Wird die Meinungsfreiheit und Demokratie nun sogar bei verdi verleugnet, was ein politischer Skandal ist?

Aus: Ausgabe vom 23.09.2023, Seite 5 / Inland

GEWERKSCHAFT

Verdi auf Linie

Bundeskongress stimmt für Lieferung von Waffen an Ukraine. Debatte um Leitantrag abgewürgt

Von Susanne Knütter

Charles Yunck

»Kein Bruch mit der Tradition«: Verschleierungstaktiker Werneke auf dem Kongress

Auch das ist Demokratie: Die bis dahin schweigende Mehrheit des Verdi-Bundeskongresses nutzte am Donnerstag abend den ersten Änderungsantrag zum »friedenspolitischen« Leitantrag des Bundesvorstands, um ihre Argumente für den »Verteidigungskrieg« in der Ukraine abzufeuern. Obwohl mit diesem ersten Änderungsantrag zunächst einmal nur der Passus zur regierungstreuen Haltung der Gewerkschaft zur Sanktionspolitik gestrichen werden sollte. Nach anderthalb Stunden Debatte lehnten Dreiviertel der Delegierten die vorgeschlagene Änderung ab. Und damit war für sie offenbar alles gesagt. Zwei Geschäftsordnungsanträge folgten, die mit Mehrheit angenommen wurden. Der erste forderte das »Ende der Debatte für alle Änderungsanträge«, der zweite die Blockabstimmung aller Änderungsanträge zum Leitantrag. Das bedeutete nichts anderes als die Ablehnung aller Änderungen, die mehrheitlich eine Bekräftigung des friedenspolitischen Profils von Verdi und ein klares Nein zu Waffenlieferungen und Aufrüstung von Bundeswehr und NATO forderten.

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Mehrere Delegierte erklärten danach am Mikrofon, in ihren demokratischen Rechten beschnitten worden zu sein und die Aufgaben, für die sie delegiert wurden, nun nicht mehr wahrnehmen zu können. Sie zogen daraus persönliche Konsequenzen und verließen den Kongress entweder sofort oder erklärten, nicht noch einmal als Delegierte an einem Gewerkschaftstag teilnehmen zu wollen. Von einem »wirklichen Tiefpunkt der innerorganisatorischen Debatte« sprach René Arnsburg aus Berlin. Eine Änderung des Leitantrags sei für »nicht mehr möglich« erklärt worden. Die Kongressleitung habe dem Antragsteller vorgeschlagen, was er abstimmen lassen solle: »Das ist aus meiner Sicht eine De-facto-Spaltung des Kongresses«. Die weitere Abstimmung über den Leitantrag E084 – »nur eine Farce«.

Auffällig war tatsächlich, dass die Befürworter der Vorgaben des Verdi-Bundesvorstands bei der anschließenden Debatte um den Leitantrag zunächst wenig sagten, erst weiter hinten auf der Redeliste auftauchten, im Gegensatz zu vorher vergleichsweise spontane Beiträge hielten und sich im Unterschied zu den Kritikern des E084 inhaltlich wiederholten. Was sie sagten, war aber größtenteils unterirdisch....

Thies Hansen offenbarte sein tiefes Vertrauen in den hiesigen Staat, als er mitteilte, das BKA habe über Hunderte von Zeugen vernommen, Beweise gesichert und Lkw-weise DNA-Material nach Deutschland gebracht, »um nachher sicher feststellen zu können, dass diese Kriegsverbrechen tatsächlich stattgefunden haben«. Sicherlich unbeabsichtigt erinnerte er anhand des Kosovo- und des Irak-Krieges daran, dass seine Gewerkschaft bisher in jedem Krieg die Position der Regierung übernommen hat. Andere Delegierte wollten sich den Schuh der Mitverantwortung für Waffenlieferungen nicht anziehen, wenn sie auf dem Bundeskongress für den Leitantrag stimmen. Schließlich sei es ja nicht Verdi, die Waffen liefere.

Betont werden müssen an dieser Stelle mehrfach vorgebrachte Verschleierungen des Verdi-Chefs Frank Werneke. Der vorliegende Antrag sei »kein Bruch mit der friedenspolitischen Tradition von Verdi«, er stehe »auch nicht im Widerspruch zu unserer Grundsatzerklärung«. »Wir gehen gemeinsam davon aus, dass immer mehr Waffen die Welt nicht sicherer machen. Am Ende könne dieser Krieg nur durch Verhandlungen gelöst werden. Aber – und hier sieht Werneke einen notwendigen Richtungswechsel – »wenn es ein Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gibt«, dann müsse diese auch »die Möglichkeit haben, sich Waffen beschaffen zu können«. Und zweitens: »Soll die Ukraine zu einem Waffenstillstand gedrängt werden, wenn der Preis dafür eine weite Aufgabe von ihren Territorien ist?« Die Botschaft ist klar: Wenn es ernst wird, vertritt diese Gewerkschaft nationale Interessen – und nicht die von Arbeitern. Der Antrag des Bundesvorstands wurde mit 79,4 Prozent der Stimmen angenommen.

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Demokratie, Meinungsfreiheit, ver.di

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