Meinung des Tages: Wie sinnvoll mit kritischen Straßennamen in Deutschland umgehen?
Dass der Umgang mit der eigenen Kolonialgeschichte immer noch schwierig ist, zeigt das jüngste Beispiel aus der Stadt Erfurt: Hier ging es konkret um die mögliche Umbenennung des Nettelbeckufers, das nach dem gleichnamigen Steuermann von Sklavenschiffen und Befürworter der dt. Kolonialpolitik Joachim Nettelbeck (von den Nazis später als Nationalheld stilisiert) benannt ist.
Das Thema ist durchaus brisant: Inwieweit vermitteln, problematisieren oder schönen beispielsweise Straßennamen hierzulande die eigene (kritische) Geschichte? Sollen Straßennamen in Deutschland, die nach Personen der Kolonialgeschichte benannt sind, abgeändert werden?
In Erfurt prallen derzeit zwei Lager aufeinander: Gegner einer möglichen Umbenennungsinitiative argumentieren, dass die Namensänderung aus heutiger Perspektive / nach heutigen Normen und Moralvorstellungen geschieht und man befürchtet, die eigene kritische Geschichte somit aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Hier wird allerdings vergessen, dass Straßennamen einen engen zeitlichen Bezug haben, da sie i.d.R. als Ehrung und nicht als Mahnmal betrachtet werden.
Dekoloniale Initiativen hingegen setzen sich dafür ein, die Opfer kolonialer & rassistischer Verbrechen bei möglichen Straßennamen (so wie in Erfurt Gert Schramm, Opfer des NS-Regimes) in den Vordergrund zu rücken, so dass diese Personen entsprechend gewürdigt werden und das Echo des Negativen quasi im Straßennamen mitschwingt.
In Erfurt zumindest läuft derzeit alles auf einen - durchaus pietätslosen - Kompromiss hinaus: Das Ufer soll seinen Namen behalten und Nettelbeck + Schramm werden auf einer gemeinsamen Infotafel erwähnt / gewürdigt.
Wie soll Eurer Meinung nach mit derartigen Straßennamen verfahren werden? Unterstützt Ihr die dekoloniale Variante, in der Straßen künftig die Namen der Opfer tragen? Oder sprecht Ihr Euch für einen Verbleib von Straßen aus, die den Namen kritischer Personen tragen? Wie soll im öffentlichen Raum / Diskurs am besten mit diesem Thema der eigenen Geschichte umgegangen werden?
Wir freuen uns auf Eure Beiträge und Eure Sichtweise.
Es handelt sich hierbei um ein wichtiges und durchaus sensibles Thema, das diskutiert werden darf / muss. Rassistische Antworten / Kommentare sowie Beiträge, welche die Verbrechen der Kolonialpolitik / der NS-Zeit beschönigen, werden konsequent entfernt.
Viele Grüße
Euer gutefrage Team
38 Antworten
Ich sag es mal allgemein, wenn es um die Benennung von Orten geht sollte man die Person vorallem im Verhältnis ihrer Zeit sehen, es gibt dennoch bestimmte Grenzen. Wenn man die Leute nur nach unseren Moralvorstellungen beurteilen könnten wir wahrscheinlich so gut wie alle älteren Namen streichen weil man immer irgendwas findet. Alleine Antisemitismus war früher sehr weit verbreitet. Im Falle diesen Beispiels find ich aber ne Umbenennung für gerechtfertigt aufgrund dessen dass er eben auch Steuermann von Sklavenschiffen war und somit auch aktiv an Sklaverei beteiligt war.
Man sollte aber bei solchen Sachen immer von Fall zu Fall entscheiden.
Eine kritische Aufarbeitung solcher Themen ist durchaus wichtig, aber setzt man sich kritisch damit auseinander, in dem man konsequent Namen aus der deutschen Geschichte entfernt und so tut, als hätte es diese nicht gegeben?
Was spricht dagegen, die Straßennahmen zu belassen aber in dem Gebiet mit entsprechenden Hinweistafeln aufzuklären?
Nettelbeck wurde von den Nazis als Nationalheld stilisiert. In der DDR war das nicht anders. Kann Nettelbeck posthum etwas dafür? Kann er etwas dafür, dass sein patriotisches Handeln zur damaligen Zeit durchaus rechtmäßig war?
Reißen unsere Nachkommen in 150 Jahren irgendwelche Denkmäler von Scholz oder Merkel nieder, weil die verfehlte Klimapolitik zu einem Artensterben geführt hat?
Die Menschheit und das Rechtsverständnis entwickelt sich (hoffentlich) immer positiv weiter. Müssen wir deswegen die Fehler der Vergangenheit aus unserer Geschichte löschen?
