Latein—>Infinitivendung—>capere —>Experten?
1)Also der Infinitiv steht so in meinem Buch:cape-re.
Also dieses e gehört doch nicht zum Wortstamm.Aber warum steht es bei dem Wortstamm dabei—>wieso?
Ist dieses e dann ein Bindevokal,wozu gehört es ?
2)Wann genau kommt so ein Bindevokal vor?Wenn Konsonant auf Konsonant etwa treffen ?Also muss im Lateinischen etwa Vokal +Konsonant bei jedem Wort vorkommen ?
2 Antworten
also Bindevokale sind Vokale zwischen Stamm und Personalendungen
z.B. kann das "e" auch ein Bindevokal sein: bei deinem Beispiel "carpere"
die 3 Formen, die du lernen musst, heißen
carpere (= Infinitiv) = pflücken, nützen, genießen
carp-o (1.Pers. Prs.), carps-i (1. Pers. Perf) und carpt-um (PPP)
Wenn du nun das Präsens (Aktiv) bildest, hängst du an den Präsens-Stamm -
das ist der Teil des Verbs, den du erhältst, wenn du von der 1. Pers. Sg. die Personal-Endung "-o" abtrennst
= carp- [in sofern ist es nicht korrekt, wenn carpe-re, da steht; das steht dann nur deshalb da, damit du siehst, die 2 Buchstaben "-re" sind die Infinitiv-Endung]
So, nun weiter:
an den Präsens-Stamm = carp-
hängst du die Personalendungen Präsens Aktiv Indikativ/Konjunktiv =
o/m , s, t, mus, tis, nt
Präsens Indikativ Aktiv
= carp-o, carp-i-s, carp-i-t, carp-i-mus, carp-i-tis, carp-u-nt
Bindevokale sind hier: das "i" und das "u". Bei der 1. Pers. Sg. hängt die Personal-Endung direkt am Präsensstamm ohne Bindevokal.
Imperfekt Indikativ Aktiv
hier wird die für das Imperfekt kennzeichnende Silbe "-ba-" dazwischen geschoben
= carpe-ba-m, carpe-ba-s, carpe-ba-t, usw.
hier ist das "e" kein Bindevokal, denn die Regel besagt: die Imperfekt-Silbe "ba" wird an den Infinitiv-Stamm (= der Teil ohne -re) gehängt und durch die Personalendung ergänzt
Aber jetzt!!!
Futur Indikativ Aktiv
an den Präsens-Stamm = carp- werden die Personalendungen angehängt, wobei folgende Bindevokale verwendet werden:
= carp-a-m, carp-e-s, carp-e-t, carp-e-mus, carp-e-tis, carp-e-nt
hier findest du endlich neben dem "a" auch dein "e" als Bindevokal!!
Ich hab mich auch gewundert, aber mir wars egal und an dem Beispiel kann man die Bindevokale auch erklären.
Das hatte dir Miraculix84 bereits bei deiner letzten Frage mit "capere" beantwortet!! Auch dass das etwas unglücklich in deinem Lateinbuch dargestellt ist.
Aber im Gegensatz zu
cap-e-re, bei dem die Formen: cap-i-o, cep-i, capt-um heißen
und der Präsensstamm = cap- heißt, wird das Präsens durch einen "i-Einschub" gebildet:
cap-i-o, cap-i-s, cap-i-t, cap-i-mus, cap-i-tis, cap-i-u-nt
Warum heißt es i-Einschub und nicht einfach: "i" ist der Bindevokal?
"i" ist Bindevokal bei der 1. Person Sg. bis zur 2. Pers. Pl., aber bei der 3. Pers. Pl. wird das "i" zwischen den Präsens-Stamm und dern Bindevokal "u" dazwischen geschoben.
Das hat Du doch schon gestern gefragt und auch die richtige Antwort bekommen: Das ĕ ist ein Bindevokal und gehört nicht zum Stamm.
Bindevokale sind keine phonologische Notwendigkeit, sonst könnte es kein Wort wie capra ‘Ziege’ geben. Sie kommen aus der Morphologie, also dem Teil der Grammatik, der sich damit beschäftigt, wie Formen gebildet werden.
