Macht die Sprache Leute?

10 Antworten

Man kann jedenfalls einige Schlüsse aus der Sprache ziehen:
wer einen Dialekt benutzt, ist oft ein bodenständiger Mensch, der in vielen Fällen auch eine gewisse Tradition aufrechterhält, dieses sehe ich übrigens als etwas tendenziell Positives an. Wer eine "geschliffene" Sprechweise hat, also etwa wie Herbert Wehner aus dem Stegreif heraus perfekt konstruierte Schachtelsätze bilden kann, wirkt rhetorisch versiert. Natürlich sind solche Beurteilungen immer auch ein wenig subjektiv.

Als Schüler verstand ich noch nicht, was an der Sprache von Heinrich von Kleist so toll sein soll. Nachdem ich aber einiges von Wehner gehört habe, muss ich doch gestehen, dass so eine Ausdrucksweise doch nicht ohne Reiz ist.

Wer kurze, prägnante Sätze bildet, muss aber keineswegs rhetorisch schlecht sein. Ernest Hemingway war berühmt für seine sehr knappe, pessimistische und drastische Ausdruckweise. Daher fragt man auch scherzhaft:
"Warum überquerte das Huhn die Straße?"
Hemingway: "Um zu sterben. Im Regen."

Wer mehrere Sprachen spricht, ist wohl etwas in der Welt herumgekommen. Das bedeutet aber nicht, dass man einen Menschen, der z.B. nur Finnisch spricht (und sonst nichts) "schlechter" bewerten sollte. Das ist ja kein Wettbewerb, und dennoch erkennt man an der Sprache so einiges.

Wer einen großen Wortschatz hat (und das heißt ja noch lange nicht, dass er mehrere Sprachen kennt), kann ebenfalls oft beeindrucken. Shakespeare beeindruckte aber nicht nur durch seinen Wortschatz, sondern auch durch seine großartigen Metaphern und seine sehr scharfsinnigen und philosophischen Betrachtungen der menschlichen Abgründe - aber auch der Liebe.

Warum überquerte das Huhn die Straße? (programmwechsel.de)

Ich liebe diese Frage "Warum überquerte das Huhn die Straße?", denn jeder antwortet in seiner Sprache, in seiner Denkweise und Ausdrucksweise anders darauf.

Moses "Und Gott kam vom Himmel herunter, und Er sprach zu dem Huhn: Du sollst die Straße überqueren. Und das Huhn überquerte die Straße, und es gab großes Frohlocken."

Offenbar war Moses deutlich optimistischer als Hemingway.

Bei manchen lässt Sprache durchaus Schlüsse auf das gesellschaftliche Millieu zu, in dem sich der Sprecher üblicherweise aufhält.

Doch allerdings nicht bei allen und bei vielen nur in geringem Maße. Insofern kann man dem nur eine geringe Aussagekraft beimessen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Laie mit Interesse an Psychologie
Von Experte rotesand bestätigt

Ja, dass muss ich leider zugeben. Ich beurteile Leute extrem danach und habe auch ein paar diesbezügliche Vorurteile.

Restringierter oder elaborierter Sprachcode sagt natürlich etwas über den Bildungshintergrund und das Milieu des Sprechers aus.

Ich merke allerdings ebenfalls, wenn sich jemand bemüht sich elaboriert auszudrücken, das aber nur Fassade ist. Das kann dann schnell peinlicher werden als wenn jemand einfach spricht wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Langjährige Erfahrung in der Parteipolitik und als Reporter

rotesand  13.06.2024, 11:36

Kann ich so auch durchaus unterstreichen.

Ich bin grundsätzlich im netten bayrisch-schwäbischen Plauderton unterwegs, ich schreib' auch, wie ich sprech' und kenne da keine großen Hemmungen - ich verstelle mich auch nicht. Der Dialekt ist sehr weich und freundlich.

Manche finden das betulich, provinziell oder tantig oder auch andächtig oder uncool oder sonst noch was, aber gerade auf der Arbeit und im gesellschaftlichen Leben vor Ort und in der Region bin ich dann doch derjenige, dem am ehesten vertraut wird, weil er es nicht nur ehrlich mit den Leuten meint, sondern auch so ist und wo man das weiß, weil es heißt, der ist einer von uns, der ist wie wir, der redet wie wir, der gehört zu uns, der geht ins Wirtshaus, guckt ihn euch an, der ist einer von uns.

