Weniger Ehrfurcht - vergleich heute und 100 Jahren?
Würdet ihr meinen, dass der Mensch weniger Ehrfurcht hat? Also so vom Leben? Im Vergleich zu vor 100 Jahren? Ich meine Hitler hat sogar die Ehrfurcht als Mittel für seine Politik (Menschen für sich gewinnen) genutzt. Weil er in seine Rede oft von Gott sprach. Heute würden wir uns wundern, wenn ein Politiker davon sprechen würde.
Daher meine Frage: Sind Menschen heute weniger Ehrfürchtig? (Eure Meinung)
3 Antworten
Die Ehrfurcht ist zumindest im Raum des christlichen Glaubens stark gesunken, parallel dazu auch die Gottes-Fürchtigkeit!
Das gleiche kannst du auch in der "Achtung vor dem Alter" sehen! Früher haben wir als Kinder in Bus und Bahn älteren Menschen immer den Sitzplatz angeboten oder eine Tür geöffnet. Heute werden alte Leute vollgepöpelt und junge Leute fordern, dass die Alten sich gefälligst aus dem Straßenverkehr zurückziehen sollen.
Es ist nur zu hoffen, dass sich dieser Trend nicht ungehindert fortsetzt!
So pauschal kann man diese Frage nicht mit Ja oder nein beantworten.
Hitler ist dabei das denkbar schlechteste Beispiel in Bezug auf Ehrfurcht vor Gott. Denn die hatte er mit Sicherheit nicht. Er gab sich zwar als "Messias" - als Retter - aus, aber er lebte das wichtigste Gebot von Jesus - Liebe deinen Nächsten wie dich selbst - nicht in Ansätzen. Bei ihm würde es eher heissen: "Liebt mich, dann geht es euch gut."
Nächstenliebe/Feindesliebe kann man bei Hitler nicht sehen. Er besuchte Gottesdienste nur, wenn er musste (zum Beispiel wenn führende Nazis starben und es eine Bestattungsfeier gab). Für ihn war das Christentum eine Religion für "Schwache".
Vor 100 Jahren war es eher eine Furcht. Heute ist es mehr ein Staunen. Sei es über die Macht Gottes oder der Natur.
Es ist unstrittig, daß Menschen in Europa individualistischer geworden sind und individuelle Freiheiten für wichtiger halten als die Unterwerfung unter etwas, was man ehrt und fürchtet (ich nehme an, daß Du das mit „Ehrfurcht“ meinst).
Dazu eine Anekdote: Als in in den 80ern in die Schule ging, machten wir einmal eine Exkursion zur Kaiservilla in Bad Ischl. Der Führer war ein uralter Mann, dessen Vater und Großvater bereits in der Villa gearbeitet hatte; mit halben Tränen in den Augen berichtete er, daß er als kleines Kind einmal den Kaiser gesehen hatte. Das war Ehrfurcht pur, und es wirkte bereits damals aus der Zeit gefallen. Heute würde ihm wahrscheinlich nur Gelächter entgegenschallen.
Wie Du richtig sagst, wurde Ehrfurcht vor dem Staat, vor Gott oder dem Vaterland bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auch oft politisch instrumentalisiert. Ich füge noch dazu, welche gruseligen Worte in den damaligen Hymnen ehrfürchtig gesungen wurden: „Wir […] kämpfen und bluten gern für Thron und Reich“ oder „Gut und Blut für unsern Kaiser, Gut und Blut fürs Vaterland“ — als Folge davon ließ sich eine ganze Generation willig auf dem Schlachtfeld verheizen.
Also frage ich mich (und auch Dich) ernsthaft, was an Ehrfurcht so toll ist und warum man ihr nachtrauern sollte. Eine Gesellschaft, deren Mitglieder durch gemeinsame rationale Werte verbunden sind, erscheint mir viel lebenswerter als eine, in der der Zusammenhalt durch ein dumpfes Gefühl der eigenen Unbedeutendheit gegenüber dem Ganzen (Volk, Führer, Gott, Schicksal, …) entsteht.