Wer hat ein größeres "Anrecht" auf die Überholspur - der Überholende mit etwas über Richtgeschwindigkeit oder der Raser?
Wir hatten Silvester eine Diskussion mit 2 verhärteten Lagern zum Thema Überholspur (linke Spur auf der Autobahn).
Person 1 berichtete, auf der Autobahn auf der rechten Spur mit 130 km/h gefahren zu sein. Es gab dort keine Geschwindigkeitsvorgabe.
Vor Person 1 tauchte ein Fahrzeug auf, dass nur 100 km/h fuhr, also blickte Person 1 in den Rückspiegel, sah dort sehr weit entfernt ein Fahrzeug und setzte zum Überholen an.
Bei dem Fahrzug, NOCH weit entfernt, handelte es sich um einen Raser, der weit über 200 km/h unterwegs war, sich nun während des Überholvorgangs dem Auto von Person 1 stetig näherte und schließlich hupend mit Lichthupe hinter 1 an der Stoßstange klebte.
Person 1 schilderte, dass dies sehr häufig zu beobachten sei, und nicht nur bei ihm, sondern auch bei anderen Raser so dicht auf der linken Spur auffahren.
Obwohl im Rückspiegel das Fahrzeug noch deutlich entfernt war beim Überholvorgang, drosselt der Raser seine Geschwindigkeit nicht, sondern fährt mit hoher Geschwindigkeit auf den Überholenden zu und verlangt, dass dieser die Überholspur räumt.
Es schaltete sich dann Person 2 ein und sagte, sie sei eine Raserin und der Raser würde korrekt handeln, da der Fahrer mit dem Überholwunsch prinzipiell nur dann überholen dürfe, wenn die Überholspur hinter ihm komplett frei sei.
Wenn da immer Raser auftauchen, dürfe er halt auch generell nicht rausziehen und müsse hinter dem langsamen Fahrzeug verbleiben.
Man habe prinzipiell Rasern den Vorrang zu gewähren, da diese es eilig hätten und nicht durch normal schnell fahrende Autos aufgehalten und zum Drosseln des Tempos gezwungen werden dürften.
Das Drangsalieren und dichte Auffahren sei zwar nicht korrekt, prinzipiell sei aber der Raser im Recht.
Bitte Eure persönliche Meinung oder rechtliche Einschätzungen dazu.
Dass auch der mit dem Überholwunsch vorausschauend fahren und nicht einfach rausziehen darf, ist klar.
Unklar ist, wenn hinten am Horizont weit weg ein Fahrzeug auf der Überholspur zu sehen ist, ob man dann immer davon ausgehen muss, dass sich da ein Raser nähert, der nicht bereit ist, den Anderen überholen zu lassen, da er sein Tempo nicht drosseln will (die Rede ist hier nicht von einer Vollbremsung wegen eines unvermittelt Überholenden, sondern von einem Fahrzeug, bei dem aus weiter Entfernung schon zu sehen ist, dass es überholen will und wird (langsamer Vordermann, links ist aktuell frei, Blinker ist gesetzt)).
18 Antworten
Einerseits greift der https://dejure.org/gesetze/StVO/1.html, andererseits gilt aber auch: https://dejure.org/gesetze/StVO/7.html
"(5) 1In allen Fällen darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. 2Jeder Fahrstreifenwechsel ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen."
Den Rest entscheiden die Richter im konkreten Einzelfall.
"Das Drangsalieren und dichte Auffahren sei zwar nicht korrekt, prinzipiell sei aber der Raser im Recht."
Das kann also Nötigung sein.
Und dann wäre da noch der https://dejure.org/gesetze/StVO/3.html
"Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. 2Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen."
Wer rast, nimmt je nach Situation eben keine Rücksicht auf den restlichen Verkehr. 200 km/h mutterseelenalleine sind eine andere Situation als im dichteren Verkehr eines Ballungsgebietes.
oder anders: ein Raser hat keinerlei nennenswerten "Rechte" an seiner Fahrweise, er mag das für sich moralisch so deuten, aber das ist sein Problem.
