Warum handelt es sich bei der 'Dolchstoßlegende' um eine 'Legende'? Hilfe

13 Antworten

Weil Erich Ludendorff (Kopf der Obersten Heeresleitung OHL) selbst im August und September 1918 in verschiedenen Besprechungen gesagt hat, dass der Krieg militärisch verloren war. Er hat dann selbst die Bildung einer parlamentarischen Regierung forciert (die Regierung Max von Baden, die am 2. Okt. 1918 zusammentrat), und diese unter Druck gesetzt, dass sie so schnell wie möglich einen Waffenstillstand aushandelte. Es war das ausgesprochene Ziel von Ludendorff, die Verantwortung für den fälligen Waffenstillstand auf bürgerliche Parlamentarier wie Matthias Erzberger abzuwälzen. Und dann hat der Lügner später auf einmal behauptet, der Krieg sei gar nicht militärisch verloren gewesen, sondern die Revolutionäre an der Heimatfront seien der Front in den Rücken gefallen. Auch das war eine infame Lüge, denn in Wirklichkeit ging die Meuterei der Truppen von Frontsoldaten aus, die nicht mehr in einem sinnlosen Schlussgemetzel verheizt werden wollten. Auch dafür gibt es in den Akten der OHL Belege. Dann erst griff dieser Gedanke auf die Matrosen der Kriegsmarine über, was die eigentliche Novemberrevolution auslöste.

Besonders infam war der Verrat Ludendorffs an Erzberger. Es war Erzberger, der die harten Waffenstillstandsbedingungen zuerst nicht unterzeichnen wollte. Es waren Hindenburg und Ludendorff, die ihn dazu gezwungen haben. Und dann stellen sich die gleichen Typen hin und hetzen gegen den "Novemberverbrecher" Erzberger und beklatschen noch seine Ermordung 1921. Leider hat sich damals niemand gefunden, der den Verbrecher Ludendorff seiner gerechten Strafe zugeführt hätte.

Die Konservativen haben behauptet, dass die Sozialdemokraten dem Heer quasi den Dolch in den Rücken gestoßen haben (durch ihre Aufstände wie den Matrosenaufstand) und dass Deutschland den Krieg deshalb verloren hätte. Aber wie du sicher weißt hat Deutschland den Krieg aus anderen Gründen verloren, deswegen propagandistische Legende.

Die sogenannte Dolchstoßlegende war und ist eine Geschichtsfälschung übelster Art: Sie versuchte (und versucht heute noch!) den Eindruck hervor zu rufen, Deutschland habe den 1. Weltkrieg verloren, weil die Heimat durch revolutionäre Unruhen der Front in den Rücken gelallen sei. Tatsächlich aber war im Herbst 1918 Deutschland längst in einer militärisch völlig aussichtslosen Situation. Aber so wurde diese falsche Behauptung zur Mitursache für den Nationalsozialismus und damit für den 2. Weltkrieg.

Die Dolchstoßlegende wurde von den rechten, militaristischen Kräften ersonnen, die ihr totales Scheitern weder vor sich noch vor dem von ihnen betrogenen Volk eingestehen wollten. Ein markantes Beispiel ist das Schundbuch ****"Im Westen wohl was Neues Contra Remarque" von Franz Arthur Klietmann****. In diesem Buch kannst Du sehr deutlich all die Ausreden und Idiotien nachvollziehen, deren zufolge Sozialisten und Kommunisten und "vaterlandslose Gesellen" die Front durch ihre Zerseztungstätigkeit aufgeweicht und damit den feindlichen Aktivitäten Vorschub geleistet hätten. Gleichzeitig hätten deren Gesinnungsgenossen, die sich feige vor der Front gedrückt hätten, die Diversantentätigkeit im Hinterland fortgesetzt und druch Streiks und Sabotage die Kriegs- und versorgungswichtige Industrie geschwächt. Das alles benutzten die Nazis, a) um den Revanchismus anzufachen, b) die durch den verlorenen Krieg verletzte Volksseele zu streicheln, zu trösten und für sich einzunehmen (Wir tapferen Kämpfer waren ja eigentlich gar nicht schuld - die bösen Volksschädlinge waren es...) und c) gegen eben diese "Volksschädlinge" rigoros vorgehen zu können.

