Warum wird Verlies nicht mit ß geschrieben?
Das Hauptwort Verlies leitet sich inhaltlich doch vom Verb verlassen ab - in einem Verlies vegetiert man von aller Welt verlassen vor sich hin...
Demnach müsste es doch eigentlich Verließ geschrieben werden...
Mangelt es Bildungspolitikern an logischem Denkvermögen?
10 Antworten
Nein, mit "verlassen" hat es nichts zu tun.
Der Duden sagt dazu:
Herkunft
aus dem Niederdeutschen, zu verlieren, eigentlich = Raum, der sich verliert oder in dem sich jemand verlieren kann
Das Verb von Verlassen IST verliess.
Das Verlies ist ein Nomen und bedeutet soviel wie: Kerker.
Nicht in der Schweiz. In der Schweiz schreibt man "verliess". Ein "ß" existiert dort nicht.
Deutschland ist aber nicht die Schweiz.
Ein Teil der Schweiz ist aber genauso wie Österreich und Deutschland ein deutschsprachiges Land. Unterschiedliche Schreibweisen und unterschiedliche Ausdrücke in diesen drei Ländern stehen gleichberechtigt nebeneinander. Wenn ein Schweizer "Straße" mit "ss" schreibt, so ist das zwar in deutschländischem und österreichischem Deutsch ein Orthografiefehler, nicht aber in Schweizer Deutsch.
Willst du dir etwa anmaßen, sämtliche Schweizer Straßenschilder für orthografisch falsch zu erklären? Erwartest du von den Schweizern, dass sie unseren deutschen Regeln entsprechend die Schilder der weltbekannten Alten Axenstrasse, der berühmten Züricher Einkaufsmeile Bahnhofstrasse, der Basler Freien Strasse und aller anderen Straßen austauschen? https://www.schweizmobil.ch/de/wanderland/services/sehenswuerdigkeiten/sehenswuerdigkeit-01.html
Ich vermute, dass sleepingbeauty Schweizerin ist. Weshalb erwartest du von ihr, dass sie sich deutschländischen Orthografieregeln anpasst?
Was Du hier zitierst, sind Eigennamen - die unterliegen auch in Deutschland nicht den Rechtschreibregeln.
Und was Schweizer in der Schweiz machen, war hier nicht gefragt.
Und was Schweizer in der Schweiz machen, war hier nicht gefragt.
Es ist schon klar, dass du nach der Schreibung von "Verlies" fragtest.- Meine Kritik bezog sich aber nicht auf deine Frage, sondern auf deinen Kommentar zu sleepingbeautys Antwort. Ich empfinde es als anmaßend, einer Schweizerin bei der Schreibung des Präteritums von "verlassen" einen Rechtschreibfehler vorzuwerfen, wenn sie "verliess" schreibt. Noch einmal: Das ist die offizielle Schreibweise in der Schweiz. Diese steht völlig gleichberechtigt neben der österreichischen und deutschen Schreibweise, ist also mitnichten ein orthografischer Fehler.
Ich bin froh, dass wir das "ß" haben. Ich trinke nämlich - auch auf dem Papier - Bier lieber in Maßen als in Massen. Aber ich lasse die Schweizer auf dem Papier ohne "ß" leben und akzeptiere, dass ihre Orthographie diesbezüglich von unserer abweicht. Ganz frisch zum Tode von Gorbatschow ein Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung: https://www.nzzch/international/michail-gorbatschow-ist-im-alter-von-91-jahren-gestorben-ld.1328364 Du wirst darin kein "ß" finden, aber "verliess", wenn du bis zum letzten Drittel des Artikels durchhältst.
Woher soll ich wissen, dass diese Dame aus der Schweiz kommt? Dieses Forum ist ein deutsches und die Frage behandelte die Deutsche Sprache in Deutschland.
Die Abweichungen im deutschsprachigen Ausland gehören hier nicht her.
Warum so kleinkariert? Die Zentrale von GF sitzt zwar in München, aber es handelt sich, wie sie selbst sagen, um "die größte deutschsprachige Frage-Antwort-Plattform". Es ist keine Rede von einer deutschen Plattform. Es heißt außerdem, jeder könne bei GF Fragen stellen, die die GF-Community in kürzester Zeit persönlich beantworte. Zur GF-Community gehören in erster Linie Deutsche, Österreicher und Schweizer, ansonsten Deutschsprachige quer über den Globus.
Mit "gehören hier nicht her" meinte ich meine Frage.
"Verlies" hat mit "verlassen" nichts zu tun, wie man ganz einfach in jedem Lexikon nachschauen kann.
Bemüht euch doch erstmal selbst, bevor ihr euch hier wichtig machen wollt!
weil das Verlies nichts mit dem Verb verlassen zu tun hat
Du hast eine sehr eigenwillige Interpretation der deutschen Sprache
Du hast ja schon gehört, daß das Zauberwort hier verlieren ist. Im Wörterbuch von Kluge steht dazu
Verlies Substantiv Neutrum erweiterter Standardwortschatz obsolet (18. Jh.) Stammwort. Ursprünglich niederdeutsch. Vermutlich als “der Ort, an dem man verlorengeht, unsichtbar wird” zu verlieren, doch sind die Bedeutungszusammenhänge nicht ausreichend klar.
Nun ein bißchen zum sprachwissenschaftlichen Hintergrund:
Bis zum MIttelhochdeutschen gab es im Deutschen noch eine Anzahl Verben, die in der Konjugation zwischen s und r schwankten. Dabei wurden Präsens und Singular des Präteritums mit s gebildet, Plural und Konjunktiv Präteritum sowie das Perfektspartizip mit r. Dahinter steckte letztlich ein Betonungsunterschied im Indogermanischen, der über das Vernersche Gesetz manche ursprüngliche s-Laute zu r-Lauten machte (wenn die Betonung auf die nachfolgende Silbe fiel).
Heute ist von diesen Verben im Deutschen nur ein einziges übrig, nämlich (er)kiesen ‘(aus)wählen’ mit dem Präteritum (er)kor (der Unterschied zwischen Singular und Plural ist aufgegeben worden) und dem Partizip gekoren bzw. erkoren. Auch verlieren und frieren gehörten früher in diese Gruppe, aber im Neuhochdeutschen wurde das r über alle Formen verallgemeinert. Bis zum Ende des Mittelalters sagte man auch noch ich was aber wir waren, machte also den Unterschied zwischen Singular und Plural im Präteritum.
Heute sieht man dieses ehemalige Merkmal vorwiegend in der Wortbildung: Kiesen aber Kurfürst, ebenso verlieren aber Verlust und Verlies und frieren aber Frost (und der Verbstamm von ich war hat wahrscheinlich etwas mit dem Wesen zu tun). Da das nicht mehr ganz offensichtlich ist, hattest Du Schwierigkeiten, dem Substantiv Verlies das richtige Verb verlieren zuzuordnen.
Auch das Englische hatte diesen s/r-Wechsel und hat ihn ungefähr zur selben Zeit wie das Deutsche aufgegeben, allerdings wurde im Englischen anders als im Deutschen das s quer durch alle Formen zum neuen Standard; meine drei Beispielverben kiesen, verlieren, frieren heißen auf Englisch ja choose, lose, freeze. Ein paar Reste des alten s/r-Wechsels sind aber auch im Englischen erhalten, z.B. der Unterschied zwischen Singular und Plural des Präteritums was/were (auch der Konjunktiv if I were …) und das ehemalige Partizip und heutige Adjektiv forlorn ‘verloren’ im Sinne von ‘verlassen, einsam, hoffnungslos’.
Holländisch hat den s/r-Wechsel bis heute in manchen dieser Verben erhalten, allerdings wurde der Unterschied innerhalb des Präteritums getilgt: hij vriest ‘er friert’, hij vroor ‘er fror’ und hij heeft gevroren ‘er hat gefroren’, und verliezen konjugiert ganz gleich. Bizarrerweise hat jedoch ausgerechnet kiezen, das im Deutschen die altertümlichen Formen bewahrt hat, im Holländischen das s quer über alle Formen verallgemeinert (hij kiest, hij koos, hij heeft gekozen).
Lassen wir mal die r-s-Verschiebung aus dem Mittelalter - das ist über ein halbes Jahrtausend her.
Wir leben in der Neuzeit - die Rechtschreibreform war vor etwa 20 Jahren...
Du schreibst selbst: "... verloren im Sinne von verlassen..." Wenn man also nach dem Sinn geht, ist der Gefangene im Verlies eher der Verlassene.
Wer was verloren hat, beklagt einen Verlust - zu verloren gibt es also ein andres Hauptwort.
Die Bedeutung der Wortfamilien ist auch etwas unterschiedlich:
Verlassen ist man - passiv.
Verlieren tut man etwas - aktiv.
Das weiß ich selbst - nur heißt es eben Verlies, weil man darin verlassen ist...
Und die Vergangenheitsform von verlassen schreibt man verließ.