Schon richtig; da hierfür aber bereits Eventualvorsatz ausreicht, ist der Spurwechsler effektiv schneller im Tatbestand der Nötigung als der Drängler.
Denn der Spurwechsler hat bereits durch seine bloße physische Anwesenheit das Nötigungsmittel der Gewalt verwirklicht, während dagegen der Drängler zusätzlich noch eine physische („Stress“-)Reaktion beim Spurwechsler verursachen muss.
(Wenigstens eventual-)vorsätzlich müssen beide handeln.
neugierige Laiennachfrage: wenn der, der ausschert, die Geschwindigkeit das Überholers nicht oder kaum richtig abschätzen konnte, wie verhält es sich dann mit der Nötigung?
Das scheint mir ja generell der Kasus Knacktus zu sein, die Einschätzung der Geschwindigkeit des Überholers.
wenn der, der ausschert, die Geschwindigkeit das Überholers nicht oder kaum richtig abschätzen konnte, wie verhält es sich dann mit der Nötigung
Du brauchst für den Vorsatz wenigstens, dass er die Möglichkeit erkannt hat, dass er den Herannahenden ausbremsen könnte und sich damit billigend abgefunden hat.
Rechtswidrig wird‘s dann, wenn sich das ganze auch als verwerflich darstellt. Heißt: Ein geringfügiges Abbremsen zur Wahrung des Sicherheitsabstands genügt nicht; es braucht aber auch nicht erst einer konkreten oder erheblichen Gefährdung. Hierauf muss sich der Vorsatz aber nicht erstrecken.
neugierige Laiennachfrage: wenn der, der ausschert, die Geschwindigkeit das Überholers nicht oder kaum richtig abschätzen konnte, wie verhält es sich dann mit der Nötigung?
Ist und bleibt fahrlässig. Vorsatz heisst immer mit dem Wissen um, und dem Willen des Erfolgseintrittes.
Es gibt eine klare Abgrenzung zwischen Fahrlässig und vorsätzlich. Selbstwenn der Ausscherende wissen muss, das sein handeln möglicherweise Überholer gefährdet, ist es immer noch nachzuweisen, das er den Erfolgseintritt der Nötigung auch beabsichtigt und willentlich durchsetzt. Ansonsten ist und bleibt es fahrlässig.
Aus dem gleichen Grund gibt es auch keine fahrlässige Sachbeschädigung.
Ist und bleibt fahrlässig. Vorsatz heisst immer mit dem Wissen um, und dem Willen des Erfolgseintrittes.
Vorsatz heißt wenigstens ernsthaftes für-möglich-Halten bei billigender Inkaufnahme.
ist es immer noch nachzuweisen, das er den Erfolgseintritt der Nötigung auch beabsichtigt und willentlich durchsetzt
Absicht ist eine von drei Vorsatzformen.
Keine Ahnung, was daran nicht zu verstehen ist; zumal das die allgemeingültige Definition des Eventualvorsatzes ist und vom BGH in ständiger Rechtsprechung praktiziert wird. Rechtsprechungs- und Literaturnachweise liefere ich auf Wunsch nach, aber statt vieler: BeckOK-StGB/Kudlich, Stand: 1.11.2021, StGB § 15 Rn. 16 ff.
Diese Definition deckt den Vorsatz und damit den gesamten subjektiven Tatbestand ab.
Was mit „Tatwillen“ gemeint sein soll, erschließt sich mir in dem Zusammenhang nicht. Soll damit der natürliche Handlungswille gemeint sein? Willst du allen Ernstes behaupten, dass der Spurwechsler nicht den Willen gehabt haben soll, eine Handlung - namentlich den Spurwechsel - zu tätigen?
Das geht aus meiner Frage auch nicht hervor.
Aber nicht im geschilderten Fall!
Die Aussagekraft seiner ‚Fallschilderung‘ wurde dir schon hinlänglich dargelegt:
ein größeres "Anrecht" auf die Überholspur
NIEMAND!
Alle haben die gleichen Rechte und niemand hat mehr Rechte.
da der Fahrer mit dem Überholwunsch prinzipiell nur dann überholen dürfe, wenn die Überholspur hinter ihm komplett frei sei.
