Sollen Virtus & Otium nach Cicero ausgeglichen sein?
Hallo und vielen Dank für die Hilfe! :)
Ich lese aktuell die De Republica und bin mir unsicher, ob nach Cicero ein Ausgleich zwischen Virtus und Otium im Lebensstil seines idealen Menschenbildes zu erstreben ist oder ob Otium hier als negativ dargestellt wird und es eher erstrebenswert sei, nur Virtus als Lebensstil zu haben?
2 Antworten
Für den Römer, also auch für Cicero, haben virtus und otium im Leben große Bedeutung. Virtus hat jeder (adelige) Römer zu zeigen, indem er sich durch sein Tun und Engagement in der Politik und für den Staat in unterschiedlichen Positionen bewährt.
Otium gehört zum adeligen Lebensstil dazu, allerdings ist damit nicht gemeint, dass man sich reinem Müßiggang hingibt, den Tag nutzlos verstreichen lässt, seine Zeit auf Festen und Gelagen vertrödelt. Für den adeligen Römer gibt es otium cum dignitate, Muße in Würde. Das bedeutet für Cicero, dass man sich für eine gewisse Zeit aus dem politischen Leben zurückzieht, sich eine Auszeit gönnt, aber diese mit sinnvollen philosophischen und wissenschaftlichen, auch literarischen Tätigkeiten ausfüllt, wie Cicero es selbst gehalten hat.
Der Primat bei Cicero liegt in der Virtus, die sich gemäß der mos maiorum im Streben für die res publica manifestiert. Otium wird nach römischer Lebensart als sekundär betrachtet und ist nur für Zeiten vorgesehen, in denen man nicht aktiv am politischen Leben teilnehmen kann. Ciceros Bestreben war jedoch, die Philosophie, die er während seiner Studienaufenthalte in Athen kennengelernt und zeitlebens sehr geschätzt hatte, auch in Rom zu etablieren. Er war überzeugt davon, dass ein guter Redner (Orator) eine philosophische Bildung benötigt. Zudem hielt er philosophische Erkenntnisse für förderlich für die res publica. Auf diese Weise bricht Cicero den altrömischen Gegensatz von Virtus und Otium auf, indem er das Philosophieren in Muße als einennützlichen Beitrag für die res publica darstellt. Unter Muße ist hier die gelehrte Muße (otium litterarum) zu verstehen, die sich mit der Philosophie beschäftigt und nichts mit stumpfsinnigem Müßiggang zu tun hat.