Wie steht Kants kategorischer Imperativ zu Schwangerschaftsabbrüchen?
Hey! Ich mache mir zur Zeit in Vorbereitung auf eine Philosophieprüfung Gedanken über den kat. Imperativ und wie man ihn auf verschiedene Beispiele anwenden kann. Ein paar Überlegungen habe ich schon angestellt, vielleicht könnt ihr mich ja evtl. korrigieren oder meine Gedanken erweitern. Das wäre wirklich sehr hilfreich :)
Nehmen wir an: Eine Frau ist im 6. Monat schwanger und erfährt, dass ihr Ungeborenes vermutlich mit einer schweren Erkrankung geboren wird, die eine ziemlich geringe Lebenserwartung mit sich bringt. Der behandelnde Arzt sagt ihr, dass in diesem Fall ein Spätabbruch der Schwangerschaft zulässig wäre (auch aufgrund der psychisch hohen Belastung für die Schwangere). Handelt sie laut Kant moralisch, wenn sie das Kind abtreiben lässt? (Dieses Beispiel stammt so aus meinem Philosophiebuch und ich möchte es gerne auswerten.)
Hierzu meine Gedanken: Man stellt zuerst eine Maxime für die individuelle Handlung auf, hier beispielsweise: Ich lasse mein Ungeborenes abtreiben, da dieses vermutlich ein kurzes und krankes Leben haben würde.
Da eine Handlung laut Kant ja aber nur moralisch ist, wenn sie universell und jederzeit von allen Menschen ausgeführt werden könnte, so muss man eine allgemeine Maxime aufstellen, die jegliche Neigungen ignoriert. Z.Bsp.: Alle Schwangeren sollen ihre Kinder abtreiben. (Also Anwendung der Universalformel)
Daraus kann man nun einen Widerspruch finden: Wenn alle Schwangeren ihre Kinder abtreiben, dann müsste ich ebenso wollen können, dass auch ich abgetrieben wurde. Dies ergibt jedoch keinen Sinn, da sich so der eigene Verstand auslöschen würde. Das enthält keine Vernunft und kann somit auch nicht gewollt sein. Also würde Kant diese Handlung nicht als moralisch betrachten.
So, das wären zunächst einmal meine Gedanken zu dem Beispiel, ich wäre für jede Antwort dankbar :)
3 Antworten
Der kategorische Imperativ steht gar nicht zu Schwangerschaftsabbrüchen. Er sagt einfach nur aus, dass deine Maxime (wie immer die aussehen) diesbezüglich Gesetz werden könnten.
Mit dem kategorischen Imperativ kann man ungeheuer manipulativ fragen.
Beispiel:
Handle stets nach der Maxime von der du zugleich wollen kannst, dass sie zum höchsten Gesetz werde. Das ist der kategorische Imperativ und gilt immer.
Kannst du wollen das ein Lebewesen getötet wird, weil das ein anderes Lebewesen so will. (Gegen SChwangerschaftsabbruch).
Kannst du wollen, dass ein Lebewesen einem Lebewesen einem grauenvollen Lebewesen als behinderter ausgesetzt wird, (vorausgesetzt das Leben als Behinderter ist grauenhaft) - (ich habe die Klammer aus methodischen Gründen eingefügt und es entspricht nicht meiner Einschätzung vom Leben als Behinderter).
Du kannst den K.I. mit genügend Rethorik in die Richtung drehen, die du brauchst, je nachdem, welches Ergebnis du haben willst.
Mit dem kategorischen Imperativ kann man ungeheuer manipulativ fragen.
Tut mir leid, aber das ist vollkommen falsch. Der kategorische Imperativ ist äußerst präzise und restriktiv. Damit der kategorische Imperativ gültig ist, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- keine inhaltliche Widersprüchlichkeit (logische Widerspruchsfreiheit)
- keine Widersprüchlichkeit zur Bestimmung des guten Willens (d. h. Handlungen unter dieser Maxime könnten unter den Begriff einer Handlung aus gutem Willen fallen)
- keine Widersprüchlichkeit der Maxime zur Bestimmung als unbedingtes Gebot (also als ein kategorischer Imperativ, d. h. eine unbedingte Anweisung an den eigenen Willen, der dieser auch grundsätzlich (ceteris paribus) folgen könnte).
