Tote Sprachen?
Sollten tote Sprachen wie Latein und Altgriechisch weiterhin Platz im Bildungsangebot haben?
Was haltet ihr davon?
Vielen Dank im Voraus.
11 Antworten
Einen Platz im Bildungsangebot schon, aber einen weniger bedeutenden.
Ich bin dafür, dass generell mehr Bildung angeboten wird. Sowohl an Schulen wie für Erwachsene. Das Angebot an Volkshochschulen gehört deutlich ausgebaut, insbesondere auf dem flachen Land. In diesem Fall haben auch die toten Sprachen einen Platz. Wenn es aber mit dem Umfang des Bildungsangebots so bleibt wie jetzt, müssten sie abgeschafft werden, weil es wichtigeres gibt.
"Genosse Trend", um mal wieder einen alten, fast vergessenen Begriff aufzugreifen. In Deutschland hält sich ja Latein noch ziemlich zäh, aber anderswo in Europa und den von europäischen Auswanderern geprägten Ländern ist es oft schon tot. Noch viel mehr gilt das i.d.R. für Altgriechisch.
Aha.
Und wohin geht der Trend aktuell?
Was wird für so wichtig angesehen, dass es in der Schule Platz haben muss?
Der Trend geht in die Richtung, dass Latein MASSIV an Schüler verliert. :-)
Tote Sprachen?
Ab wann sind Sprachen denn tot? Wenn man mal manche, insbesondere bildungsferne Jugendliche z. B. in Straßenbahn oder Bus miteinander kommunizieren hört, dann könnte sich der Gedanke aufdrängen, dass Deutsch in wenigen Jahrzehnten eine "tote Sprache" sein wird. In NRW wurde Goethes Faust aus dem schulischen Bildungskanon gestrichen, weil die heranwachsenden die Sprache immer weniger verstehen und den Sinngehalt nicht mehr erschließen können. Für sie ist das Hochdeutsche der Goethezeit beinahe schon eine "tote Sprache". Geistig armes Deutschland!
Sollten tote Sprachen wie Latein und Altgriechisch weiterhin Platz im Bildungsangebot haben?
Selbstverständlich.
Wenn man die Frage auf andere Schulfächer bezieht: Warum sollte man Mathematik lernen, wenn man nicht etwas studiert, wofür Mathematik benötigt wird? Warum sollte man Erdkunde lernen, wenn man nicht etwas studiert, wofür Erdkunde benötigt wird? Warum sollte man Chemie lernen, wenn man nicht etwas studiert, wofür Chemie benötigt wird? Warum sollte man Religion lernen, wenn man nicht etwas studiert, wofür Religion benötigt wird? Warum sollte man Kunst lernen, wenn man nicht etwas studiert, wofür Kunst benötigt wird? Warum sollte man Deutsch lernen - man kann es doch seit Kindesbeinen -, wenn man nicht etwas studiert, wofür Deutsch benötigt wird? usw.
Die hier berührte Frage nach dem "Nutzen" ist wohl die am häufigsten von Schülern gestellte Frage - und wohl die unsinnigste, weil "Nutzen" von den Heranwachsenden entweder allein materiell verengt betrachtet wird oder im Hinblick auf den weiteren Lebensweg überhaupt noch nicht beurteilt werden kann. Was wissen die meisten Heranwachsenden schon, was sie in ihrem privaten und beruflichen Werdegang - im "späteren Leben" - von allen Fachgebieten, in die sie während der Schulzeit hineingeschnuppert haben, unbedingt brauchen müssen/wollen/können? Braucht man Spanisch - wenn man vielleicht nie nach Spanien kommt, oder Französisch, Englisch, Italienisch, wenn ...? Nein! Wenn man in diese Länder fährt: ja! Wenn man einen Beruf ergreift, der die eine Fremdsprache oder mehrere benötigt: ja! Braucht man Mathematik, wenn man nur Preise beim Einkauf berechnen will oder für einige alltägliche Verrichtungen? Nein, man hat im Smartphone/PC usw. einen Rechner! Braucht man Kunst, wenn man sich sein Leben lang dafür nicht interessiert? Nein! Und wenn man sich interessiert: ja! Braucht man Religion, wenn man doch noch an Gott glauben will: ja! Braucht man Chemie, Philosophie, Geschichte, Deutsch? Vielleicht ja, vielleicht nein.
