Latein Konjunktiv Plusquamperfekt Vor- oder Nachzeitig?
Hallo ich habe zwei Beispielsätze:
(1. Satz)
"Cum enim Mors, filia Erebi et Noctis, iussa esset Sisyphum in Tartarum deportare, ei contigit, ut Mortem vinceret et cartenis vinciret. Quo factum est, ut nemo mori posset, priusquam Mars Mortem e catenis liberavisset."
Als nämlich Mors (= der personifizierte Tod), die Tochter des Erebus und der Nox, angewiesen worden war, Sisyphus in den Tartarus zu befördern, gelang es ihm, den Tod zu besiegen und in Ketten zu legen. Dadurch geschah es, dass niemand mehr sterben konnte, bevor Mars den Tod von den Ketten befreite.
Das Ketten Befreien ist hier nachzeitig. Da erst "das nicht Sterben" der Leute stattfand.
(2. Satz)
In Tartarum deportato ei Iuppiter laborem imposuit talem, ut omnibus viribus summaque contentione saxum in cacumen collis volveret, quod, cum ad summum verticem produxisset, rursus deorsum post se revolveretur.
Nachdem er in den Tartarus befördert worden war, bürdete Jupiter ihm eine derartige Strapaze auf, dass er mit allen Kräften und höchster Anstrengung einen Felsen auf den Gipfel eines Hügels rollen musste, der jedesmal, wenn er ihn auf den Gipfel hinaufgebracht hatte, erneut hinter ihm nach unten zurückrollte.
Das "Heraufschieben" des Felsens ist vorzeitig. Danach rollt der Felsen runter ~ logisch.
Drückt Konjunktiv Plusquamperfekt jetzt Vorzeitigkeit oder Nachzeitig aus oder beides?
3 Antworten
Hallo,
in beiden Sätzen drückt der Konjunktiv Plusquamperfekt eine Vorzeitigkeit aus:
Erst den Tod aus den Ketten befreien, dann wieder sterben können.
Erst den Hügel hoch, dann wieder runter.
Wo siehst du eine Nachzeitigkeit?
Deine Argumentation hinkt ein wenig, da auch das Futur 2 dazu dient, eine Vorzeitigkeit zu einem anderen zukünftigen Geschehen auszudrücken. Und: Das Sterben-Können, also das Sterben findet erst nach der Befreiung des Todes statt! Lass dich nicht von der Negation verwirren!!
Mir ist gerade eine Idee gekommen, wie ich es vielleicht besser erklären kann: Da ja bis zur Befreiung des Todes niuemand sterben konnte, ist also auch niemand gestorben. Aber ein Ereignis, das niemals stattgefunden hat, steht in keinerlei Verhältnis zu irgendeinem anderen Ereignis. Das ist, wie wenn jemand sagt: "Ereignis A hat nicht stattgefunden." , und du fragst: "Hat es vor oder nach Ereignis B nicht stattgefunden?"
Inwiefern hat das was mit meiner Argumentation zu tun, wenn ich indirekt zitiere: "Dort wird gesagt [...]". Das mit dem Futur 2 Argument stammt nicht von mir, sondern von jemanden aus dem albertmartin Forum.
Ja, du machst es direkt zu einer positiven Aussage und lässt die Negation die ganze Zeit weg.
Wenn jemand seine Hausaufgaben nicht machen kann, kann er laut dir die dann etwa doch machen?
Welches Ereignis soll denn nicht stattgefunden haben?
Konnte erst keiner mehr sterben? Ja
Wurde der Tod von den Ketten befreit? Ja
Konnten danach wieder Leute sterben? Ja
Alle drei Handlungen fanden statt.
"Das ist, wie wenn jemand sagt: "Ereignis A hat nicht stattgefunden." , und du fragst: "Hat es vor oder nach Ereignis B nicht stattgefunden?""
Ereignis A = niemand macht etwas
Ereignis B = es passiert etwas
Hat nachdem Ereignis B passiert ist, niemand mehr etwas gemacht?
Oder hat niemand etwas gemacht, bevor Ereignis B passiert ist?
Die Fragen lassen sich durchaus stellen und auch ein Verhältnis lässt sich bilden.
Das "niemand etwas gemacht hat" ist für mich somit eine Handlung.
priusquam Mars Mortem e catenis liberavisset
So und jetzt zur Nachzeitigkeit. Mit dem priusquam = bevor.
Ich werde morgen ins Schwimmbad gehen (Futur 1),
nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht haben werde (Futur 2).
Ich werde morgen ins Schwimmbad gehen (Futur 1),
bevor ich meine Hausaufgaben gemacht haben werde (Futur 2).
Ich denke durch priusquam kann der Konjunktiv Plusquamperfekt, der normalerweise Vorzeitigkeit ausdrückt, auch eine Nachzeitigkeit ausdrücken.
Hallo, das Problem ist weiterhin, dass der Satz "ut nemo mori posset" verneint ist. Er drückt also etwas aus, das NICHT geschehen ist. Als nicht geschehenes Ereignis kann es aber zu keinem anderen Geschehen in irgendeinem zeitlichen Verhältnis stehen.
Um das Zeitverhältnis des Konjunktiv Plusquamperfekts zum Inhalt des ut-Satzes zu bestimmen, dürfen wir also nicht das verneinte Prädikat als Maßstab nehmen, sondern nur das prädikatbildende Verb selbst, also: mori posse. Das ist der Grund, warum ich immer nur mit dem nicht-negierten Verb argumentiert habe. Denn: Erst NACH der Befreiung des Todes konnten Menschen wieder sterben. Das bedeutet, dass die Befreiung des Todes dem Sterben-Können VORausgeht, also vorzeitig dazu ist!
Zu deinen Beispielen mit Futur 2: In der Regel verwenden wir das Futur 2 im Deutschen gar nicht, um über Zukünftiges zu sprechen, sondern, um auszudrücken, dass etwas mit gro0er Wahrscheinlichkeit geschehen ist. Beispiel: Wo ist denn mein Wellensittich? - Den wird die Katze gefressen haben.
Das ist der Grund, warum wir ein Futur 2 eben nicht als Futur 2 übersetzen, sondern als Präsens oder Perfekt. Ich bin mir sehr sicher, dass du die Sätze
Ich werde morgen ins Schwimmbad gehen (Futur 1),
nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht haben werde (Futur 2).
Ich werde morgen ins Schwimmbad gehen (Futur 1),
bevor ich meine Hausaufgaben gemacht haben werde (Futur 2).
so niemals sagen würdest, sondern eher so etwas wie:
Ich gehe morgen ins Schwimmbad, nachdem/wenn ich meine Hausaufgaben gemacht habe.
bzw.
Ich gehe morgen ins Schwimmbad, bevor ich meine Hausaufgaben mache. (oder : Bevor ich meine Hausaufgaben mache, werde ich ins Schwimmbad gehen.)
Daher halte ich gerade das zweite Beispiel nicht für überzeugend ...
Aber: Du hast natürlich Recht damit, dass wir in dem Beispiel mit dem Tod, den Konjunktiv Plusquamperfekt als Ersatz für den nicht vorhandenen Konjunktiv Futur 2 ansehen können, da das "Können" im weitesten Sinne eine zukünftige Möglichkeit bezeichnet - die aber, um es noch einmal zu sagen, erst wieder NACH der Befreiung des Todes bestand.
Ich hoffe, ich habe jetzt alle Missverständnisse beseitigen können. Ich wollte dich auf keinen Fall mit meinem Kommentar und meinen Erklärungen irgendwie als begriffsstutzig oder Ähnliches darstellen, habe aber den Eindruck, dass du dich irgendwie angegriffen gefühlt hast. Wenn dem so ist, tut mir das leid, denn du hast ja in der letzten Zeit häufiger Fragen zu Latein gestellt, die ich alle (!) sehr gut und berechtigt finde, da du tatsächlich spannende und interessante Fragen stellst, die zeigen, dass du durchaus ein gutes Sprachwissen und Sprachgefühl hast, sonst würdest du vermutlich gar nicht auf solche Fragen kommen.
LG
Plusquamperfekt ist immer Vorzeitig. Es heißt ja nicht ohne Grund "Mehr als vollendet". Ich verstehe nicht, wo du eine Nachzeitig siehst. Solange der Tod von den Ketten nicht befreit worden waren, könnte man nicht sterben. Passt doch inhaltlich. Also klar ist ein bisschen komisch, aber das sterben passiert ja erst, nachdem die Ketten gelöst sind. Das mit den Ketten lösen muss vorher geschehen, denn sonst geschieht das sterben danach nicht. Normalerweise ist Sterben ja unbedingt und unumgänglich, hier kommt das Befreien aber vorher.
Perfekt drückt immer Vorzeitigkeit aus
Plusquamperfekt immer Nachzeitigkeit
(hat man mir zumindest so in der Schule beigebracht)
Oh, dann hat man dir das in der Schule falsch beigebracht ... Aber vielleicht erinnerst du dich nicht mehr ganz genau. Perfektzeiten - zu denen gehören Perfekt und Plusquamperfekt - können keine Nachzeitigkeit ausdrücken.
Ich habe doch bereits erklärt wo ich eine Nachzeitigkeit sehe:
"Das Ketten Befreien ist hier nachzeitig. Da erst "das nicht Sterben" der Leute stattfand."
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Kann ja auch sagen. Erst rollt der Felsen runter und dann kann man ihn wieder hochschieben.
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Aber welche Handlung fand denn jetzt wirklich zuerst statt?
Dass keiner mehr starb
Dass Mars den Tod von den Ketten befreite?
Erst starb keiner und erst irgendwann später befreite Mars den Tod.
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Auch im albertmartin Forum vertritt man die Ansicht der Nachzeitigkeit: https://www.albertmartin.de/latein/forum/?view=5655#26
Dort wird gesagt, dass der Konjunktiv Plusquamperfekt ein Ersatzkonjunktiv des Futur II sein kann:
bevor ... befreit haben werde/ habe/ befreie
Was dann als Ersatzform des Futur 2 Nachzeitigkeit ausdrücken soll.