Was versteht ihr unter "verklemmten Menschen"?

Ich stamme aus einer Umgebung, in der sehr viele Menschen "verklemmt" im eigentlichen Sinne waren und wahrscheinlich heute noch sind. Sie waren chronisch neugierig, aber tief betroffen, wenn man ihnen was nachsagte; sie waren stets bestrebt, nicht aufzufallen und ihr "seriöses" Bild zu wahren, haben extreme Angst davor als unseriös zu gelten, kamen nie aus sich raus, wollten nie ihr Gesicht verlieren und gingen unbequemen Dingen, die ihr "seriöses" Ansehen ihrer Meinung nach hätten schädigen können, vehement aus dem Weg - darunter fiel schon, dass man nicht zum Straßenfest ging und die Gesellschaft "minderwertiger" Menschen mied. Als "minderwertig" galt jeder, der anders war - egal, in welcher Weise. Es genügte schon, wenn jemand lockere Kleidung statt klassischen Oberhemden trug oder die "falsche" Automarke fuhr oder in einer "nicht grad so schönen" Straße wohnte oder wenn bekannt war, dass er englischsprachige und laute Musik hören würde. Eigentlich unfassbar, aber ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass diese Leute aktuell großartig anders sind, als sie vor 10-20-30ff. Jahren gewesen sind. Man will auf keinen Fall auffallen. Eine gewisse Obrigkeitshörigkeit und Unterwerfung gehört ebenfalls dazu, mal mehr und mal weniger ausgeprägt.

Verklemmtes Verhalten definiert sich für mich persönlich - da ich diese Leute unfreiwillig alle intensiv kennen gelernt habe selbst in Bereichen, die man als Außenstehender eigentlich nicht kennen lernen will und als Gemeinderat und Ehrenamtler sowie ganz banal als Nachbar und Hausmeister viel Zeit mit ihnen und ihren Anliegen zubrachte - auch in einer gewissen Unsicherheit, geringem Selbstbewusstsein und zugleich unverfrorener Selbstgerechtigkeit. Das eine schließt das andere nicht aus, mehr noch, diese "Untugenden" befruchten sich gegenseitig.

Eine gewisse sexuelle und moralische Prüderie mischt stets unverhohlen mit; man würde NIE über Sex reden und nicht mal dran denken bzw. schämt sich sogar dann, wenn es ein anderer tut. Generell spielt Scham hier eine sehr große Rolle und man schämt sich mitunter sogar für sich selbst. Ich habe verklemmtes Verhalten auffällig oft bzw. in der Hauptsache bei Sudetendeutschen erlebt, die aufgrund ihrer Herkunft unter Komplexen litten und sich teils nie so geben konnten, wie sie eigentlich waren - aus Scham vor sich selbst und aus Entsetzen über sich selbst.

Völlig harmlose und selbstverständliche alltägliche Dinge der "Neuzeit" wie Restaurants mit internationaler Speisekarte, Modetrends und neue Technik, aber auch Themen wie Homosexualität, Diversität, politisch Andersdenkende, Gläubige anderer Religionen, Ausländer, FLüchtlinge (erst recht, wenn man selbst sudetendeutsche Wurzeln hat) usw. weredn mit extremen Ressentiments beäugt und gern nach außen hin als schändlichster und geschmacklosester Auswuchs der Schamlosigkeit deklariert, obowhl man sie vielleicht im Geheimen ganz okay findet - man traut sich nur nicht dazu öffentlich zu stehen, weil man Angst davor hat, fortan abgelehnt zu werden und als "unseriös" zu gelten, was die größte Schande auf Erden für eine verklemmte Person ist. Das Schlimme ist (ich kann es aus meiner Heimat leider bestätigen, weil man mir nach meiner Öffnung auch stellenweise selbst seitens "langjähriger guter Bekannter" mit viel Hass begegnete), dass diese Sorgen berechtigt sind und es meistens auch exakt so wäre.

Dahingehend steht es in ganz eminenter Weise für Verklemmtheit, wenn man nicht zu seiner privaten Meinung stehen kann und sich offensiv sogar anbiedert. In meiner Heimat war es Usus, dass privat z.B. schlecht über jemanden geredet wurde, sobald aber die Sprache im öffentlichen Raum auf die Person kam, mit einer derart falschen "Herzensmilde" und "Pseudo-Freundlichkeit" gesprochen wurde über diese Person, dass man sich nur noch dachte, wo simmer denn?! Und umgekehrt ist das natürlich auch vorgekommen ... es war eigentlich ein reines Irrenhaus. Ich habe das über 20 Jahre miterlebt, bis das Maß einfach voll war.

Mit Glauben und Religion oder Dogmen oder gar Bigotterie hat es jedoch nichts zu tun, auch sehr fromme Leute können sehr weltoffen und ungezwungen sein. Ich bin eher "Kirchvorbeigänger" und nur auf dem Papier katholisch, möchte aber an der Stelle für viele Gläubige eine Lanze brechen.

Verklemmtheit betrifft übrigens keine Altersklasse und wird meist durch Erziehung weiter gegeben. Ich hatte durch meine Erziehung wie viele etwa Gleichaltrige aus meiner Heimatstadt leider auch solche Tendenzen in mir, habe jedoch den Absprung geschafft, indem ich mich von diesem Milieu zuerst distanziert habe und dann weggezogen bin. Und ich bin richtig froh drum.

Menschen ohne Selbstbewusstsein.

Verklemmt sind Menschen, die nicht aus sich herauskommen und sich aus Angst vor sich selbst vor neuen und ungewohnten Dingen drücken. Sie lassen sich nicht fallen und lassen es nicht zu, dass man auch mal zusammen über peinliches lacht.

Dinge die ungewohnt sind wirken auf sie peinlich und machen ihnen Angst. Man will ja nicht blöd rüberkommen oder dumm aussehen. Deshalb verschließen sie sich. Oft sind das ziemliche Stimmungskiller.

Man sollte lernen auch offen auf Dinge zuzugehen die eventuell neu sind oder die einem schwer fallen. Konservativ ist nicht, es geht um Veränderung und Weiterentwicklung.

Menschen die kein Vertrauen in sich selbst haben, die auf keinen Fall lächerlich aussehen wollen oder Grund von Gelächter. Beim Versuch gelassen zu wirken wirken sie dadurch aber angespannt, und eben nicht gelassen. Sie denken konstant darüber nach wie sie gerade wirken (könnten) und sind angespannt da sie die ganze Zeit volle Kontrolle über ihre Haltung haben möchten. Steigern sich da auch oft selbst rein bzw. höher hinein indem sie sich selbst negativ reflektieren.

Vg

Menschen, die nicht aus ihrer Haut raus können, Hemmungen haben, sich nicht frei artikulieren können. Einfach viel zu viel nachdenken anstatt einfach das Leben so zu nehmen wie es ist.