser Fehler hat Gründe, und niemand will ein schlechter Mensch sein. Auch ein Mensch der sich in eine Sache verrannt hat und schlimme Dinge sagt, ist nur ein Mensch der sich verlaufen hat, und eigentlich eher Empathie und Liebe braucht als weiteren Hass und Ablehnung. (Muss man sich natürlich nicht zur Lebensaufgabe machen, für die Liebe zu sorgen, aber man sollte nicht hassen.)
Sorry für den langen und unstrukturierten Take.