Der Unterschied zwischen den Herrschertiteln "Kaiser", bzw. "Zar" und "König"?
Hallo liebe Community,
ich stelle mir schon seit geraumer Zeit die Frage, was einen Kaiser oder Zar von einem König unterscheidet, wobei ich nicht vom Imperator des antiken Roms oder den Kaisern des Heiligen Römischen Reich spreche, welche vom Papst gesalbt wurden, bzw. nicht über ein ganzes Imperium herrschten.
Ich rede viel mehr vom Kaiserreich Abessinien oder vom zentralafrikanischen Kaiserreich. Ich verstehe nicht, warum in Brasilien zunächst zwei Amtszeiten von Königen, danach von Kaisern, bestritten wurden, welches danach erst zur Republik wurde. Auch in Mexiko gab es das erste und zweite Kaiserreich.
Wie kann es sein, dass 1934 Mandschukuo, welches von Japan besetzt wurde, zum Kaiserreich proklamiert wurde, obwohl in Japan der Tennō herrschte?
Wie kann es sein, dass es in Haiti das erste und zweite Kaiserreich gab, bzw. was unterschied dies, von dem Königreich, welches dort auch später existierte?
Ich verstehe, dass ein König tatsächlich das Staatsoberhaupt einer Monarchie darstellt, wobei ein Kaiser im Mittelalter dann, nach Untergang des Römischen Reiches, vom Papst zum ernannten Beschützer des Abendlandes und christlichen Glaubens, wurde, wovon es nur einen zur gleichen Zeit gab. Nur Könige konnten dabei Kaiser werden, wobei der Begriff sich immer noch auf die Macht eines Imperiums (Beispiel: Julius Cäsar) bezog, wobei der Kaiser also nicht nur in seinem eigenen Land die Macht inne hatte, sondern (teilweise) ein riesiges Gebiet beeinflusste, welches durch ihn beherrscht wurde.
Wie kann es aber sein, dass es auch außerhalb Europas so viele Kaiserreiche gegeben hat? Was machte eines zu diesem? Was unterscheidet die Begrifflichkeit von einem anderen Monarchen seit den letzten 200 Jahren? Besonders in Bezug auf meine Fallbeispiele würden mich diese Fragen brennend interessieren.
10 Antworten
Den Grundgedanken hast du ja bereits verstanden, wie ich deinem Fragetext entnehme: ein Kaiser beherrschte im Mittelalter nicht nur ein ethnisch oder dynastisch definiertes Gebiet, sondern mehrere "Teilreiche".
In der Moderne ist diese Definition dann ad absurdum geführt worden. Die Tür dazu hat Napoléon aufgetan, indem er sich zum ersten legitimen Kaiser Westeuropas außerhalb des Heiligen Römischen Reiches krönen lies. Damit hatte der Titel seine Autorität verloren, zumal mit dem Kaiser von Österreich ja noch ein zweiter westeuropäischer Kaiser existierte. Das Grundprinzip, dass es immer nur einen (bzw. zwei, wenn man Ostrom/Byzanz und später Russland berücksichtigt) christlichen Kaiser geben sollte, war damit hinfällig geworden.
Damit ist auch die Frage geklärt, warum es nie mehrere Kaiser gab, obwohl häufig ein Monarch verschiedene Königreiche regiert hat: der Kaisertitel wurde von der (katholischen) Kirche verliehen, und die tolerierte im Westen nur einen davon. Natürlich hätten sich die britischen Könige zu den "Kaisern Britanniens" erklären können, die Spanier zu den "Kaisern Iberiens" oder die Dänen zu den "Kaisern Skandinaviens" - anders als im Videospiel "Crusader Kings 2" wäre ein solcher Anspruch aber von niemandem anerkannt worden.
Was die modernen "Kaiserreiche" wie Haiti oder Zentralafrika betrifft - das sind Modetitulierungen, nichts weiter. Sie entsprachen überhaupt nicht dem Anspruch, der im Mittelalter an den Kaisertitel gestellt wurde, da ihre Reiche eigentlich viel zu klein dafür waren.
