Gärtnerlehre nach Abi+FÖJ: verschwendetes Talent bzw. überqualifiziert?
Hallo,
ich (18, m) bin derzeit auf Ausbildungssuche und habe mich nach jahrelangem Nachdenken definitiv erstmal gegen ein Studium entschieden.
Bin heuer mit dem Abitur fertig, mache derzeit ein FÖJ, das etwas in landwirtschaftliche Richtung geht und interessiere mich stark für Umweltthemen, Ökologie, (Lebensmittel-)handwerk, Landwirtschaft. Möchte lieber etwas praktisches, sinnvolles, nachhaltiges draußen machen.
Ursprünglich wollte ich eigentlich Chemie studieren oder Chemielaborant werden (besseres Gehalt, Chemie fand ich aber etwas zu theoretisch)
Nun stehen mir noch wenige infragekommende Ausbildungsberufe zur Auswahl: Gärtner Obst-/Gemüsebau, sowie evtl. Winzer, Fleischer, Brenner.
Gehe auch lieber ohne Hausaufgaben nachhause und leide zusätzlich unter einer ziemlichen Aufschieberitis
Ich hatte schon im Abitur (ab Q2/3) keine so rechte Lust mehr auf das erzwungene Bulimielernen. Die Note (2,3) war sogar recht gut für mein Nullbockgehabe ganz gegen Ende - habe noch nicht mal für meine Abiprüfungen gelernt (ja, war falsch). Jedenfalls hatte ich auch mit Mathe Riesenprobleme, was gegen ein Studium spräche. Gehe auch lieber ohne Hausaufgaben nachhause und leide zusätzlich unter einer ziemlichen Aufschieberitis.
Meine Frage ist jetzt:
Ich mache mir nur etwas Sorgen, bei potentiellen AGn als überqualifiziert, ein Besserwisser, zu gelten. Mein Latinum und Graecum erwähne ich im Lebenslauf gar nicht erst (nur im Zeugnis) und bin manchmal der Meinung, ich weiß zu viel, denke zu viel - wurde vor zig Jahren sogar mal als hochbegabt diagnostiziert, was mir aber ziemlich egal ist.
Immerhin haben Studierte ein deutlich höheres Einkommen und Ansehen als in diesen Berufen (1600-2500 brutto ohne Weiterbildung).
Haben Hauptschüler bei o. g. Berufen bessere Karten, weil sie "praktischer" sind und weniger hinterfragen? Oder haben Abiturienten sogar bessere Karten?
Könnte das sogar Talentverschwendung sein, dass ich in einigen Jahren nur mit Ausbildung und schlechtem Gehalt dastehe?
Oder soll ich nur auf mein Herz hören, ohne groß aufs Geld zu achten?
5 Antworten
Wenn du den Eindruck vermittelst –egal ob direkt oder unterschwellig – dass du dich für „was Besseres“ hältst, dann ist das nicht gut fürs Betriebsklima, die Kollegen werden dich nicht gern mögen und die werden dich nicht gern einstellen – mit Recht.
Und wenn ich in deiner Frage lese, wie du deine Qualifikationen betonst, dann drängt sich schon der Eindruck auf, dass du da als Oberschlauberger oder Besserwisser auftreten könntest ;-)
Kommt alles auf deine Persönlichkeit an!
Geld ist definitiv nicht alles und sorgt auch nicht allein dafür, dass man mit dem, was man fünf Tage die Woche, acht Stunden am Tag, so tut, glücklich und zufrieden wird. Von daher ist es absolut kein Fehler, sich bewusst gegen ein Studium zu entscheiden, selbst wenn man Abitur gemacht hat.
Worüber du dir allerdings klar sein solltest: eine Ausbildung kann durchaus unterfordernd sein, wenn man eigentlich sehr gut in der Lage zum schulischen, theoretischen Lernen ist, gerne Dinge bis in's Detail hinterfragt und versteht und allgemein ganz gern den Kopf zum Denken benutzt. Und diese Unterforderung kann locker genau so frustrierend und stressend sein wie eine Überforderung durch ein enormes Lernpensum!
Hinzu kommt, dass du als Azubi definitiv zurückhaltend und bescheiden auftreten solltest. Insbesondere im eher handwerklichen Bereich, wenn du Abitur mitbringst. Gar nicht so selten trifft man dort auf Menschen mit Vorurteilen, eventuell begründet durch Neid, gegenüber "Intellektuellen". Und wenn du dann auch noch ein bisschen so auftrittst nach dem Motto "Ich bin klüger als ihr!", nun, dann ist das Mobbing quasi vorprogrammiert...