Braucht man also Latein und/oder Altgriechisch? Nein und ja. Wer keine Fachrichtungen zu seinem Studium/Beruf macht, die Latein und/oder Altgriechisch benötigen, braucht diese Sprachen natürlich nicht. Jeder aber, der Latein und/oder Altgriechisch lernt, kann es gebrauchen, wenn er will. Vorallem Latein ist die Grundlage aller "romanischen" Sprachen in Europa und der Welt, selbst Englisch ist von der Grammatik und vielen Worten her zweifach "lateinisch" geprägt: durch Latein seit der Antike und Französisch seit dem Hochmittelalter. Wer moderne Fremdsprachen lernen will/muss, kann gerade von Lateinkenntnissen profitieren.
Aber es kommt noch etwas Wesentlicheres hinzu: man kann sich mit den Sprachen und vorallem ihrer Literatur beschäftigen, um in eine vergangene, eine antike Welt einzutauchen, ihre Menschen mit allen Vorzügen und Schwächen, Träumen und Albträumen, Freuden und Leiden, geistigen und anderen Errungenschaften usw. kennenzulernen. Man entdeckt Menschlich-Allzumenschliches, vorallem schaut man auf die Anfänge und Wurzeln unserer Kultur in allen ihren Ausprägungen: Literatur (Romane, Lyrik, Geschichtsschreibung, Fachliteratur), Philosophie, Staatskunde, Rechtswesen, Naturwissenschaften, Christentum, um nur Wesentliches zu nennen. Die römische Antike bediente sich noch beider Sprachen; im Mittelalter sind die meisten Überlieferungen aller europäischer Länder in Latein verfasst; in den Zeiten von Humanismus, Reformation und Aufklärung kamen die Hochgebildeten ohne Latein und seit den Humanisten auch wieder ohne Altgriechisch nicht aus und haben ihre wichtigsten Gedanken vorallem in der damals noch universellen (Gelehrten-)Sprache Latein niedergeschrieben. Selbst im 19. Jahrhundert hatten Latein und Altgriechisch noch eine große Bedeutung. Mit Latein- und/oder Altgriechischkenntnissen verfolgt man also auch die Entwicklung unserer gesamten europäischen Kultur und Zivilisation.
Ob nun als Beruf, aus dem man materiellen Nutzen zieht, oder als (lebenslanges) Hobby, aus dem man persönlichen Nutzen zieht: wer sich für diese durch die griechisch-römische Antike geprägte Welt interessiert, sollte Latein und/oder Altgriechisch können, damit er nicht nur an der Oberfläche kratzt. Das bedeutet: Schülern, die geisteswissenschaftliche Interessen entwickeln, sollten auf jeden Fall Latein, am besten auch Altgriechisch lernen, weil diese Sprache ihnen beruflichen und/oder persönlichen Nutzen bringt. Gerade der persönliche Nutzen wird in jungen Jahren meist unterschätzt. Denn die Beschäftigung mit Latein und/oder Altgriechisch und der von diesen Sprachen geprägten Zeit und Kultur ist eine geistige Beschäftigung, die als Ausgleich zum beruflichen oder sonstigen alltäglichen Einerlei dienen und viel Freude sowie intellektuelle Befriedigung bringen kann. Sogar der Geselligkeit ist sie förderlich, wenn man sich mit Gleichgesinnten zusammenfindet - ein ganz bedeutender Nutzen!
Für mich ist Latein nach der Schule eine lebenslange Passion geworden. Nicht das Lernen von Grammatik und Vokabeln, das die meisten Schüler hassen, machte für mich Sinn, mich mit Latein zu befassen - denn das war nur die unumgängliche Grundlage -, sondern mich mit der römischen und mittelalterlichen Welt, ihren Menschen und ihrer Kultur beschäftigen und auseinandersetzen zu können. Den Zugang zu diesen Welten erhielt ich über die lateinische Literatur, dann auch über die in Deutschland noch vorhandenen römischen und mittelalterlichen Bauten, die zahlreichen archäologischen Stätten und materiellen Hinterlassenschaften, die man in vielen Museen bewundern kann. "Tot" sind für mich - und alle Gleichgesinnten! - weder die Sprache noch die Menschen noch die antike noch die mittelalterliche Welt an sich.
