Warum sollte 0.999... nicht 1 sein?

13 Antworten

Hallo.

Ich bin Mathematiker und fühle mich nahezu gezwungen, hier weiterzuhelfen.

Zunächst einmal: Der periodische Dezimalbruch 0,999... (sprich Null Komma Periode Neun) ist tatsächlich gleich 1. Unsere Dezimalschreibweise lässt hier tatsächlich zwei Bezeichnungen für ein und dieselbe Zahl zu.

Ich habe in den Kommentaren vieles gelesen, was auf Missverständnisse hinweist, deswegen möchte ich zwischendurch zuerst auf ein paar strittige Punkte eingehen:

Zunächst einmal ist natürlich 0,999 nicht das gleiche wie 1. Dieser Dezimalbruch endet nach drei Stellen und es gibt zum Beispiel die Zahl 0,9995, die zwischen diesen beiden Zahlen liegt. Sie sind also nicht gleich. Wenn im Einzelhandel eine Ware gewogen wird, kann es gut sein, dass z.B. 0,9999 kg auf 1 kg aufgerundet werden. Das hat aber mehr mit Vereinfachung zu tun und nichts mit exakten Zahlen, denn auf die kommt es bei z.B. 1 kg Käse gar nicht an, sonst müsste der arme Verkäufer nämlich Käsemokeküle zählen. Wir bleiben aber in der Mathematik und beschäftigen uns mit den ganz exakten Zahlen, gerne auch an der Realität vorbei.

Die Zahl, die der Fragesteller erwähnt ist ein sogenannter "periodischer Dezimalbruch", also umgangssprachlich eine Kommazahl, bei der sich irgendwann die letzten paar Nachkommastellen ständig und immer wieder wiederholen. Beispiele sind etwa:

  • 0,333333....
  • 0,123451277777777...
  • 8,76540123456456456456456...

Die Punkte sollen dabei bedeuten, dass der periodische Anteil dort wo die Punkte sind immer und immer weiter wiederholt wird. Im ersten Beispiel kommt also immer wieder die Zahl 3, im zweiten immer wieder die Zahl 7 und im letzten Beispiel immer wieder die Zahlenfolge 456.

Vollständig aufschreiben kann man so eine periodische Dezimalzahl also nicht, denn man dürfte nie damit aufhören, den periodischen Anteil noch mal und noch mal und noch mal weiter daranzuschreiben. Es geht immer unaufhörlich weiter!

Die periodischen Dezimalzahlen gehören zu den ersten Momenten an der Schule, wo man als Schüler mit dem Konzept der Unendlichkeit konfrontiert wird - und dieses Konzept irritiert viele Leute, auch Erwachsene. Mit der Unendlichkeit, der wirklichen Unendlichkeit, haben wir in der realen Welt nämlich absolut keine Erfahrung und keine Vergleichbarkeit. Weder gibt es in der Realität unendlich lange Strecken (denn auch wenn das Universum sehr sehr groß ist, ab 40 bis 50 Milliarden Lichtjahren ist da auch Schluss) noch unendlich lange Zeitspannen oder unendlich viele Dinge (Selbst die Anzahl der Atome im ganzen Universum ist nur eine endliche Zahl. Eine sehr große Zahl zwar, aber es gibt ohne Probleme größere. Zum Beispiel das doppelte davon.). In der Mathematik interessieren uns aber diese langweiligen Beschränkungen, die uns die Realität auferlegen will, kein bisschen. Wenn ich mit Längen von 500 Trilliarden Lichtjahren rechnen will, kann ich das problemlos machen.

Unendlichkeit ist schwierig zu begreifen. Vielleicht hilft Deinem Freund dieser Vergleich beim Verstehen weiter warum sein Argument nicht funktioniert: "Fang mal an zu zählen, also 1, 2, 3, 4, 5, 6 und so weiter. Und wenn Du bei der allerletzten Zahl angekommen bist, die es gibt, hänge ich noch eine 1 dran." Das ist das, was er vorgeschlagen hat. Das ist das, was man tun müsste, um nach der Periode noch eine 1 anzuhängen. Das Problem ist, es gibt keine solche letzte Zahl und auch keine letzte Stelle der Periode! Jede natürliche Zahl (das sind die Zählzahlen, startend mit 1) hat einen Nachfolger. Und wenn ich jemanden finde, der die angeblich größte Zahl gefunden hat, kann ich sagen "Diese Zahl, plus eins" und habe eine noch größere gefunden.