In der indogermanischen Sprache, dem letzten gemeinsamen Vorläufer von Deutsch, Latein, Griechisch und Saṁskr̥t (⪆5000 Jahre) gab es manche Verben, die einen Bindevokal nahmen („thematische Verben“) und andere, die das nicht taten („athematische Verben“); die beiden Klassen verwendeten unterschiedliche Endungen. Im Lateinischen entwickelte sich das folgendermaßen weiter:
- Die athematischen Verben sind größtenteils ausgestorben oder haben sich anderen Klassen angeschlossen (z.B. dăre mit unregelmäßig kurzem Vokal). Die einzigen sicheren überlebenden sind esse und ire. Da bei ire der Stamm auf Vokal endet, gibt es keine weiteren Probleme, und es nimmt einfach die thematischen Endungen. Bei esse ist es komplizierter: In sum sieht man noch den letzten Rest einer thematischen Endung, und in Formen wie es-t und es-tis sieht man, daß die Endungen direkt an den Stamm kommen, und im Infinitiv es-se sieht man noch die alte Form der Infinitivendung -se, die in allen anderen Verben durch ein Lautgesetz verändert wurde (s→r zwischen Vokalen, daher auch corpus, corporis aus älter corposis).
- Die indogermanischen Bindevokale für simple (nicht abgeleitete) Verben waren -e- und -o-, aber im Lateinischen schwächten sich unbetonte Vokale ab, so daß man -i- und -u- bekommt (-e- vor r durch ein Lautgesetz). Aus diesen Verben wurden die Konsonantenstämme, von denen einige das i der i-Stämme zusätzlich in die meisten ihrer Formen einbauten (Mischstämme). Da sie simple Verben sind, haben sie meist ein -e- im Stamm (Typ legĕre), obwohl einige innerlateinische Entwicklungen das verschleiern können (agĕre wegen eines vom Wortanfang weggefallenen h₂, colĕre wegen Vokalumfärbung durch w, idg. kʷel-).
- Im indogermanischen gab es ein Suffix -ē-, mit dem Verben gebildet werden konnten, die Zustände beschrieben (habēre, manēre, tacēre, calēre); ein anderes Suffix -eie- konnte Kausative oder Iterative bilden (monēre, docēre, spondēre, als Gruppe am o-Vokal erkennbar). Diese beiden Suffixe fielen im Lateinischen zusammen und bildeten die e-Stämme, die später noch durch viele Neubildungen vermehrt wurden.
- Das -ā- der a-Konjugation ist dasselbe wie das der a-Deklination; um von einem Substantiv ein Verb abzuleiten, wurden bereits im Indogermanischen einfach die Verbalendungen angehängt (cura→curare). Im Lateinischen wurde dieses -a- zu einem allgemeinen Suffix verallgemeinert, mit dem man auch Verben zu Substantiven der konsonantischen Deklination bilden konnte (laus←*laud-s→laudāre).
- Der Ursprung der i-Konjugation ist weniger klar, aber zumindest ein Teil der Verben verwendet ein Suffix idg. -ie-, mit dem Verben von Nomina der o-Deklination abgeleitet werden konnten (servus→servire).
Die Bindevokale sind also von den nicht-abgeleiteten Verben des Indogermanischen ererbt, die bereits ähnliche solche Vokale enthielten; sie wurden aber nur beibehalten, wenn der Stamm nicht auf Vokal endet, und sonst ausgestoßen (z.B. servire).
Umgekehrt haben viele Verben, die im Indogermanischen athematisch waren, im Lateinischen den Bindevokal aus Analogie übernommen, z.B. die Verben mit Nasalinfix, die im Indogermanischen alle keinen Bindevokal hatten: iungĕre, rumpĕre, sinĕre. Auch hier gilt, daß der Bindevokal nur eingebaut wurde, wenn es nötig war; die a-Stämme, die im indogermanischen athematisch waren (erhalten in einigen griechischen Dialekten), haben im Lateinischen zwar die Endungen der thematischen Konjugation, aber nie einen Bindevokal erhalten, weil sie ihn nicht brauchten.
Die einzigen Fälle, in denen ein Vokal aus lautlichen Gründen eingefügt wird, sind die zwei Formen sum←esm̥, sumus←sm̥os. Das m konnte im Indogermanischen als Vokal m̥ gesprochen werden, aber da machte Latein nicht mit und pflanzte zur Ausspracheerleichterung ein -u- ein. Dagegen sollte sunt eigentlich sent heißen (ist auch so attestiert im Umbrischen, einer mit Latein verwandten Sprache), wurde aber im Lateinischen aus Analogiegründen umgebaut.
(Mit vielen Ungenauigkeiten und Vereinfachungen)
Nur mal am Rande:
Ihr seid jetzt von capere, capio (Frage) zu carpere, carpo (Antwort) mutiert. War das Absicht?