Dazu kommt die Selbstzweckformel Kants, die du ebenfalls hier einfach mal ignoriert hast.
Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. (Kant)
- Ist die Handlung X moralisch akzeptabel?
- Mache X zu einer vollkommenen Pflicht - jeder tut es. (Abstraktion)
- Wenn jeder, der X tun kann, X tut, was passiert dann? Kann jeder trotzdem X tun?
- Wenn ja, dann ist das logisch konsistent und X ist moralisch akzeptabel.
- Wenn sie es nicht können, haben wir einen Widerspruch erreicht - jeder tut X, nur können sie es nicht. Also ist X moralisch inakzeptabel.
Kannst du wollen das ein Lebewesen getötet wird, weil das ein anderes Lebewesen so will.
Diese Maxime widerspricht bereits der 3. Bedingung. Wenn du wollen kannst, dass ein anderes Lebewesen getötet wird, weil es ein anderes Lebewesen so will, so müsstest du gleichzeitig auch dich selbst damit einbeziehen und "wollen" können, dass auch du getötet wirst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das nicht wollen kannst, außer du gehörst zu der seltenen Sorte Menschen, denen das gefällt. In jenem Fall würde also in exakt dem Moment, in dem dir selbst, intuitiv und innerlich bewusst ist, dass du das nicht wollen kannst, du nicht mehr aus gutem Willen handeln, folglich also auch schon der 2. Bedingung widersprechen.
Dazu widerspricht es sogar der 1. Bedingung, da es hier zu einer inhaltlichen Widersprüchlichkeit kommt. Machen wir dein Beispiel mal richtig:
- Jeder ermordet Menschen (Mord ist eine vollkommene Pflicht)
- Alle bringen sich gegenseitig um und lassen entweder eine oder keine Person am Leben.
- Die Menschen können ihre vollkommene Pflicht, Menschen zu töten, nicht erfüllen.
- Das ist ein Widerspruch - also muss Mord moralisch falsch sein.
Es gibt noch einige mehr Probleme mit deinem Beispiel, wie erwähnt. Der grundlegende Ablauf der Anwendung des K.I läuft immer folgendermaßen ab:
Grundformel -> Naturgesetzformel -> Selbstzweckformel -> Autonomieformel.
Du kannst den K.I. mit genügend Rethorik in die Richtung drehen, die du brauchst, je nachdem, welches Ergebnis du haben willst.
Ich weiß nicht wovon du spricht, aber das, was du hier aufgeführt hast, hat zumindest nichts mit dem kategorischen Imperativ zu tun, sondern eher mit deiner falschen Vorstellung darüber.
Da eine Handlung laut Kant ja aber nur moralisch ist, wenn sie universell und jederzeit von allen Menschen ausgeführt werden könnte, so muss man eine allgemeine Maxime aufstellen, die jegliche Neigungen ignoriert. Z.Bsp.: Alle Schwangeren sollen ihre Kinder abtreiben.
Nein, da hast du aber was gründlich missverstanden. Natürlich darf man auch mit Kants Imperativ jede Situation individuell bewerten. Der kategorische Imperativ sagt nur, dass in genau dieser Situation das Handeln zur allgemeinen Maxime werden könnte.
Hier wäre die korrekte Frage also: Wäre es richtig, wenn alle Frauen, deren Kind schwer erkrankt und mit sehr kurzer Lebenserwartung geboren werden würde, die Schwangerschaft abbrechen würden?
Das kann man eindeutig bejahen. Es ist nicht nur für diese eine Frau richtig, sondern es wäre für jede Frau mit so einer schlimmen Situation richtig.
