Singer vs. Kant Argumente?

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Eine Präferenz (Bevorzugung, Vorliebe, Begünstigung) ist etwas, das jemand gegenüber anderen vorzieht (lateinisch praeferre = vorziehen).

Beim Präferenzutilitarismus sind die Präferenzen, die in den Wünschen und Interessen vorliegen, Grundlage der Ethik. Statt auf Maximierung von Glück/Lust/Freude bzw. Minimierung von Unglück/Schmerz/Unlust kommt es auf die maximale Erfüllung von Präferenzen an.

Das Ausmaß, in dem die Auswirkungen/Folgen einer Handlung mit den Präferenzen des betroffenen Wesens übereinstimmen, ist zu prüfen. Als richtig (moralisch gut) gilt, was am meisten die Präferenzen erfüllt, als falsch (moralisch schlecht), was die Präferenzen missachtet/verletzt.

Damit wird der Begriff „Nutzen“ nicht durch subjektive Befindlichkeiten definiert, sondern durch eine Erfüllung der Wünsche und Strebungen, die sich im Verhalten und Äußerungen zeigen.

Dieter Birnbacher, Utilitarismus/Ethischer Egoismus: In Handbuch Ethik. Herausgegeben von Marcus Düwell, Christoph Hübenthal und Micha H. Werner. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2002, S. 101: „Das Ziel der Moral ist nicht mehr die Herstellung bestimmter subjektiver Zustände, sondern die Herstellung bestimmter Weltzustände. Da sich Wünsche und Interessen auf Weltzustände jenseits individuellen Erfahrungshorizonts richten können, fällt die Interessenbefriedigung nicht mehr notwendig mit einem subjektiven Erleben des Wünschenden zusammen. Im Extremfall liegt die Wunscherfüllung sogar jenseits der Erlebnismöglichkeiten jedes beliebigen Subjekts, wie bei dem Wunsch nach Intaktheit der Biosphäre über das Ende der Menschheit hinaus. Anders als für den klassischen (‹Glücks›-)Utilitarismus ist es für Präferenzutilitarismus also gleichgültig, ob und wie der Akteur die Erfüllung seiner Wünsche erlebt. Es kommt lediglich darauf an, wie intensiv er einen bestimmten Weltzustand erstrebt. Der Nutzen der Erfüllung des Wunsches wird nicht von der Intensität des Erlebens der Wunscherfüllung abhängig gemacht, sondern von der Intensität der Wünsche danach.“

Peter Singer hält (in seinem Werk „Praktische Ethik“) den Grundsatz der gleichen Interessenabwägung (gleiches Gewicht aller betroffenen Interessen) für die Grundlage der Gleichheit. Als Interesse gilt, was eine Person nach Abwägung aller Umstände, die von Belang sind, vorzieht. Alle Wesen mit Interessen sind Subjekte ethischer Überlegungen.

Eine sehr absolutistische und nach starren Regeln aufgebaute Pflichtethik (Deontologie) hat Begründungsschwierigkeiten bei Einschränkungen, wenn Handlungen wegen Abweichens von Regeln trotz deutlich besserer Folgen einschließlich einer Verringerung von Verletzungen dieses Prinzips (der Regel) untersagt werden. Außerdem gibt es ein Problem, möglichen Pflichtenkollisionen (Zusammenstoß/Widerstreit verschiedener Pflichten) nicht angemessen Rechnung tragen zu können. Dies könnte gegen Kant eingewendet werden, der annimmt, es gebe keine echte Pflichtenkollision. Dann wird z. B. ein Zwiespalt einer Pflicht zur Hilfe/Förderung des Glücks andere mit der Pflicht zur Ehrlichkeit in konkreten Ausnahmefällen, bei denen dann eine Abwägung nötig ist, ausgeschlossen.

In Frage gestellt werden könnte, ob die Eignung eines Grundsatzes, Bestandteile einer allgemeinen, der Vernunft entsprechenden sittlichen Gesetzgebung zu sein, nicht nur ein notwendiges, sondern auch ein hinreichende Kriterium für eine unbedingte Geltung als ethisches Prinzip ist. Ein Zweifel könnte geäußert werden, ob Kant hierbei nicht zu formal bleibt.

Das sittliche Gesetz nach Immanuel Kant wird grundsätzlich als der Natur der Menschen als körperliche Sinneswesen, die begehren, feindlich erfahren. Ein Argument der Singervertreter gegen die von Immanuel Kant vertretene Pflichtethik könnte sein, besser eine Übereinstimmung von Pflichten/sittlichen Gesetzen mit dem menschlichen Streben erreichbar zu machen, die bei Kant unerreichbar sei.

Peter Singer weicht von Kant darin ab, alle Wesen mit Interessen bei moralischen Überlegungen zu berücksichtigen. Bei Kant geht es um Personen mit der Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen und in freier Selbstbestimmung eines Vernunftwesens sittlichen Einsichten zu folgen. In einer Formulierung des kategorischen Imperatives heißt es bei Immanuel Kant (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten BA 66 – 67): „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest." Darin sind keine eigenständigen Tierechte (Singer vertritt solche) enthalten, sondern nur aus der Pflicht des Menschen gegen sich selbst bzw. die Menschheit in ihm abgeleitete (Ablehnung grausamer Tierquälerei als Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst wegen Verrohung des Gemüts und Abstumpfung der Fähigkeit zum Mitgefühl).

Eine Hauptstelle mit Argumenten gegen Kant ist:

Peter Singer, Wie sollen wir leben? : Ethik in einer egoistischen Zeit. Aus dem Englischen von Hermann Vetter. 4. Auflage. München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 2004 (dtv ; 36156), S. 206 – 207

Darin wendet Singer, der mit Kant die Forderung nach Universalisierung teilt, ein, die völlige Ausschließung einer Neigung/Lust/Freude bei sittlich lobenswerten Handlungen lasse nur eine Pflicht um der Pflicht willen übrig, ein zwar nützlicher, aber nicht befriedigender künstlicher Ersatz für natürliche Motive. Die Leistungsfähigkeit des Ersatzes für natürliche Neigungen sei beschränkt. Eigenschaften wie persönliche Wärme/Mitgefühl, Kreativität oder Spontanität könnten durch eine Moral, die Pflichterfüllung um der Pflicht willen gebietet, nicht gefördert werden.

Singer meint auch (im Gegensatz zu Kant, nach dem Lügen unter keinen Umständen erlaubt sind), Lügen könnten unter gewissen Umständen als gut, in anderen als schlecht beurteilt werden kann. Die Beurteilung sei abhängig von den Folgen. Singer ist die Praxistauglichkeit (Anwendung im alltäglichen Handeln) wichtig.

Hallo! So wie ich Singer verstehe, akzeptiert er die Auffassung, dass es moralische Normen gibt, denen man (begründet aus der Vernunft) eine „kategorische“ Geltung zuerkennen muss. Aber er kritisiert Kant insofern, als dieser die als richtig erkannten universell gültigen Normen (z.B. Diebstahl ist verboten, weil unmoralisch) mit einem Imperativ versieht, (also ihnen sozusagen den Stempel der absoluten Geltung ohne jede Ausnahme aufdrückt). M.a.W.: er stört sich an dem Wort „Imperativ“, sieht darin eine unzulässige „Rigorosität“ Kants. Siehe das Beispiel des Gegensatzpaares: „Ich darf nicht lügen!“ und „Ich muss Menschenleben retten!“ Das Wahrheitsprinzip rigoros angewandt, müsste ich, um der Wahrheit willen, Menschenleben opfern. Singer hat m.E. Recht. Es muss auch Ausnahmen von einer als richtig erkannten kategorischen Moralnorm geben (z.B. die Notlüge, die Notwehr, den Notstand), und diese Ausnahmen haben dann auch den Charakter eines kategorisch gültigen sittlichen Prinzips. Ich darf einen Mörder anlügen, wenn das der einzige Weg ist, um Menschenleben zu retten. Meine Lüge ist dann moralisch wertvoll.