Da ist dann der Hochdeutschsprecher oder -improvisateur im Nachteil, weil er als arrogant, überheblich, ggf. als norddeutsch und als Verräter seiner Heimat und Familie wahrgenommen wird, wenn er sich Hochdeutsch antrainiert hat und "so tut als ob er von der Stadt oder aus dem Norden wäre". Ganz schlimm wird das, wenn man - wie eine Verwandte von mir - dann auch noch mit "weißte, weißte, ach, weißte" ankommt und regelrecht prahlt mit irgendwelchen Errungenschaften; da fühlen sich die Leute hier gedemütigt. Sie sagen es nicht, da ist der bayrische Schwabe von seinem Naturell her zu weich und zu mild, aber sie fühlen es und das tut richtig weh - vor allem im Herzen. Ich kenne die Mentalität und kenne die Leute - und das kann man nur tun, wenn man einer von ihnen ist.

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Ich sag's mal so - wer immer nur hochgestochene Fremdwörter benutzt, gilt als abgehoben und arrogant oder als Sonderling oder im besten Fall als hochgebildeter Akademiker, das gilt auch für ellenlange Schachtelsätze.

Ich selbst habe eine sehr einfache, teilweise ältliche / ländliche und dabei recht gewandte Sprache - und habe die Erfahrung gemacht, dass mir das einerseits viele Türen öffnet, weil ich als "einer von uns" wahrgenommen werde trotz meiner beruflichen Stellung und meiner gesellschaftlichen Bedeutung - andererseits aber wird man unter Leuten, die sich was auf sich einbilden als zumindest mal provinziell, ggf. auch als weniger gebildet wahrgenommen bzw. man wird eher unterschätzt, wenn man kein "Hannoveraner Hochdeutsch" radebricht, sondern erkennbar als bayrischer Schwabe unterwegs ist - vor allem in meinem Alter mit Anfang 30 fällt so was auf, weil viele selbst hier aus Süddeutschland sich spätestens im Studium das erwähnte "Hannoveraner Hochdeutsch" antrainiert haben, um professionell und weltoffen und ach so gebildet zu wirken.

Man merkt es aber auch schnell, wenn jemand dieses "Hannoveraner Hochdeutsch" nur aufsetzt - und das wirkt dann peinlich. Mir fällt das immer wieder auf und dann denke ich mir schon ... ach, seid doch ehrlich, eure Herkunft muss euch doch nicht peinlich sein und wenn doch, mei, dann ist es halt das falsche Milieu, in dem ich euch da rumtreibt.

Beruflich wird mir sehr viel Vertrauen entgegen gebracht, weil ich nachhaltig als "einer von uns" wahrgenommen werde und nahbar bin - dieses Hannoveraner Hochdeutsch baut eine künstliche Distanz auf und die Leute hier denken von Personen, die so reden, dass sie arrogant seien - erst recht wenn sie ursprünglich von hier sind und ihre Seele bzw. ihre Heimat verkaufen für eine "kühle norddeutsche Art", wie dass es hier wahrgenommen wird.

Diese "Hochdeutschredner" werden in dem normalen bodenständigen Umfeld, das mich für meine volkstümliche Art schätzt und mit dem ich auch ohne Ende Spaß habe, als arrogant, eingebildet, etepetete, überheblich und oberflächlich wahrgenommen - als "keine von uns" - und man fasst zu so jemandem kein Vertrauen, weil man denkt, das ist die gleiche Sorte wie ein aalglatter Bankkaufmann oder Versicherungsmensch mit seinem Kaufhausanzug für 99 Euro - denen trauen die Leute nicht. Da siegt dann der nette bayrische Schwabe, der auch mal einen Witz macht oder in den tiefen Dialekt verfällt, wenn er sich mal aufregt oder es vertraulicher und persönlicher wird.

Ansonsten hatte ich einen Rektor, bei dem die Sprache vieles nicht verbesserte: An sich war der Mann in Ordnung und hat viel Gutes bewegt, aber durch seine merkwürdige, etwas quäkende Stimme und sein deutliches hessisches Idiom kam er sehr unvorteilhaft rüber, brachte Themen unglücklich rüber und wirkte dadurch ganz anders, als er eigentlich war.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung