Physik: Warum hat Silber in der N-Schale 18 Elektronen und in der O-Schale nur 1 Elektron?

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Moin,

du „übersiehst”, dass das Schalenmodel EIN MODELL für den Aufbau für Atome ist.

Wie du sicher weißt, ist ein Modell eine vereinfachte Veranschaulichung von Dingen oder Phänomenen, aber eben nicht die Wirklichkeit selbst. Dadurch haben Modelle immer Grenzen, aber sie können andererseits nicht falsch sein, sondern höchstens schlechter geeignet als ein anderes Modell.

Und genau dieser letzte Punkt trifft auf das Schalenmodell in Bezug auf Silber (und etliche andere größere Atome) zu.

Du betrachtest das Schalenmodell und kennst offenbar die Regel der maximalen Besetzungskapazität eines Hauptenergieniveaus (einer Schale), nämlich 2 n2, wobei n die Anzahl der Schalen bedeutet.

Danach passen in die N-Schale (4. Schale) tatsächlich maximal (2 • 42 =) 32 Elektronen.

Aber das maximale Fassungsvermögen einer Schale bedeutet nicht automatisch, dass auch alle Unterräume einer Schale energetisch günstiger sind als andere Unterräume in einer höheren Schale.

Um das verstehen zu können, brauchst du ein besseres (an dieser Stelle genaueres) Modell zum Feinbau der Elektronenhülle von Atomen, nämlich das Orbitalmodell.

Die Elektronenhülle ist nämlich nicht nur in Hauptenergieniveaus (Schalen) unterteilt, sondern die Schalen selbst besitzen noch einmal mehr oder weniger viele Unterräume. Diese Unterräume (Orbitale genannt) sind so organisiert, dass sie immer maximal zwei Elektronen aufnehmen können. Die Orbitale nehmen dabei unterschiedliche Formen an. Es gibt kugelförmige s-Orbitale, hantelförmige p-Orbitale sowie d- und f-Orbitale mit diversen Formen. Von den s-Orbitalen gibt es in jeder Schale nur ein einziges (1s, 2s, 3s...). Von den p-Orbitalen gibt es ab der L-Schale pro Schale drei. Von den d-Orbitalen fünf und von den f-Orbitalen sieben.
Das bedeutet, dass die s-Orbitale immer maximal zwei Elektronen aufnehmen können. Die p-Orbitale sind mit sechs Elektronen maximal gefüllt. Die d-Orbitale haben Platz für zehn Elektronen und in den f-Orbitalen können maximal 14 Elektronen unterkommen.

Der Clou ist nun aber, dass es in den Schalen Orbitale gibt, die zwar formal zu einer bestimmten Schale gehören, aber energetisch ungünstiger liegen als andere Orbitale aus höheren Schalen.

Das folgende (Madelung-)Schema zeigt, wie die einzelnen Unterräume von der Energie her nach und nach mit Elektronen befüllt werden:

Bild zum Beitrag

Die Hauptenerginiveaus sind von unten nach oben angeordnet, das heißt, dass unten energieärmere Zustände sind.

Das erste Hauptenergieniveau (die K-Schale) hat nur ein einziges kugelsymmetrisches s-Orbital. Dort passen maximal zwei Elektronen hinein, wie es ja auch die Formel (2 • 12 =) 2 ausweist. Darum gibt es in der ersten Periode des PSE auch nur zwei Elemente, nämlich Wasserstoff und Helium.

Im zweiten Hauptenergieniveau passen in das 2s-Orbital auch wieder zwei Elektronen. In die drei 2p-Orbitale können dann maximal sechs Elektronen unterkommen. Das macht zusammen maximal acht Elektronen. Und siehe da, in der zweiten Periode des PSE gibt es auch acht Elemente (Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Fluor und Neon).

Die Elektronenverteilung in den Atomen dieser ersten zehn Elemente im Grundzustand kannst du daher auch folgendermaßen angeben:

H: 1s1
He: 1s2
Li: 1s2 2s1
Be: 1s2 2s2
B: 1s2 2s2 2p1
C: 1s2 2s2 2p2
N: 1s2 2s2 2p3
O: 1s2 2s2 2p4
F: 1s2 2s2 2p5
Ne: 1s2 2s2 2p6

Der Exponent zeigt dir, wie viele Elektronen in den Orbitalen insgesamt sind. Die Angabe O: 1s2 2s2 2p4 bedeutet also beispielsweise, dass sich in einem Sauerstoffatom (im Grundzustand) zwei Elektronen im s-Orbital des ersten Hauptenergieniveaus (der ersten Schale, K-Schale) befinden. Im s-Orbital des zweiten Hauptenergieniveaus (zweite Schale, L-Schale) sind wieder zwei Elektronen. Und in den drei p-Orbitalen des zweiten Hauptenergieniveaus stecken noch einmal vier (von maximal sechs möglichen) Elektronen.
Damit hat ein Sauerstoffatom acht Elektronen insgesamt (2 + 2 + 4), wovon zwei Elektronen die Rumpfelektronen (1s2) und sechs Elektronen die Valenzelektronen darstellen (2s2 2p4). Alles wie es sein soll...

Und wenn du das jetzt für ein Silberatom fortsetzt, dann ergibt das folgende Besetzung der Unterräume:

Ag: 1s2 2s2 2p6 3s2 3p6 3d10 4s2 4p6 4d10 5s1

Das macht zusammen (2 + 2 + 6 + 2 + 6 + 10 + 2 + 6 + 10 + 1 =) 47 Elektronen.
Und es zeigt, dass nach den 4d-Orbitalen zuerst das 5s-Orbital mit einem Elektron befüllt wird, obwohl es in der vierten Schale eigentlich noch die sieben 4f-Orbitale gäbe. Aber das 5s-Orbital liegt energetisch günstiger als die 4f-Orbitale (siehe Madelung-Schema).

Moment!, wirst du jetzt vielleicht einwenden: Das 5s-Orbital muss laut Madelung-Schema energetisch auch vor den fünf 4d-Orbitalen mit Elektronen bestückt werden. Daher müsste laut diesem Schema die Verteilung der Elektronen doch eigentlich so aussehen:

Ag: 1s2 2s2 2p6 3s2 3p6 3d10 4s2 4p6 4d9 5s2

Tja, und hier stößt du wieder auf das Phänomen, dass Modellvorstellungen (oder in diesem Fall Schemata) eben Grenzen haben.

Die Besetzung der Orbitale erfolgt nicht streng schematisch, sondern es gibt folgende Aspekte zu berücksichtigen:

1. Energieregel
Orbitale werden nach steigender Energie von innen nach außen besetzt.

2. Hundsche Regel
Energiegleiche (entartete) Orbitale werden erst alle einfach mit Elektronen besetzt, bevor eine Auffüllung mit einem zweiten Elektron erfolgt.

3. Pauli-Regel
In einem Atom können zwei Elektronen nicht in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen (befinden sich zwei Elektronen im selben Orbital, müssen sie sich in ihrem Spin unterscheiden).

4. Regel der halbvoll besetzten Orbitale
Bei energetisch sehr ähnlichen Orbitalen (zum Beispiel 4p und 5s bei Silber) ist es im Grundzustand günstiger zwei halbbesetzte oder ein voll- und ein halbvoll besetztes Orbital zu haben als ein vollbesetztes und ein „irgendwie” besetztes.

Von diesen Regeln ist für das Silberatom die vierte von Bedeutung. Bei der Konstellation ...4d10 5s1 sind die fünf 4d-Orbitale mit zehn Elektronen voll besetzt, während das 5s-Orbital mit einem Elektron halbvoll besetzt ist.
Das ist gemäß der Regel der halbvoll besetzten Orbitale besser als die Besetzung ...4d9 5s2, bei der zwar das energetisch günstiger liegende 5s-Orbital voll besetzt wäre, aber die 4d-Orbitale weder voll- noch halbvoll besetzt sind; sie wären mit neun Elektronen „irgendwie” besetzt.

Die letzte Regel setzt in diesem Fall also die (eigentlich wichtigere) Energieregel außer Kraft.

Fazit:

  • Das Schalenmodell ist eine (zu vereinfachte) Modellvorstellung, mit der man die Besetzung so großer Atome, wie es ein Silberatom ist, nicht unmittelbar verständlich wiedergeben kann.
  • Die maximale Aufnahmefähigkeit von Elektronen in eine Schale (in ein Hauptenergieniveau) sagt nichts über die energetischen Stufen von Unterräumen in den Schalen aus, so dass Elektronen in formal höheren Schalen unterkommen können, weil diese über Unterräume verfügen, die energetisch günstiger liegen.
  • Für die Besetzung der Unterräume (Orbitale) eines Atoms ist das Medelung-Schema besser geeignet.
  • Aber selbst im Madelung-Schema gibt es Ausnahmen, bei denen die strikte Besetzung nach der steigenden Energie (Energieregel) der Orbitale durch andere Regeln (zum Beispiel die Regel der halbvoll besetzten Orbitale) außer Kraft gesetzt wird.

Viel Stoff, ich weiß. Aber du hast gefragt...

LG von der Waterkant

 - (Physik, schalenmodell)

NoName9871 
Beitragsersteller
 08.02.2023, 17:18

Dein Beitrag kommt ja schon fast einer Doktorarbeit gleich =) Vielen herzlichen Dank für die Mühe ! Mit dem Orbitalmodell hab ich mich vor kurzem auch beschäftigt und konnte auch darüber etwas in Erfahrung bringen. Dein ausführlicher Beitrag hat mir alle meine Fragen beantwortet und ebenso auch den ein oder anderen neuen Bereich vorgestellt. Vielen lieben Dank und liebe Grüße

HottePol  29.05.2023, 23:29

Krass!🥳

Das Schalenmodell, das Sie beschreiben, bezieht sich auf das Elektronengittermodell, bei dem Elektronen auf Schalen um den Kern des Atoms angeordnet werden. Jede Schale hat eine bestimmte Kapazität an Elektronen und eine bestimmte Energie.

In diesem Modell ist es jedoch nicht so, dass eine Schale vollständig besetzt werden muss, bevor Elektronen in die nächste Schale übergehen können. Stattdessen bevorzugt das Atom Elektronen in den Schalen mit geringerer Energie, solange diese Schalen noch freie Kapazitäten haben.

Das bedeutet, dass ein Atom in der Regel so viele Elektronen in den Schalen mit geringerer Energie unterbringen wird, bis diese Schalen voll besetzt sind, bevor es Elektronen in Schalen mit höherer Energie hinzufügt. Daher ist es möglich, dass ein Atom Elektronen in einer Schale mit niedrigerer Kapazität hat und eine andere Schale, die eine höhere Kapazität hat, noch nicht besetzt ist.

In diesem Fall hat Silber bei 18 Elektronen eine voll besetzte N-Schale und eine unbesetzte O-Schale.

Die Anzahl der Elektronen in einer bestimmten Schale ist abhängig von der Elektronenkonfiguration des Atoms. Das Schalenmodell ist ein Modell, um die Elektronenkonfigurationen von Atomen zu beschreiben. Es geht davon aus, dass Elektronen sich in bestimmten Energieniveaus (Schalen) um das Atom befinden.

Daher werden Schalen in der Reihenfolge ihrer Energieniveaus besetzt, und sobald eine Schale voll besetzt ist, gehen die Elektronen zur nächsten Schale über.

Die N-Schale besitzt bei Silber (Ag) tatsächlich nur 18 Elektronen, weil die Elektronen in der Reihenfolge ihrer Energieniveaus besetzt werden und sich erst in die nächste Schale begeben, wenn die vorherige voll besetzt ist.


NoName9871 
Beitragsersteller
 08.02.2023, 02:36

Da die N-Schale nicht voll besetzt ist, warum ist dann ein Elektron in der O-Schale?

Webclon  08.02.2023, 02:57
@NoName9871

Da die O-Schale eine niedrigere Energie als die N-Schale hat, besetzt es als erstes eine O-Schale. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung der Stabilisierung des Elektronengeflechts des Atoms.

NoName9871 
Beitragsersteller
 08.02.2023, 03:20
@Webclon

Das Stimmt so nicht. Die O-Schale hat eine höhere Energielevel wie die N-Schale, denn die Schalen die näher am Kern ist hat weniger Energie als die, die weiter entfernt sind.

Webclon  08.02.2023, 07:02
@NoName9871

Ja, das ist korrekt. Die Schalen, die weiter vom Kern entfernt sind, haben einen höheren Energielevel, weil die Elektronen in diesen Schalen sich in größeren Abständen vom Kern befinden. Daher ist es möglich, dass ein Elektron in einer höheren Schale mehr Energie hat als Elektronen in einer tieferen Schale, obwohl die höhere Schale noch nicht vollständig besetzt ist.