Aber sie ist ja genau genommen niemals komplett frei! Irgendwann kommt immer einer! Also dürfte auch der "Raser" nicht auf die linke Spur fahren, weil hinter ihm bestimmt auch Fahrzeuge auf der linken Spur sind.
Unklar ist, wenn hinten am Horizont weit weg ein Fahrzeug auf der Überholspur zu sehen ist, ob man dann immer davon ausgehen muss, dass sich da ein Raser nähert, der nicht bereit ist, den Anderen überholen zu lassen
Exakt!
Natürlich darf man kein heranfahrendes Fahrzeug in eine Vollbremsung zwingen. Aber wenn man nur mit der Richtgeschwindigkeit überholen will muss ein nachfolgendes Fahrzeug eben seine Geschwindigkeit reduzieren.
Aber kein "Raser" kann ernsthaft erwarten, dass die linke Spur komplett nur für ihn frei zu halten ist.
Beobachten wie schnell der weit entfernte PKW näher kommt. Schaff ich es nicht meinen Vordermann zu überholen, ohne, dass der Ankommende abbremsen müsste, überhol ich nicht und lass ihn noch durch.
Schaun wir mal, wie es danach aussieht.
Da ich NUR 30 schneller bin, kann ich auch noch rechts bleiben, bis lang genug frei ist. Da muss ich nicht auf Überholen bestehen und einen abbrensen.
Ich sehe wie schnell jemand hinten näher kommt, kann auch abschätzen, wie lang ich brauch, um den 100 km Langsamen zu überholen.
Wenn der Überholer zu schnell näher kommt und er wegen mir seine Geschwindigkeit drosseln müsste, lass ich ihn lieber durch.
Denn er würde mehr Zeit verlieren als ich, wenn ich noch kurz hinter dem 100 er bleibe, bis der Raser durch ist.
Wegen 2 Minuten Zeitersparnis geh ich kein Risiko ein.
Lang genug frei, dass kein Raser wegen mir verlangsamen muss. Die lass ich immer durch.
Lass den rasen. Hauptsache ich komm heile an und behalt meine - 30% Versicherung. Lieber reisen, ohne Stress, statt rasen. Ich mag keinen Drängler im Genick.
Aber Lichthupe ist ne Frechheit, verkehrswidrig und strafbar. Es gibt auch ganz Geniale, die überholen dann rechts. 😀😂
Gegenseitige Rücksichtnahme ist das Zauberwort. In dem von P1 beschriebenen Fall hat der mit 130 fahrende alles richtig gemacht. Der „Raser“ dagegen machte sich (so wie beschrieben) der Nötigung schuldig. Das höhere Anrecht hat derjenige, der gerade aktuell seinen Überholvorgang ausübt. Das kann sogar ein LKW sein.
Moin Rosenmary!
Das alte Thema ...
Ich fahre seit vielen Jahren nur noch mit gemäßigtem Tempo auf der Autobahn. Dabei bin ich mit den Augen fast genauso viel im Rückspiegel unterwegs wie nach vorne hin.
Wer einfach so mit 120 rauszieht und den (erheblich) schnelleren rückwärtigen Verkehr missachtet, bringt sich selbst und andere in Lebensgefahr.
Ist der Raser deshalb sowieso im Recht...?
Nein.
So wie alle anderen Fahrer, hat niemand das Recht, generell und überall so schnell zu fahren, wie er / sie Lust hat.
Maßgeblich hierfür sind immer noch Streckenverlauf und Verkehrsaufkommen.
Bin ich auf einer vollen Bahn unterwegs und fahre dennoch volles Rohr auf der linken Spur, dann habe ich nicht verstanden, dass Straßenverkehr nur mit Rücksicht auf andere funktionieren kann.
Und weil in Deutschland auf vielen Strecken kein Tempolimit existiert, muss jeder Autofahrer situationsbedingt seine Fahrweise anpassen und seine Aufmerksamkeit verlagern.
Da gibt es kein generelles "ist Schuld" bei diesen Begegnungen, sondern immer in Anbetracht der Situation.
Einzige Anmerkung:
Was ebenso für den Spurwechsler gilt.