Sinn und Zweck der Dolchstoßlegende war also, den "braven, tapferen" Frontsoldaten - wie ja auch der Gröfaz einer gewesen sein soll, reinzuwaschen (die konnten halt nur duch einen Dolchstoß in den Rücken zu Fall gebracht werden...) - und siehe, nach Entfesselung des 2. Weltkrieges und Ausschaltung der "Dolchstoßer" wurde dann ja auch England zum Schweigen gebracht und über den Ärmelkanal gejagt, Frankreich innerherahlb von Wochen überrant und die Wehrmacht an der Wolokolamsker Chausse in Schußweite von Moskau in Stellung gebracht. Jedem deutschen Einzeller schien in dem Augenblick die Dolchstoßlegende plausibel und bewiesen.

Sie ist und bleibt aber Blödsinn.

Also, den "Dolchstoß in den Rücken der Front" von vorneherein als Lüge zu bezeichnen, ist in der heutigen Zeit ein wohlfeiles Argument. Der Historiker Wilhelm Deist urteilte: „Ein „verdeckter Militärstreik“ lähmte immer größere Teile des Heeres. „Die Truppen greifen nicht mehr an, trotz Befehlen“, meldete Oberst von Lenz, Generalstabschef der 6. Armee, Mitte April. […] Kriegsverweigerung war zur Massenbewegung geworden. Insgesamt entzog sich in den letzten Kriegsmonaten vermutlich eine Million Soldaten der Armee. […] Es ist eine Legende, dass ein „Dolchstoß“ in den Rücken des Heeres zum militärischen Zusammenbruch des Reichs führte. Die deutsche Armee blieb nicht, wie ihre Führung vorgaukelte, „im Felde unbesiegt“ - am Ende war sie nicht viel mehr als ein Offizierskorps ohne Truppe.“ (s. Wikipedia) - Deist spricht hier tatsächlich von einem Dolchstoß, nur dass der "Stoß" aus der Mitte der Truppe ausgeführt wurde. Die Frage ist allerdings: wer hat diesen "verdeckten Militärstreik" organisiert oder (indirekt) dazu aufgerufen. Es müssen, meine ich, Kräfte am Werk gewesen sein, die mit ihrer - sagen wir einmal: "defätistischen Propaganda" die Kampfmoral der Truppe gelähmt haben. Auch in der Heimat müssen solche Kräfte am Werk gewesen sein. H. schreibt in "Mein Kampf" (das Buch besteht ja nicht auf jeder Seite aus "Gehirnquatsch") von einem Munitionsstreik, der vielen Soldaten an der Front das Leben gekostet habe und mit zur Schwächung der Moral im Heer beigetragen habe. Man kann also sagen: die Dolchstoßlegende, d.h. ein (massiver) Dolchstoß aus der Heimat in den Rücken des Heeres, ist tatsächlich zum größten Teil "Legende", allerdings eine totale Lüge ist das nicht, etwas Wahres ist dran!


tonikal  26.09.2011, 17:49

Darüber, wer den Militärstreik organisiert hat, gibt es m. W. Untersuchungen. Ergebnis: Niemand hat ihn organisiert. Die Soldaten sind ganz von alleine darauf gekommen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war (vor allem als sie auf ausgeruhte und hervorragend bewaffnete amerikanische Truppen gestoßen waren), dass es also völlig sinnlos gewesen wäre, sich in den letzten Wochen eines verlorenen Krieges noch verheizen zu lassen. Sogar Soldaten machen sich manchmal Gedanken über ihr Überleben! Es sind etliche Fälle überliefert, in denen Truppen, die von der Front in die Etappe zurückkehrten, den entgegenkommenden Truppen zugerufen haben: "Streikbrecher!" Das heißt aber: Der Streik ist von der Front ausgegangen und nicht von der Heimat.

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