Karikatur analysieren in Geschichte?

Karikatur  - (Schule, Internet, Politik)

3 Antworten

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet

In dem Bildausschnitt (die Karikatur erscheint nicht vollständig) ist Otto von Bismarck vorne rechts dargestellt, der Mann mit fast kahlem Schädel und einer Hand am Mund, der in einem Kasten steht (in der Gesamtansicht der Karikatur steht jemand noch weiter rechts neben ihm).

Es gibt Abbildungen, die Otto von Bismarck zeigen, und ein Vergleich mit den Personen auf der Karikatur ergibt deutlich, wer von ihnen Otto von Bismarck ist.

Die Karikatur (eine Federlithographie) „Generalprobe in Versailles für den bevorstehenden Kaisereinzug“ wurde veröffentlicht in: Figaro. Humoristisches Wochenblatt. Wien, 17. Dezember 1870, S. 4.

Die Karikatur zeichnete Ernst Juch (* Gotha, 25. 4. 1838; † Wien, 5. 10. 1909), seit 1868 Illustrator des „Figaro“ (Die deutschsprachige Presse : ein biographisch-bibliographisches Handbuch. Bearbeitet von Bruno Jahn. Redaktionelle Mitarbeit: Vera Derschum, Ferdinand Leikam, Mike W. Malm, Tanja Nause, Sandra Schaeff, Wiebke Wiese. München : Saur, 2005, S. 508).

Es gibt Abbildungen auf Internetseiten:

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fig&datum=18701217&seite=4&zoom=33

http://prometheus.uni-koeln.de/pandora/de/image/show/giessen_lri-bdfb7a64075739317469cf4079f953cc0ccc30ee

http://prometheus.uni-koeln.de/images/giessen_lri/r8192/10764.jpg?_asd=005a3097b0c3167f40258b9971a3cadbc03c5fac061304318f

https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/ze5ac2_abipruefung_ge_lk_ht_2.pdf

In Frakturschrift steht oben über dem Bild der Titel der Karikatur und unter dem Bild ein gereimter Text in 2 Versen.

„Generalprobe in Versailles für den bevorstehenden Kaisereinzug in Berlin.“

„So wird er erscheinen auf heimischer Scholle,  

Und jubelnd ruft Deutschland: H o c h W i l h e l m d e r O l l e !“

Eine Generalprobe gibt es vor allem bei Musik- und Theateraufführungen und die Bildgestaltung verwendet Bestandteile daraus.

Im Mittelpunkt steht ein älterer Mann mit Schnurrbart, kurzem Bart und üppigem Backenbart. Dargestellt ist eindeutig König Wilhelm I. von Preußen (und zukünftiger Deutscher Kaiser). Entsprechend dem Thema „Kaisereinzug“ trägt er einen Krönungsmantel (anscheinend mit Pelzbesatz [ein Hermelinpelz, weiß mit schwarzen Tupfen, war dabei gebräuchlich]), einen nur oben über der Brust verbundenen, sonst offenen Umhang, der zum Boden herabreicht und noch nachschleppt. Er trägt unter dem Umhang ein eng am Körper anliegendes Trikot, ein Bein ist ein kleines Stück vorangestellt, der Fuß des anderen quergestellt, ähnlich einem Ballett-Tänzer (es gibt Darstellungen, die König Ludwig XIV. von Frankreich in einer solchen Pose zeigen). Sein Blick ist zufrieden.

Der Kopf ist überdimensional groß (der französische Karikaturist André Gill hat beispielsweise wichtige Männer auf eine solche Weise gezeichnet), was die Bedeutung des Mannes hervorhebt.

In der rechten Hand trägt Wilhelm I. nicht ein Zepter (wie es üblich wäre), sondern eine vor allem im Mittelalter verwendete Waffe, einen Streitkolben. Davon hängt eine Peitsche (mit drei Schnüren) herab. Eine Peitsche ist ein Mittel der Bestrafung und Züchtigung.

Auf dem Kopf trägt Wilhelm I. eine riesige Krone. Am oberen und unteren Kronreif befinden sich Geschützrohre von Kanonen. Ein großer Teil der Krone besteht aus einem festen Steingebäude mit Zinnen und kleinen Fenstern. Davor ist ein Wachhäuschen in der Art eines Erkers. In ihm steht ein Wachtposten in Uniform und mit einem Säbel in jeder Hand. Auf dem Kopf trägt er einen Helm mit Spitze (»Pickelhaube«), was ihn als Preußen kennzeichnet. Seine Miene ist grimmig. Der obere Kronreif trägt die Aufschrift „Das ganze Deutschland muss hinein“.

Oben ist ein Kreuz angebracht und an einem Seil hängen zwei zerrissene Fahnen mit der Aufschrift „Verfassung“ herab.

Auf der rechten Seite steht ein wenig hinter Wilhelm I. in einem ein Souffleurkasten, der von zwei Petroleumlampen beleuchtet wird, Otto von Bismarck in einem Frack (die Frackschöße reichen ungefähr bis zum Boden). Er trägt einen Schnurrbart, der Schädel ist weitgehend kahl, oben erheben sich drei Haare (die drei Haare hatte sich Wilhelm Scholz ausgedacht und zuerst in der Satirezeitschrift „Kladderadatsch“, 16. Jahrgang, 1863, Nr. 20, 3. Mai 1863, den allmählich kahler werdenden Otto von Bismarck so gezeichnet; aufgerichtet bedeuten die drei Haare einen angriffslustigen Bismarck). Sein Kopf ist ein wenig überdimensioniert. An einem Auge trägt Bismarck ein Monokel. Seine linke Hand hat er zum Umblättern an einem Textbuch. Dessen Aufschrift ist „Blut und Eisen“, was sich auf eine Äußerung Bismarcks bezieht, die machtpolitische Stärke als in den großen Zeitfragen entscheidend erklärt.

Vgl. dazu z. B.:

https://de.wikipedia.org/wiki/Blut_und_Eisen

https://www.gutefrage.net/frage/bismarck-blut-und-eisen-rede-zitat

Bismarck flüstert hinter vorgehaltener Hand die Rollen zu, wie ein Souffleur im Theater einem Schauspieler bzw. Sänger.

Eine Anzahl von Personen tritt als Gefolge auf, sichtbar sind (teilweise verdeckt) 10 Personen (5 an jeder Seite). Sie tragen Kronen und stellen die deutschen Fürsten dar. Die Kostümierung macht den Eindruck billiger Theaterrequisiten. Die Kronen sehen teilweise wie aus einem Zylinder, einer Mütze oder einem Strohhut umgebastelt aus. Manche Nasen sind krumm oder knollig (die dicke Nase und der langgezogenen Mund der Person ganz rechts lassen sie wie einen Clown oder ein Kasperle erscheinen). Sie erscheinen wenig glanzvoll, erhaben und würdevoll. Der Mann hinten rechts mit Schnurrbart und hoher Krone ist anscheinend König Ludwig II. von Bayern.

Wilhelm I. von Preußen ist viel größer als die anderen deutschen Fürsten dargestellt. Diese wirken wie Staffage, eine im Vergleich zu Wilhelm I. und Otto von Bismarck nur einem Nebenrolle spielende schmückende Beigabe.

Die Karikatur ist während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/1871 entstanden. Nach großen Erfolgen war ein deutscher Sieg sehr wahrscheinlich. Die deutschen Truppen hatten Paris erobert. Seit Oktober 1870 war Versailles Hauptquartier der deutschen Truppen. Im November schlossen die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen Verträge (die noch von den Parlamenten ratifiziert werden mußten) mit dem Norddeutschen Bund, diesen zu erweitern und sich ihm anzuschließen. Am 9. und 10. Dezember 1870 boten Reichstag und Bundesrat des Norddeutschen Bundes Wilhelm I. von Preußen den Kaisertitel an. Am 18. Januar 1871, also ungefähr 1 Monat nach Erscheinen der Karikatur, wurde im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles die Kaiserproklamation durchgeführt.

Der Karikaturist erwartet einen feierlichen Kaisereinzug in Berlin, der Hauptstadt Preußens (heimische Scholle = Heimatboden), der bejubelt wird.

Der saloppe Ausdruck „der Olle“ (Synonym zu „der Alte“) zeigt eigene Distanzierung. Begeisterung und Ehrfurcht vor Majestät wird so durchbrochen.

„Das ganze Deutschland muss hinein“ ist eine Anspielung auf das Gedicht/Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“ (1813) von Ernst Moritz Arndt. Im ersten und im letzten Vers der letzten Strophe heißt es „Das ganze Deutschland soll es sein!“. Das Beitreten weiterer Staaten erscheint als ein Müssen, ein Zwang, in ein preußisch beherrschtes Deutschland hineinzukommen.

Die in Wien erschienene Karikatur zeigt einen österreichischen Standpunkt. Österreich und Preußen waren längere Zeit Konkurrenten um die Vorherrschaft in Deutschland. 1866 wurde Österreich in einem Krieg besiegt.

Das Geschehen wird als preußischer Erfolg beurteilt.

Wilhelm I. von Preußen erscheint sehr groß und ganz vorne, aber als der Mann, der die politischen Pläne und Schritte eingibt, als treibende Kraft wird Otto von Bismarck dargestellt, der Machtpolitik betreibt. Die bevorstehende Reichsgründung unter preußischer Führung und ihre Umsetzung stammt der Darstellung zufolge von Bismarck.

Die deutschen Fürsten werden als verhältnismäßig klein an Macht, auf Nebenrollen beschränkt eingeschätzt. Dies ist im Vergleich zu früheren Zeiten ein Bedeutungsverlust und weniger Eigenständigkeit.

Die Darstellung vertritt eine Meinung, der Verfassung werde wenig Achtung erwiesen, im Zweifelsfall auch nicht in Übereinstimmung mit ihr regiert (vielleicht unter anderem als Erinnerung an den preußischen Verfassungskonflikt 1859 bis 1866 gedacht).

Der Karikaturist nimmt eine wenig wohlwollende Behandlung der deutschen Bundesgenossen durch die preußische Führung an. Erwartet wird eine Unterdrückung oder ein Dienstbarmachen für die Machtpolitik eines kriegerischen Preußens (das Gebäude mit dem Wachtposten kann als Kaserne oder Gefängnis [die preußische Gendarmerie war militärisch organisiert und Teil der Armee]) gedeutet werden.

Der Karikaturist rechnet mit einer jubelnden, zustimmenden Begrüßung des neugeschaffenen Kaisers durch die Deutschen.

Der Karikaturist steht dem Geschehen eher negativ gegenüber.

Bismarck in der Karikatur des Auslands. Deutsches Historisches Museum Berlin. Auswahl, Einleitung und Kommentar von Heinrich Dormeier. Berlin : Nicolai, 1990, S. 104:  

„Ein martialisch aufgeputzter preußischer König probt in Versailles den künftigen Einzug als Kaiser in Berlin. Statt des Zepters hält er in der Rechten eine mittelalterliche Waffe, den Morgenstern; seine Krone besteht aus einer mit Kanonen bestückten Kaserne, in die »das ganze Deutschland hinein muß«; am Kreuz hängt die zerrissene Fahne der »Verfassung«. Der Titel des Stückes, »Blut und Eisen«, steht auf dem Textbuch, aus dem Bismarck in dem eigens mitgeschleppten Souffleurkasten hinter vorgehaltener Hand die Rollen vorflüstert. König Ludwig II. von Bayern (mit Schnurrbart) und und die anderen deutschen Fürsten bilden die Staffage.

Ungeachtet seines Aufzugs, so prophezeit die Bildunterschrift, wird der neue Kaiser von seinen Landsleuten begeistert begrüßt werden. Die Wiener Karikatur fand auch außerhalb Österreichs Anklang und wurde unter anderem in Holland nachgedruckt (Fuchs 2, Abb. 264).“

Gerd Unverfehrt, Menschenfresser, Rattenfänger : Bismarcks Annexionspolitik in der Sicht ausländischer Karikaturisten. In: Rainer Sabelleck (Hg.), Hannovers Übergang vom Königreich zur preussischen Provinz: 1866 : Beiträge zu einer Tagung am 2. November 1991 in Göttingen. Hannover : Hahn, 1995 (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes Südniedersachsen ; Band 1), S. 229:  

„Mitte Dezember 1870 veröffentlichte der in Wien erscheinende satirische Figaro ein Bild der Generalprobe für den Kaisereinzug in Berlin (Abb. 14). Wilhelm, großkopfig gegeben in der Manier Gills, führt den Zug an, statt des Szepters einen Morgenstern in der Hand. Hinter ihm Bismarck mit den von Wilhelm Scholz erfundenen drei Haaren. Er souffliert „Blut und Eisen". Im Gefolge weiterhin die wörtlich kleinen Fürsten in exotischen Operettenkostümen. Über Wilhelms mit Geschützrohren bestücktem Kronreif steht die beidhändig besäbelte Wache eines Gefängnisses, in das, wie darüber zu lesen ist, das ganze Deutschland hinein muß. Der hier erhobene Vorwurf des Terrors nach Innen wurde in den Niederlanden vorgebildet oder aufgegriffen. Jedenfalls erschien die gleiche Komposition auch als Flugblatt mit niederländischem Text.“

Da gehts wohl um die Reichsgründung 1871. Im Vordergrund ist Wilhelm I. zu sehen, der fordert, dass zum neuen Deutschen Kaiserreich ganz Deutschland gehören muss. Es ging damals um die Frage, ob Bayern, Württemberg und Baden überhaupt dem Reich beitreten wollen.

Rechts hinten sitzt Bismarck in einem Kasten, wie er typisch im Theater für die Souffleuse ist. Die Souffleuse hat die Aufgabe, den Schauspielern leise ihren Text vorzusagen, falls diese ihn vergessen haben. Das stellt dar, dass die Reichsgründung eigentlich Bismarcks Idee war und er auch die treibende Kraft war und er derjenige war, der dem damals noch preußischen König einflüsterte, welche Politik er vertreten solle.

Und weiter?

Wenn die Arbeit zurück gegeben wird, dann wirst Du lesen können, wie gut Du interpretiert hast. 

Wenn Du bis jetzt noch nicht weißt, wie Bismark ausgesehen hat, dann nutze doch einfach die Suchfunktion des Browsers. Es gibt schließlich reichlich Bilder von ihm, die digitalisiert wurden. 

Nebenbei: 

Es sind auch massenweise Bücher über diese Zeit digitalisiert, die kostenlos über die Suchfunktion des Browsers gefunden und auch gelesen werden können. Und Filmmaterial - Originalaufnahmen - findest Du z.B. auf youtube. Auch kostenlos.