Also: Es gibt keine Stellen nach der Periode. Null komma Periode Neun hat keine Stellen nach der Periode. Und wenn es sie gäbe, müsste man da weitere Neunen reinschreiben. Immer weiter, immer mehr Neunen. Neunen, überall!

Mit Unendlichkeit kann man sich sehr gut einen Knoten ins Gehirn denken. Es ist wirklich schwierig, damit umzugehen.

Ein etwas einfacheres Thema ist der Begriff des Bruchs. Tatsächlich haben hier alle ein bisschen Recht: Es gibt im Wesentlichen drei verschiedene Interpretationen, was ein Bruch ist. Diese sind alle korrekt und widersprechen sich auch nicht:

  • Ein Bruch ist eine Angabe über einen Anteil von einem Ganzen. Das Ganze muss dabei in exakt gleiche, nicht unterscheidbare Teile geteilt werden. Beispiel: ein Kuchen ist in 16 exakt gleich große Stücke geschnitten und ich esse von diesen zwei. Dann habe ich zwei sechzehntel eines ganzen Kuchens gegessen, Kurzschreibweise 2/16 Kuchen.
  • Ein Bruch ist eine Kombination von Rechenanweisungen, man kann ihn lesen als "Teile jetzt durch die Zahl die im Nenner steht und dann multipliziere mit der Zahl die im Zähler steht!" Im obigen Beispiel hieße das, ich nehme den Kuchen, teile ihn in 16 gleiche Stücke und dann nehme ich das Zweifache eines einzelnen Stücks (und esse das auf!). Übrigens, wenn ein Bruch alleine herumsteht, gilt das auch. Dann hat sich da nämlich eine getarnte 1 eingeschlichen. Soll heißen, 2/16 ist das Selbe wie 1 mal 2/16 und dann können wir mit der 1 starten, sie durch 16 teilen und das Ergebnis mal 2 rechnen.
  • Ein Bruch ist eine Zahl auf dem Zahlenstrahl. Ich komme an sie ran, indem ich genau das mache, was ich im zweiten Punkt beschrieben habe. Ich nehme die 1, genauer gesagt die Strecke auf dem Zahlenstrahl von 0 bis 1, teile sie in genau gleiche Stücke auf und lege dann eine bestimmte Anzahl dieser Stücke aneinander, startend bei der Null. Im Beispiel würde ich also die Strecke von 0 bis 1 in 16 gleiche Stücke teilen, zwei von ihnen startend bei der Null aneinanderlegen und dann feststellen, dass ich bei dem gleichen Abstand von der Null ankomme, den die Zahl 0,125 hat. Ich kann also statt "2/16" auch "0,125" schreiben und rede von der gleichen Zahl.

Brüche sind also tatsächlich auch Zahlen, nur halt keine natürlichen Zahlen. Sie bilden einen umfangreicheren Raum von Zahlen, die 'rationalen Zahlen'. Die natürlichen Zahlen sind übrigens ein Teil der rationalen Zahlen, denn man kann jede natürliche Zahl auch als Bruch schreiben. Zum Beispiel ist 5 gleich 5/1 und damit auch ein Bruch.

Für die Aussage um die es dem Fragesteller geht, gibt es zwei Ansätze sie zu beweisen. Ich habe sie hier schon gelesen, möchte sie aber noch mal ausführlicher behandeln:

Erster Ansatz: Logische Deduktion über Brüche.

Wenn ich den Bruch 1/9 ausrechne, komme ich auf die periodische Zahl 0,1111..., das gleiche gilt für 2/9 = 0,2222... (das ist das Doppelte von 1/9) und 3/9 = 0,3333... (das ist das Dreifache von 1/9) und so weiter. Also ist auch 9/9 = 0,9999... (das Neunfache von 1/9). Aber ebenso ist der Bruch 9/9 gleich 1, also ist 1 = 9/9 = 0,9999...

