Müsste es nicht "non vitam sed scholam discimus" heißen? Für wen oder was lernen wir? Antwort: Das Leben; Die Schule.?
Wenn "non vitae sed scholae discimus" mit "Nicht für das Leben sondern für die Schule lernen wir" übersetzt wird. Müssten dann nicht die Wörter "vitae" und "scholae" im Akkusativ stehen?
6 Antworten
Hi,
oh, ein sehr berühmter Satz, der oft leider "falschrum" zitiert wird...denn eigentlich hat Seneca (der übrigens Stoiker war!) den Satz so niedergeschrieben, wie du ihn zitiert hast.
Discimus ist unser Prädikat, "wir lernen". Simples Präsens.
Scholae und vitae können im Prinzip (losgelöst vom lateinischen Satz) folgende Formen sein:
- Gen. Sg. f
- Dat. Sg. f
- Nom. Pl. f
Gehen wir doch mal von oben nach unten.
Wenn diese Formen Genitive wären, dann würde der Satz vermutlich noch ein "Causa" nach sich ziehen und heße dann "Nicht des Lebens, sondern der Schule wegen lernen wir."
Das wollte Senega aber nicht aussagen. Er wollte aussagen, dass die Dinge, die wir lernen, nicht für das Leben, sondern für die Schule tun - dieses Zitat lässt sich sogar auf die heutige Zeit anwenden! Oder brauchst du großartig irgendwas von dem Stoff, den du in der Schule lernst, je im Leben wieder? Ein bisschen Kopfrechnen, ein einigermaßen korrekter Gebrauch der deutschen Sprache sowie Allgemeinwissen reichen aus - das hätte man tatsächlich ohne Schule erlernen können. Uns wird in der Schule das komischste Zeugs beigebracht: Integralrechnung, Die Analyse fremdsprachlicher Texte sowie die Funktion der Signalübertragung zwischen den Zellen...um nur einige Beispiele zu nennen. Es wird uns aber nicht beigebracht, wie wir uns in der Welt zurecht finden. Vieles lernen wir, wenn es uns nicht interessiert, für die Schule und vergessen danach alles wieder. Ich bin gewiss kein Schulgegner (ich strebe selbst eine "Karriere" als Latein- und Chemielehrerin an), ich will dir aber deutlich machen, weswegen Seneca vermutlich darauf kommt, das Zitat so zu formulieren, wie er es tut.
Und dieses "für", welches ich oben verwendet habe, kann man im Lateinischen unter anderem mit pro + Ablativ wiedergeben. Der Satz könnte also auch lauten: Non pro vita, sed pro schola discimus. Der Lateiner kann das aber auch noch anders ausdrücken, und zwar mit dem Dativus commodi. Diese semantische Funktion drückt aus, zu wessen Vorteil etwas geschieht und antwortet auf die Frage "für wen?". Und genau diese Funktion liegt bei scholae und vitae vor.
Würdest du einen Dativ verwenden, also "Non vitam, sed scholam discimus", könnte man es mit dem Akkusativobjekt übersetzen (also "Wir lernen nicht das Leben, sondern die Schule") - klingt aber nicht sehr sinnvoll, oder?
Das Einzige, was vielleicht funktionieren würde, wäre ein Akkusativ der zeitlichen Ausdehnung. Das ergibt aber auch nicht sonderlich viel Sinn ;-))
Na gut, das soll's von mir zu diesem Satz gewesen sein. Ich hoffe, dass ich dir das einigermaßen plausibel erläutern konnte, weshalb der Akkusativ hier nicht sonderlich viel Sinn ergibt - sowohl grammatikalisch als auch inhaltlich.
LG
Ich meine im vorletzten Absatz natürlich den Akkusativ und nicht den Dativ!
