Warum darf man die ganze Welt beleidigen aber nicht einzelne?

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Von Experte OlliBjoern bestätigt

Wie du richtig schreibst, sind Kollektivbeleidungen nur strafbar, wenn (1) sie sich auf einen deutlich aus der Allgemeinheit hervortretenden Personenkreis beziehen, (2) der klar abgrenzbar und überschaubar ist und (3) dessen Mitglieder sich zweifelsfrei bestimmen lassen. In der juristischen Literatur findest dazu begründen wie: Ohne diese Voraussetzungen "verliert sich die Beleidigung in der Anonymität." Und das macht auch irgendwie Sinn. Die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB sollen die Ehre des Einzelnen schützen. Es ist nicht unsinnig zu sagen, dass die Ehre des Einzelnen desto weniger Betroffen ist, je allgemeiner die Beleidigung ist.

Am Ende des Tages wird aufgrund der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG irgendwo eine Schranke festgelegt; schließlich "beißen" sich die §§ 185 StGB mit der Meinungsfreiheit. Das BverfG hat das in einem Beschluss ganz gut formuliert (BverfG, Beschluss vom 17. Mai 2016, 1 BvR 257/14 und 1 BvR 2150/14). In diesem Beschluss ging es um eine Beleidigung durch das Tragen eines Oberteils mit der Aufschrift "ACAB" in der Öffentlichkeit:

 Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. 

Ich hoffe das hat dir weitergeholfen.