Stimmt.
;-)
Aber noch zu oben: Die Straßenschilder sehen Tausende. Wie viele Menschen würden solche Info-Tafeln lesen? Soll dann vielleicht etwas an jedes Schild geheftet werden?
Ja, die sehen tausende, aber wieviele davon setzen sich mit den Straßenschildern auseinander?
Ich selbst wohne in einer Dr.-XY-Straße. Ich habe keine Ahnung, wer dieser Dr. gewesen ist. Für die, die sich damit befassen wollen kann man aufklären.
Das "wie" ist eine andere Frage.
Gerade bei den alten "Nazi-Straßen" tun das Tausende, bzw. sie haben es getan.
Oder bei Carl Peters & Co. Deshalb sind die weg. Und das ist auch gut so.
Es kommt da immer darauf an: Habe ich bewusst Unrecht getan (also die Nazis) oder habe ich etwas getan, was zur damaligen Zeit vollkommen legitim und üblich war (Sklaverei + Kolonialismus), also nicht nur in Deutschland/dem Deutschen Reich.
Die Namen, die mit der NS-zeit verbunden werden, müssen weg. Alles, was mit der Kolonialisierung zusammenhängt, eher nicht.
Das sehe ich völlig anders.
Beispiel "Deutsch-Südwest": Sklaverei bleibt Sklaverei. Völkermord bleibt Völkermord.
Macht ja nichts, deswegen ist es ja überall eine kontroverse Debatte ;-)
Deine Meinung verstehe ich vollkommen. Ich finde aber Auseinandersetzen wichtiger, als verdrängen. Das wird bei Straßennahmen und anderen Dinge getan.
Die Diskussion über solche Straßennamen ist doch gerade das Gegenteil von Verdrängung.
Oder habe ich dich jetzt falsch verstanden?
Meiner Meinung nach sollten die Straßen weiterhin ihren Namen tragen dürfen.
Man kann das was in der Vergangenheit passiert ist nicht umändern, und wenn man jetzt die Namen ändern möchte, dann wirkt es so als ob man das was passiert ist verschleiern möchte, und das finde ich nicht gut.
Mit dieser Logik hätte man die tausenden "Adolf Hitler Straße" behalten müssen.
Meistens waren es Adolf Hitler Plätze, und die hießen oft nur 10 Jahre lang so, hatten also keine lange Tradition. In Anbetracht Hitlers herausgehoben negativer Rolle war dabei ein Canceln dieser Straßennamen richtig.
Man kann das was in der Vergangenheit passiert ist nicht umändern,
Darum geht es doch auch gar nicht. Man sollte aber Personen, die in der Vergangenheit Verwerfliches getan haben (auch wenn es legal war), nicht ehren.
Es muss keine Straße umbenannt werden. Einfach eine erklärende Tafel hinzu, so wie wir das in Wien teilweise schon haben und gut wäre es.
Bei uns gibt es diesbezüglich ja auch ständig Diskussionen. Aktuelles Beispiel Dr. Karl Lueger. Bürgermeister von Wien (1897-1910) und genau deswegen die Namensgebung, aber leider auch Antisemit. Billigste Lösung für alle wäre eine Zusatztafel mit Erklärung.
Total überzogenes Beispiel ist der Porscheweg in Linz, da er nach Ferry Porsche benannt ist. Ein Teil will den Namen komplett weg haben, die anderen meinen es würde genügen den Weg nach dem Auto und nicht mehr nach seinem Erfinder zu benennen und man müsse den Namen nicht mehr ändern. Naja, wenn man sonst keine Probleme hat.
Joachim Nettelbeck war kein Nazi.
Nur weil die Nazis irgendwen aus der dt. Vergangenheit gut fanden - völlig komisch, da sie ja trotzdem Deutsche waren - heißt das nicht, dass man diese Person ausradieren muss. Oder die Straßennamen ändern muss.
Ich gebe mal ein reales Beispiel:
Ein Soldat, der mehrfach im Afhanistaneinsatz war, hatte dort in seiner Gruppe ein Motto: "Treue um Treue". Dieser Leitspruch wurde dann verboten, weil es angeblich mit der Wehrmacht assoziiert wurde. Allerding stammt dieser aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon.
Wisst ihr, wie man sich dann als Soldat fühlt, der im Einsatz war, für dieses Land und dann wird so mit dem umgegangen, was einen dort tagtäglich durchhalten hat lassen?
Das ist Cancel Culture wie sie im Buche steht.
Ich vermute mal, dass es nie Scholz- oder Merkeldenkmäler geben wird.
;-)