Möglichkeit 1
Auf die deutsche Frage "für wen" (Angabe eines Vorteilsnehmers) steht im Lateinischen immer der Dativ. (Dativus commodi = Dativ des Vorteils)
=> vitae / scholae
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Im Deutschen gibt es diesen Dativ übrigens auch:
Ich bastel ein Geschenk für dich.
=
Ich bastel dir ein Geschenk.
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Möglichkeit 2
Als Alternative kennt das Lateinische auch die Formulierung "pro + Ablativ".
=> pro schola / pro vita
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Das gibt es aber eher selten und wird tendenziell nur dann benutzt, wenn eine Verwechslungsgefahr droht, weil es noch einen anderen Dativ im Satz gibt.
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Akkusativ geht nicht
Der lateinische Akkusativ (wie von dir vorgeschlagen) geht nicht. Der antwortet nur auf die Fragen "wen oder was?" oder "wohin?".
Aber hier lautet die Frage ja "für wen?". Das ist sprachlich etwas völlig Anderes. ;).
Dein Vorschlag würde also in Übersetzung lauten: "Wir lernen nicht das Leben, sondern die Schule". Das klingt nach jmd., der es nötig hätte. :D
LG
MCX
Toll, hätte ich mal deine Antwort gelesen, bevor ich meine formuliert hab ^^
Nein, nein, denn non vitae, sed scholae ist hier eine adverbiale Bestimmung des Ziels. Die wird im Lateinischen tatsächlich mit Dativ gebildet, im Deutschen aber meistens mit "für ..." oder "zwecks ..." übersetzt.
adverbiale Bestimmung des Ziels.
Meinst du damit einen dativus finalis? Ich denke, das trifft es eher maximal am Rande. Das wäre eher so etwas "auxilio venire".
Dass hier ein Dativ stehen muss ist aber dennoch freilich richtig. :)
Ja, die Bezeichnung klingt plausibel, mit den Termini für solche Selbstverständlichkeiten habe ich mich aber nie genauer auseinandergesetzt ... ;)
Nein, tue ich nicht - sicher, dass du dich noch an deinen Lateinunterricht erinnern kannst? ;)
Die Antwort weiter unten bestätigt meine "Version" übrigens auch. Dort kannst du auch nachlesen, dass die Originalversion des betrachteten Zitats tatsächlich die Sinnhaftigkeit der Schule fürs Leben leugnete und nur später verfremdet dargestellt wurde.
Dem stimme ich übrigens im Allgemeinen nur halb zu: Discere vitae, discenda autem scholae discimus. Damit einverstanden? :-)
Natürlich Dativ, übersetzt mit für. Und der hat im Deutschen den Akkusativ bei sich.
Es ist eine ganz ähnliche Konstruktion wie der Besitzdativ.
"Mihi liber est."
Das Buch gehört mir.
Wörtlich ganz schlechtes Deutsch, aber im Scherz gern genommen:
Das Buch ist mir.
In manchen Gegenden Deutschlands scheint der Dativ hier das Normale zu sein. Ich musste mich auch daran gewöhnen.
Vielleicht Relikt aus der Franzosenzeit? Besonders in Hessen?
"c' est á moi"
"non vitam sed scholam discimus" heisst:
"Wir lernen nicht das Leben, sondern die Schule."
Und wenn du schon die deutschen Casus ins Lateinische mitnehmen willst, dann solltest du auch die deutschen Artikel nicht vergessen!
> Ein bisschen Kopfrechnen,
Damit kommst Du aber im naturwissenschaftlichen Studium nicht weit.
Selbst als Geisteswissenschaftler sollte es bis zur Zinseszinsrechnung reichen. Zumindest, wenn man genügend Erspartes hat, dass sich der Rechenaufwand lohnt.
Und als Chemielehrer brauchst Du zumindest Logarithmen.
> wie wir uns in der Welt zurecht finden.
Wäre ein interessantes Schulfach. Von Ausfüllen einer Steuererklärung über Vermeiden von Computerviren bis zu Politikern auf den Leim gehen, die einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen.