Stimmt es dass die meisten in den 80er jahren dachten dass die DDR dauerhaft bleiben wird und Wiedervereinigung unwahrscheinlich?
12 Antworten
Auf Basis der Erzählungen meiner Großeltern, Eltern, Schwiegereltern und anderer Menschen aus Ost und West, die damals bereits erwachsen waren (ich selbst war beim Mauerfall erst 5 Jahre alt), waren sie allesamt extrem überrascht davon, dass es 1989 auf diese friedliche und schnelle Weise zum Mauerfall kam. Also, klar, es war spätestens ab der Zeit der Montagsdemos in Leipzig und zunehmend weiteren Städten der DDR mehr als erkennbar, dass viele Menschen in der DDR mehr als unzufrieden mit dem Staat waren.
Meine Schwiegereltern waren da auch dabei - aber immer nur einer von beiden, damit die andere Person mit den Kindern zu Hause bleiben konnte, um zu verhindern und aus Angst, dass die Kinder allein sind oder "verschwinden", wenn sie beide festgenommen werden... Sprich, sie waren extrem unzufrieden mit dem Mangel ein Freiheit in jeglicher Hinsicht, sie haben sich dagegen engagiert, aber sie hatten dabei auch echt Angst - und somit keineswegs irgendeine Form von Hoffnung oder Gewissheit, dass das alles friedlich und unproblematisch zu einer Wiedervereinigung führen würde.
Und meine eigene Familie, auf westlicher Seite, hat in dem Moment, wo in den Nachrichten kam, dass die Mauer aufgemacht wird, als erstes darüber nachgedacht, wie die "Ostverwandtschaft" am besten unterzubringen wäre und haben quasi schon angefangen, die Gästebetten zu beziehen. Auch auf eine - freudig - überraschte Weise.
Also ja, selbst damals, als es wirklich zu Protesten und schlussendlich dem Mauerfall kam, war das für viele Menschen auf beiden Seiten eine absolute Überraschung, etwas, womit kaum jemand ernsthaft gerechnet hat. Und in den Jahren davor natürlich umso weniger.
Bei uns in der Familie war es jedenfalls so. Wir haben von Deutschland (also dem Westen) und der DDR gesprochen.
Die Wiedervereinigung im GG war so etwas wie ein völlig überkommenes Wunschdenken. Als dann die Mauer geöffnet wurde, war es erst recht surreal.
Das kommt wohl stark darauf an wann in den 80ern. Zu Beginn der Dekade verhärteten sich die Fronten zwischen NATO und Warschauer Pakt wieder, zu diesem Zeitpunkt dachten es vermutlich wenige. Nachdem Gorbatschow im Amt war zeichnete sich aber bereits eine Liberalisierung ab. Und der Mauerfall am 9.11.1989 gehört auch noch in die 80er Jahre. Danach dürften schon einige mehr begriffen haben, dass es mit diesem Staat nicht mehr so lange weitergeht.
Ich war im August 1989 in Ost-Berlin ( damals 19) zu Besuch und fest davon überzeugt ( wie alle Schulkameraden und Freunde, dass die Teilung bleiben würde. War Westdeutscher.
Nichts deutete darauf hin. Sogar im August 1989.
Am 6. Juli 1989 war ich mit meiner Familie in Österreich / Wien: In mein Tagebuch schrieb ich: „Dann zur Mariahilferstraße, dort Bummel. Man hört viel ungarisch reden. Die Mariahilferstraße ist die bevorzugte Einkaufsstraße der Ungarn (aus dem maroden, bankrotten Ostblock!)
Am 11. September 1989 schrieb ich: „Heute strömen tausende DDR-Flüchtlinge, aus Ungarn kommend, in die Bundesrepublik. Der Kommunismus scheint in der Agonie zu liegen: Polen ist ruiniert und pleite, in Russland wird es chaotisch, Ukrainer und Rumänen strömen nach Ungarn, die Ungarn selbst kaufen die Mariahilferstraße in Wien leer.“
Da man aber voll in sein tägliches Leben mit seinen Anforderungen: beruflich, privat und im Urlaub mit Besichtigungen beschäftigt war, nahm man diese Ereignisse eher nebenbei und als unwirklich wahr, brachte sie auf keinen Fall mit der Wiedervereinigung Deutschlands in Verbindung, die man für völlig ausgeschlossen hielt.
Am 26. September 1989, schrieb ich: „Wiedervereinigungsgerede in der Presse, sogar in Moskau! Aber Dämpfer: Der sowjetische Außenminister Schewardnadse spricht – vor der UNO-Vollversammlung – von den Gefahren für den Weltfrieden durch egoistische Einzelinteressen; zählt dazu auch den deutschen Revanchismus! Den Sozialismus hält er noch für überlebensfähig. Und das bei den Auflösungserscheinungen im Ostblock!
Auch außerhalb dieser Bemerkungen und schon vorher habe ich noch in Erinnerung, dass hier und da Wiedervereinigungsgerüchte durch die Lande (sprich: die Presse) geisterten. Ich nahm das aber nur als etwas Exotisches, eigentlich völlig Unwahrscheinliches zur Kenntnis und ging zur Tagesordnung über.
Die Auflösungserscheinungen im Ostblock nahmen wir ebenfalls zur Kenntnis: „Im Fernsehen abends Bilder von DDR-Flüchtlingen in Prag: Es wurde gezeigt, mit welch wilder Energie und (wildem) Geschrei sie die Prager Botschaft der BRD stürmten… Trotzdem hat man das Gefühl, dass ein gewaltiger historischer Umbruch im Gange ist. Der Kommunismus ist am Ende…“ - 4. Oktober 1989
Am 9. November 1989 schrieb ich in mein Tagebuch: „Die DDR will ihre Leute jetzt über ihre eigenen Grenzen ausreisen lassen! Die sowjetische Regierung erklärt, sie sei auch mit einer nichtkommunistischen Regierung in der DDR einverstanden, wenn sie nur im Warschauer Pakt bleibt. Alles mutet wie ein Traum an. Jeder glaubte, noch bis vor kurzem, die Verhältnisse in der DDR seien bis in alle Ewigkeiten zementiert, die deutsche Frage nicht mehr offen. Und jetzt dieser Wandel - mit Aussicht auf Wiedervereinigung.“
Meines Wissens hat Willy Brandt, damals in der Opposition, im Jahre 1989 noch von der Lebenslüge der Wiedervereinigung gesprochen!