Außereuropäische und nicht-christliche Kaiserreiche wie Persien, China oder Japan sind wieder eine andere Geschichte. Da werden die einheimischen Titel (wie "Schah" oder "Tennō") einfach in die europäische Entsprechung übersetzt. So bedeutet "Schah" beispielsweise einfach nur "Herrscher" - Königs- und Kaisertitel, wie sie das christliche Europa definierte, waren im alten Persien unbekannt. Man übertrug den Begriff wohl deshalb nicht als König, sondern als Kaiser, weil die entsprechenden Reiche eine gewaltige historische und kulturelle Bedeutung, Größe und Machtposition besaßen. Da erschien eine Umschreibung als "König von China" einfach zu banal. Das war eben einfach europäische Romantisierung.
Hier ist sehr schön erklärt, dass es keine generelle Definition gibt wann ein Herrscher Kaiser wurde, oder eben nur König war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiser
Eine der wichtigsten Begründungen war mit Sicherheit, dass wenn ein Reich, was aus mehreren Königreichen bestand, keiner der Könige zum Fürsten herabgestuft werden musste (was z. B. Ludwig II. passiert wäre, wenn Wilhelm I. 1871 nicht deutscher Keiser, sondern König von Deutschland geworden wäre).
In Russland war der Zarentitel der gewaltigen Größe des Reich geschuldet, wie auch in China.
In Indien waren die Maharadjas ja König, daher musste Victoria als Fremdherrscherin eben auch Kaiserin werden.
Bei anderen war es ggf. ein selbstgewählter Titel, um Größenwahn zu befriedigen. Bokassa von Zentralafrika, der von Napoleon inthronisierte Maimilian I. von Mexiko, oder der Kaiser von Abessinien, als es noch ein Reich war.
Ich habe das immer nur auf die Größe des Reiches bezogen, wobei das allerdings oft auch der Herrscher selbst definiert haben dürfte. Oder auch, dass ein Kaiser über mehrere Königreiche herrschte. Das Ganze aber durchaus willkürlich und/oder aus Tradition heraus.
Victoria war ja auch Kaiserin von Indien, aber nur Königin von Britannien. Erschien mir auch immer komisch.
Spannende Frage jedenfalls.
Eigentlich ist der Kaisertitel, wie du ja bereits selbst weißt, immer ein Anspruch auf das römische Erbe gewesen bzw. die Fortführung des römischen Großreichs (neben der Verwendung der Minuskel eine weitere lang andauernde Erfindung Karls des Großen). Der Zarentitel ist im Grunde dasselbe.
Wie Indecisive schon ausgeführt hat, beginnt der Missbrauch des Kaisertitels mit Napoleon, der das natürlich ganz bewusst im Sinne seiner Agenda, das Heilige Römische Reich zu zerschlagen, getan hat.
Das Kaiserreich Abessinien hätte man in bezug auf neguse negest (›König der Könige‹) auch Großkönigreich Abessinien nennen können, man fand aber in der Übersetzung den ohnehin schon seiner römischen Bedeutung beraubten Herrschertitel ›Kaiser‹ hübscher.
Das zentralafrikanische Kaiserreich ist ja eine moderne Diktatur gewesen, die sich wohlklingender historischer Begriffe bedient hat (da es sich um ehemaliges französisches Territorium handelt, womöglich in Anlehnung an Napoleon).
In Brasilien entstand das Kaiserreich in bewusster Unterscheidung zum alten portugiesischen Königreich, außerdem ein Jahr nachdem anderswo in Lateinamerika, nämlich in Mexiko, ein Kaiserreich etabliert wurde (in erklärter Nachahmung Napoleons). Das zweite mexikanische Kaiserreich ist wiederum über die Habsburger nach Mexiko gekommen, die sich für ihr Herrschergeschlecht und Österreich nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches eine eigene Kaiserwürde vorbehalten haben.
Der japanische Tenno wird selbst oft als Kaiser übersetzt, weshalb die japanischen Eroberungen dahingehend auch Kaiserreiche sein können. Dass hat wie beim chinesischen Kaiser wohl mit der teils sakralen und außerordentlichen Stellung der beiden Herrscher zu tun, für die den Historikern der Königstitel zu profan war.