Ob man unabhängig von dieser Aufgabenstellung die Entscheidung nun richtig findet, unter diesen Voraussetzungen abzubrechen, hat vor allem mit religiösen Einstellungen zu tun und wie man zu Schwangerschaftsabbruch steht. Ich halte einen Abbruch unter diesen Bedingungen aus medizinischer Sichtweise für richtig.
Wenn dein Lehrer das wirklich gesagt hat, dann hat er Kant auch nicht verstanden! Das wäre erschreckend.
Nein, so hat Kant das nicht gemeint. Natürlich geht es um spezielle Situationen und wie nicht nur "man sich selbst" sondern "jeder sich in der Situation" richtig verhält. Man verallgemeinert von sich auf alle, aber die Situation muss natürlich trotzdem die gleiche bleiben. Sonst ergibt sich ja ausschließlich Unfug.
Dieses Prinzip a la Marc Singer "What is right for one person must be right for anyone in the same or similar circumstances” bezieht sich aber auch im größeren Kontext auf "rechtens" bezogen auf eine subjektive und in Grenzen flexible Bewertung , während das deutsche "richtig" einen gewissen absoluten Wert impliziert.
Dazu kommt, dass "Verallgemeinerung" sich auf den allgemeinen Ansatz für alle Mitglieder der betrachteten Gruppe bezieht, aber eben nicht auf die zu bewertende Handlung. D.h. die Prämissen, meist die Einschränkungen oder Parameter unter denen eine bestimmte Handlung stattfindet und bewertet wird müssen trotzdem genau definiert sein. Eine grundsätzliche Vereinfachung macht das Ganze aussagelos bzw. erlaubt durch clevere Auswahl der Vereinfachungen jedwede Handlung als nicht dem KI entsprechend darzustellen.
Z.B. "Einen Menschen in Notwehr zu töten ist richtig" kann man nicht auf auf "einen Menschen zu töten ist richtig für alle Menschen" verallgemeinern, sondern allenfalls auf "einen Menschen in Notwehr zu töten ist rechtens für alle Menschen"
"Einen Menschen in Notwehr zu töten ist richtig" kann man nicht auf auf "einen Menschen zu töten ist richtig für alle Menschen" verallgemeinern, sondern allenfalls auf "einen Menschen in Notwehr zu töten ist rechtens für alle Menschen"
Ganz genau!
Man definiert einfach eine genaue Notwehrsituation. Es ist laut Kant nur dann für mich richtig, Notwehr anzuwenden, wenn es zugleich für jeden in der gleichen Situation richtig wäre.
Kant betont damit, dass man nicht für sich Sonderregeln schafft oder einer mehr darf als andere. Die gleichen Regeln für alle. Wenn es für mich richtig oder falsch ist, dann ist es für alle richtig oder falsch.
Natürlich muss die Situation, um die es geht, ganz genau definiert werden. Die Situation darf nicht einfach verallgemeinert werden, sonst kommt nur Quatsch raus. Dein Lehrer hat da möglicherweise was ganz grundsätzlich falsch verstanden. Das wäre mehr als erschreckend. Er soll sich mal bei mir melden... ;-)
Danke zunächst einmal für deine Antwort!
Ich hab mich wahrscheinlich bei diesem Beispiel zu sehr von einem anderen Beispiel meines Lehrers beeinflussen lassen. Wir nahmen beispielsweise das Diktatorenbeispiel durch (Stauffenberg als konkretes Beispiel). Und hierbei verallgemeinerte mein Lehrer "Ich befreie die Menschheit vom Diktator" zunächst zu "Ich töte einen Menschen.". Und dann haben wir daraus geschlussfolgert, dass der Mord des Diktators laut Kant nicht moralisch sein kann, denn dann würde man die Maxime aufstellen: "Alle Menschen sollen alle Menschen töten.". Und das kann ja nicht gewollt sein, da es ja auch einen logischen Widerspruch in sich trägt. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass man auch in diesem Fall die Situation strikt verallgemeinern muss (mein Lehrer nannte es das Prinzip der strikten Verallgemeinerung)