Zweiter Ansatz: Grenzwertverfahren. (bitte nur lesen, wenn Euch noch NICHT der Kopf schwirrt!)

Hier müsste ich jetzt weiter ausholen aber für unser Problem sollte folgende Grundidee reichen:

Ich schaue mir zwei Zahlen an und vergleiche sie Schritt für Schritt miteinander. Soll heißen, ich vergleiche erst mal nur die ersten Nachkommastellen, dann die ersten zwei, dann die ersten drei und so weiter. Was mich interessiert ist, wie sich die Abstände entwickeln und ob ein Mindestabstand bleibt.

Wenn ich eine gleichbleibende "Dazwischenzahl" (nenn ich mal so) finde, die spätestens nach ein paar Schritten immer zwischen den beiden Zahlen liegt, und zwar egal wie viele Schritte ich weiter gehe, dann weiß ich, dass die beiden Zahlen nicht gleich sein können. Da liegt ja immer noch die Dazwischenzahl dazwischen und damit ein Mindestabstand! Es gibt also einen Raum zwischen den beiden Zahlen, in den ich die Dazwischenzahl legen kann.

Beispiel: Ich vergleiche 0,8888... und 0,95. Als Dazwischenzahl wähle ich 0,9. Also: 0,8 < 0,9 = 0,9. Da ist ein kleiner-Zeichen dabei, also ist Abstand zwischen den Zahlen. Weiter: 0,88 < 0,9 < 0,95. Ja, da ist ein echter Abstand links wie rechts. Weiter: 0,888 < 0,9 < 0,950. Okay, der Teil mit 0,9 und 0,95 ändert sich nicht mehr, da ist und bleibt immer ein fetter Abstand. Und auch 0,8888... bleibt immer kleiner als 0,9, auch wenn sie nah rankommt. Die Zahlen 0,8888... und 0,95 sind also nicht gleich weil immer ein Abstand existiert und 0,9 zwischen ihnen liegt.

Jetzt umgekehrt: Wenn ich keine solche Dazwischenzahl finden kann, heißt das, dass die beiden verglichenen Zahlen in jedem Schritt einen immer kleiner werdenden Abstand haben, und dieser nähert sich immer mehr dem Abstand Null. Der Abstand wird also immer und immer kleiner, bis nach unendlich (da ist das böse Wort schon wieder!) vielen Schritten kein Unterschied mehr zu finden ist. Und dann sind die Zahlen gleich. (Mathematische Stichworte hier: Grenzwert, Grenzwertprozess)

Klingt komplizierter als es ist, schauen wir uns das Beispiel 0,9999... und 1 an:

Nehmen wir also irgendeine Zahl die knapp unter der 1 ist als Dazwischenzahl an, zum Beispiel 0,9995. Das geht die ersten paar Schritte gut, aber dann bei vier Stellen ist 0,9995 < 0,9999 < 1 und die periodische Zahl ist an der Dazwischenzahl vorbeigewandert.

Nächster Versuch, wir nehmen 0,99999999995 als Dazwischenzahl an. Aber nein, auch hier ist ab der elften Stelle Schluss, denn 0,99999999999 ist wieder größer als 0,99999999995.

Kurz gesagt, es lässt sich einfach keine Zahl finden, die zwischen 0,9999... und 1 passt, irgendwann wandert die 0,9999... näher an die 1 als die gewählte Dazwischenzahl. Der Abstand zwischen den beiden Zahlen wird also beliebig gering und es bleibt nur als Schluss übrig, dass die beiden Zahlen gleich sein müssen.

Mathematisch ausgedrückt: Es gibt keinen Abstand d > 0, so dass der Abstand zwischen den verglichenen Zahlen nicht ab irgendeinem Schritt kleiner als d wäre, egal wie klein d gewählt worden ist.

Insofern kurz zusammengefasst: Nein, es gibt keine Argumente, dass 0,9999... nicht gleich 1 ist - denn sie sind tatsächlich gleich.

Hmm, diese Antwort ist ein bisschen ausgeartet und lang geworden. Ich hoffe, dass wenigstens der erste Teil irgendwie hilfreich ist.