MfG
Arnold
Wer moderne Fremdsprachen lernen will/muss, kann gerade von Lateinkenntnissen profitieren.
Allerdings ist es hilfreicher bereits eine romanische Sprache zu beherrschen, wenn man eine weitere lernen möchte. :-)
Das hat einen logischen Grund und es gibt Studien dazu. :-) (Objektiv gesehen)
Es gibt für alles und nichts Studien (rational betrachtet). 🙂
Das mag sein, aber die Studien zur Interkomprehension lassen sich wie gesagt auch theoretisch nachvollziehen. Die romanischen Sprachen stammen ja nicht von dem klassischen Latein ab und die romanischen Sprachen gehören darüber hinaus einem anderen Sprachtypus an.
Kann sein, dass es dir anders geht. Es ging mir nur darum, es objektiv darzustellen.. nicht mehr und nicht weniger. :-)
Ja, sollten sie.
Denn erstens gehören sie zu unserer Vergangenheit / Entwicklung, und zweitens fragst du ja nach dem Bildungsangebot = frei wählbar.
Mit Altgriechisch kenne ich mich nicht aus, aber Latein ist ja nun wirklich nicht tot - es ist die Sprache der Mediziner weltweit.
Gegen Angebote spricht nichts!
Einen Platz ja. Warum soll man die nicht lernen können, wenn man das möchte? Zielt man etwa darauf ab vom Beruf her mal Historiker zu werden, schadet es nicht Latein oder Altgriechisch zu können.
Es sollte nur in keinem Fall Pflichtfach sein, sondern lediglich optional und darüber hinaus wäre ich dafür das Angebot an lebendigen Sprachen auszuweiten. Das beschränkt sich ja an den meisten Schulen praktisch auf Französisch/Italienisch oder Französisch/Spanisch.
Es sollte nur in keinem Fall Pflichtfach sein...
Beide Sprachen sind, zumindest in NRW, schon lange keine Pflichtfächer mehr.
Nja, sollen wir uns jetzt hier einmal über das Schulsystem in NRW unterhalten?
In normalen Schulen jedenfalls nicht. Ich weiß aber nicht, wie es in anderen Bundesländern oder auf möglicherweise noch stark auf humanistisch gedrillten Privatschulen aussieht.
Kein Schüler ist verpflichtet, auf eine Privatschule zu gehen. 🙂
Wenn die Eltern den Schüler darauf anmelden, weil sie sich das in den Kopf gesetzt haben, wird der Schüler es schwer haben sich dagegen zu wehren. Das sind dann sicher Ausnahmefälle, aber soll auch schon vorgekommen sein.
Ich revoziere und formuliere wie folgt:
Eltern sind nicht verpflichtet, ihre Sprösslinge auf eine Privatschule zu schicken. 🙂
Ich habe vor über 35 Jahren in Rheinland-Pfalz Abitur gemacht, und auf unserem (neusprachlich-naturwissenschaftlichen) Gymnasium gab es das Sprachangebot Englisch, Französisch und Latein. Mit Englisch oder Französisch ging es in der fünften los. Wer mit Französisch angefangen hat mußte in der 7. Englisch als zweite Sprache wählen, wer mit Englisch angefangen hat hatte Französisch oder Latein zur Auswahl. In der 10. konnte noch für zwei Jahre freiwillig die fehlende dritte Sprache dazu gewählt werden.
Quintessenz: Schon damals war Latein keine Pflichtsprache.
Ja, sollten sie. Da geht es um weit mehr als nur die Sprachen, nämlich um Kulturgut.
Erst gestern habe ich mich wieder geärgert, dass ich in Kirchen, Museen, an Denkmälern usw. die lateinischen Inschriften nicht "verstehen" (übersetzen) konnte.
AstridDerPu
Aha - und das entscheidet wer?