Singer (aus "Wikipedia" unkommentiert wiedergegeben): In Generalization in Ethics übt Marcus George Singer Kritik am Kategorischen Imperativ. [25]. Er akzeptiert Kants Unterscheidung zwischen moralischen Normen und Regeln der Klugheit bzw. Geschicklichkeit. Er gesteht Kant zu, dass moralische Normen nicht von den Absichten der handelnden Person abhängen. Sie gelten ohne irgendeine Bedingung dieser Art und sind somit kategorisch.

Für Singer geht Kant jedoch über diese Bestimmung hinaus, wenn er moralische Normen als kategorische Imperative bezeichnet. Nach Kant ist ein Imperativ dann „kategorisch“, wenn er „eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung zu einem andern Zweck, als objektiv-notwendig“ hinstellt. Kategorischen Imperativen kommt eine „unbedingte und zwar objektive und mithin allgemein gültige Notwendigkeit“ zu. Sie betreffen „nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr folgen soll, sondern die Form“.

Dies kann man nun mit Kant so verstehen, dass die allgemeinen moralischen Normen wie „Lügen ist verboten“ oder „Geliehenes Geld soll man zurückzahlen“ unter keiner Bedingung eine Ausnahme zulassen. So dürfte man, nach Kant, einen möglichen Mörder auch dann nicht anlügen, wenn man dadurch das Leben unschuldiger Menschen retten könnte.

Kant begründet das damit, dass der Begriff der Wahrheit selbst absurd würde, wenn man das Lügen erlaubt. Ganz ähnlich ist es mit der Pünktlichkeit; wenn ich sage, dass ich pünktlich um 8 da sein werde, aber erst um 9 komme, dann ist es einfach unvernünftig zu sagen, dass ich um 8 komme. Der Begriff der Pünktlichkeit wird selbst ad absurdum geführt. Und genau so ist es mit der Wahrheit. Wenn ich vorgebe, die Wahrheit zu sagen, es aber bewusst (!) nicht tue, dann führe ich den Begriff der Wahrheit ad absurdum. Schwierig wird es hier bei Pflichtenkollisionen: „Ich lüge nicht.“ und „Ich rette Menschenleben“ sind beides moralische Gesetze (also verallgemeinerbare Maximen, keine kategorischen Imperative (!)), nach denen gehandelt werden muss. Für welchen entscheidet man sich? Kant hat dazu leider keine Antwort.

Dieser Rigorismus Kants, der sich auch an dessen Einstellung zur Strafe und speziell zur Todesstrafe zeigt, führt nach Singer zu moralisch fragwürdigen Entscheidungen.

Ihm zufolge ist der verfehlte Kantsche Rigorismus aber keine notwendige Folge aus dem Kategorischen Imperativ. Wenn meine Handlungsmaxime ist, notfalls auch zu lügen, wenn ich dadurch die Ermordung Unschuldiger verhindern kann, so kann ich ohne Probleme wollen, dass diese Maxime zu einem allgemeinen Gesetz erhoben wird. Die Gefahr, dass durch diese Erlaubnis zum Lügen niemand mehr darauf vertrauen kann, dass ihn ein anderer nicht anlügt, ist hier nicht gegeben.


Isanora 
Beitragsersteller
 14.02.2011, 19:08

Danke, der Text ist gut, ich habe mehr über Singers Theorie verstanden... Hättest du aber vielleicht noch irgendwelche Argumente speziell gegen Kant, die ich verwenden könnte? Ich habe sogar gehört, es gäbe einen Text von Singer, in dem er Kant kritisiert, ich suche den aber überall, finde ihn aber nicht. Wüsstest du etwas darüber...?

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emaxba123  14.02.2011, 22:35
@Isanora

Ich kenne nur eine Kantkritik von Marcus George Singer

(s. Wikipedia)

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