Viele Grüße!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Mathe mit Schwerpunkt Approximationstheorie

0.999...=9 * 0.111...=9 * 1/9=9/9=1

Teile 1 durch 9 und Du wirst 0,111... heraus bekommen und nichts anderes.

Dein periodischer Dezimalbruch ist die größte Zahl, die kleiner als 1 ist. Periodische Dezimalbrücke sind rational, lassen sich also immer als gemeine Brüche schreiben. Wenn du den gemeinen Bruch findest, der 0,99999... ergibt, wirst du feststellen, daß der Zähler kleiner als der Nenner ist. So etwas ist niemals 1 sondern kleiner.


Darkmon345 
Beitragsersteller
 12.01.2018, 15:57

9/9

1
mihisu  12.01.2018, 22:28

"Dein periodischer Dezimalbruch ist die größte Zahl, die kleiner als 1 ist."

Es gibt keine größte reelle Zahl, die kleiner als 1 ist.

Angenommen es gäbe so eine Zahl x. Dann wäre auch (1+x)/2 kleiner als 1 und aber größer als x, was im Widerspruch dazu wäre, dass x die größte reelle Zahl kleiner als 1 sein soll.

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Ich war auf einer Spezialschule für MINT und nachdem ich mir die ganzen Antworten durchgelesen habe, war nicht der einfache Beweis dabei, den ich in der Schule gelernt hatte:

10 - 1 = 9 | * 0,999...

10 * 0,999... - 1 * 0,999... = 9 * 0,999...

9,999... - 0,999... = 9 * 0,999... <=> 9 = 9 * 0,999... | : 9

1 = 0,999..., wzbw.

Dieser Beweis ist vollständig, da die Voraussetzung 10 - 1 = 9 wahr ist und alle Teilschritte Äquivalenzumformungen (und man hat auch nicht durch 0 geteilt ;D) sind.


Hutschinator  01.05.2023, 16:20

10 * 0,999... - 1 * 0,999... = 9 * 0,999... gilt nach den Definitionen der reellen Zahlen. Nach den Definitionen der Surrealen Zahlen und der Hyperreellen Zahlen gilt das so nicht. In den hyperreellen Zahlen gibt es zwar keine kleinste reelle Zahl, derne Betrag größer als 0 ist, aber es gibt eine hyperreelle Zahl, deren Betrag größer als Null aber kleiner als die kleinste positive reelle Zahl ist, die größer als 0 ist.

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Man muss hier beachten, dass es verschiedene Zahlensysteme gibt. Die reellen Zahlen sind so definiert, dass 0,999...=1 ist. Es gibt irgendein Axiom, das dem äquivalent ist, also kann man auch 0,999...=1 annehmen. Das gilt bei reellen und rationalen Zahlen.
Aber es führt zu Paradoxien.

Newton und Leibnitz waren davon überzeugt, dass es sich infinitesimal (um ein Unendlichstel) unterscheidet. Da sie das mathematisch nicht genau zeigen konnten, wurde es durch Intervallschachtelungen ersetzt.
Erst Robinson gelang es, zu zeigen, dass im System der hyperreellen Zahlen Unterschiede bestehen. Siehe auch: http://www.nichtstandard.de/FAQ-Hyperreelle-Zahlen.html

Diese Annahmen sind für mich sehr viel anschaulicher und Einsichtiger.
Wenn man den hyperreellen Anteil weglässt, entstehen reelle Zahlen. Unendlich ist hier eine Zahl, ebenso ein Unendlichstel (Infinitesimale).
Eine infinitesimale Zahl ist hierbei größer als 0, aber kleiner als die kleinste reelle Zahl, die größer als Null ist.

Ein weiterer Zahlenbereich sind die Surrealen Zahlen, auch hier sind 0,999... und 1 nicht gleich.
https://de.wikipedia.org/wiki/Surreale_Zahl
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Die Schule ist einfach noch nicht soweit.
Im ersten Schuljahr lernte ich, dass 5-6 nicht lösbar sei. Da hatten wir noch keine negativen Zahlen.