Aber was die Zukunftsaussichten betrifft: schau mal, welche Weiterbildungen welcher Beruf so bietet. Denk an die Möglichkeit zur Selbstständigkeit. Schau, ob und was man eventuell später noch ergänzend/aufbauend studieren kann. Das Bildungssystem ist unglaublich durchlässig heutzutage, es gibt enorm viele Wege, auch neben dem Beruf weitere Qualifikationen zu erwerben. Und wenn man das tut, eröffnen sich auch viele neue, spannende und durchaus gut bezahlte Wege!
Es ist halt immer die Frage nach der Art und Weise ;). Gegen echtes Interesse und Eigeninitiative, die die eigenen Befugnisse nicht überschreitet, haben Chefs tatsächlich eher selten was. Aber zum einen bestehen Betriebe nicht nur aus dem Chef und zum anderen ist das oft 'ne Gradwanderung hin zur Besserwisserei bzw. dass es so aufgefasst wird...
Besonders "hohle" Azubis? Allein diese Form der Fragestellung lässt, ehrlich gesagt, schon tief blicken und bestätigt meine Befürchtung ein wenig, dass du dich da massiv in Gefahr begibst, der ausgegrenzte Prügelknabe zu werden ;).
Besser formuliert und auch gedacht wäre es, wenn du dich eher fragst, in welchen Berufen schulisch-theoretisches Lernen nicht so im Fokus steht, sondern andere Fähigkeiten gefragt sind. Genau das ist es nämlich, was das und die Azubis dort ausmacht - schlichtweg anders gelagerte Talente/Fähigkeiten. Ja, die werden leider oft gesellschaftlich nicht so hoch angesehen wie Berufe, in denen man komplizierte Denkprozesse hinbekommen muss. Aber gerade, wenn du in diesen Bereich möchtest, solltest du da eben nicht so denken :).
- Höre auf dein Herz und suche dir eine Ausbildung/einen Job, von dem du meinst, dass er dich erfüllt und der deiner Neigung zu einer naturverbundenen Tätigkeit nahe kommt.
- Wenn du diesen Job gern machst, wirst du vielleicht auch Interesse daran finden, für deine Weiterbildung zu lernen. Gärtnermeister oder -techniker ist für einen intelligenten und auch praktisch orientierten Menschen absolut nicht außer Reichweite und mit dieser Qualifikation würde dir später auch der Weg an jede Hochschule freistehen, falls du doch noch nach Höherem streben solltest.
- Du kannst dich als Meister/Techniker auch selbstständig machen und deine eigene Öko-Gärtnerei aufmachen oder dich zum Fachberater für Öko-Land- und Gartenbau qualifizieren.
Je mehr Freude und Überzeugung du für dein Fach aufbringst, desto leichter wird dir auch das zielorientierte Lernen fallen, frei nach dem Motto "non scholae sed vitae discimus".
Und mit den lateinischen Pflanzennamen tust du dich schon mal leicht.
Ob Dein Abi auf potentielle Arbeitgeber 'abschreckend' wirkt, kann man m. E. nicht allgemein gültig beantworten, das hängt sehr von der jeweiligen Person ab. Ich glaube aber, dass es in den von Dir genannten Berufen nicht gerade von Bewerbern wimmelt und die Arbeitgeber froh sind, dass sich überhaupt jemand interessiert - wenn der dann noch 'nen graden Satz raus bringt und wenigstens 2 und 2 zusammen zählen kann, um so besser...
Und was das 'verschwendete Talent' angeht: Mir wäre ein Job, der mir Spaß macht (solange ich davon halbwegs sorgenfrei leben kann) wichtiger als dicke Kohle...
(Ich selber arbeite trotz Abi und Studium heute als Busfahrer ...)
Habe studiert fürs Lehramt am Berufskolleg (Mathe und Bautechnik), aber leider das 2. Staatsexamen nicht bestanden.
Busfahrer ist nicht für jeden was, und auch nicht mein "Traumjob", aber es ist OK, und manchmal macht es auch wirklich Spaß - z. B. wenn ich bei schönem Wetter fast leer unterwegs bin, denke ich manchmal: "Ist doch nett, fürs Spazieren fahren bezahlt zu werden, andere machen das als Hobby" ;-)
Mach das was dir besser gefällt. Ob der mögliche Arbeitgeber Abitur besser oder schlechter findet kann man im Vorhinein nicht sagen, ein vernünftiges Anschreiben gleicht aber so oder so vieles aus.
Danke dir für die ausführliche Antwort!
Zurückhaltend, naja - ich habe es bis jetzt so erlebt, dass viele Chefs es durchaus begrüßen, wenn man Fragen stellt, eigenes Wissen einbringt, selber denken kann, und nicht nur passiv-treudoof alles nachmacht. Mit den Mitazubis sähe dies freilich anders aus. Kennst du Berufe, die für besonders hohle Azubis berüchtigt sind?