Karikatur Bismarck?
Ich verstehe die Karikatur, die ich gleich sende nicht so ganz bzw. die Personen. Wenn ich vermuten würde ich sagen, dass der kleine Mann August Bebel ist und der größere Mann ein Mitglied der Nationalliberalen Partei, der auf ihn in gewisser Weiße herabschaut?
Sagt die Karikatur also aus, dass Bismarck in der Innepolitik mit Reichsfeinden ständig Parteien unterdrückt?
2 Antworten
Die Karikatur ist 1884 in der in Berlin erscheinenden deutschen politisch-satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ veröffentlicht worden.
Kladderadatsch: Humoristisch-satirisches Wochenblatt. Jahrgang 37., Nr. 17, 13. April 1884, S. 148
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kla1884/0148/image,info
Die Bildüberschrift ist:
„Ostereier. Für die Commission zur Berathung des Socialisten-Gesetzes“
Die Bildunterschrift ist:
„Hier, meine Herren, die Auswahl ist diesmal nicht groß! Für eins von beiden müssen Sie sich entscheiden!“
Ostersonntag war am 13. April 1884.
Das »Sozialistengesetz“ („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) war als Kampfmittel gegen eine bestimmte politische Richtung ein Ausnahmegesetz und mit liberalen und rechtsstaatlichen Grundsätzen schlecht vereinbar.
Es bestand von 1879 bis 1890, aber jeweils nur befristet, das heißt, nach Ablauf der Frist (nach einigen Jahren) war neu über eine Gesetzesvorlage zu beraten und abzustimmen.
Der Reichskanzler Otto von Bismarck hält Mitgliedern der Kommission zur Beratung des Sozialistengesetzes in seinen beiden Händen zwei Eier zur Auswahl hin. Sie stammen anscheinend aus zwei Körben, die auf einem Tisch liegen. Die Körbe haben die Etiketten „Entweder“ und „Oder?“. Die Mitgliedern müssen sich also für eine der von Bismarck dargebotenen zwei Alternativen entscheiden.
Die drei aufgerichteten Haare am Kopf sind vom Kladderadatsch-Zeichner Wilhelm Scholz als typische Darstellung für einen angriffslustigen Bismarck eingeführt worden.
Die Kommission ist ein Ausschuss des Reichstages. Bismarck setzt Parteien unter Druck, seiner Gesetzesvorlage zuzustimmen, auch wenn sie ihnen nicht gefällt. Sie lehnen zwar die Sozialdemokratie ab, haben aber Vorbehalte gegen die Unterdrückungsmaßnahmen.
Der vorne stehende kleine Mann mit Brille ist eindeutig Ludwig Windthorst, ein führender Politiker der Deutschen Zentrumspartei (kurz: Zentrum), einer Vertretung des politischen Katholizismus. Er war ein wichtiger parlamentarischer Gegenspieler Bismarcks. Der große bärtige Mann hinter ihm könnte Eugen Richter sein, ein führender Politiker der Deutschen Fortschrittspartei bzw. im April 1884 der Deutschen Freisinnigen Partei (aus Vereinigung der Deutschen Fortschrittspartei und der Liberalen Vereinigung entstanden). Er ist ein Vertreter des damaligen linken Liberalismus. Vielleicht ist bei den zwei weiteren Männern auch ein Vertreter der Nationaliberalen, des damaligen rechten Liberalismus.
Wie bei Bismarck und Windthorst ist sein Kopf überdimensioniert, was die große politische Bedeutung anzeigt. Die vorderen Abgeordneten stehe vornübergebeugt und nachdenklich da. Sie zögern offensichtlich, weil ihnen die Alternativen beide nicht lieb sind.
Im April und Mai 1884 wurde über das Sozialistengesetz beraten und abgestimmt. Am 28. Mai 1884 wurde es mit Mehrheit erneut im Reichstag beschlossen.
Bismarcks Drohung ist, bei fehlender Zustimmung eine vorzeitige Auflösung des Reichstages durch den Kaiser und Neuwahlen herbeizuführen.
Die opponierenden Parteien wären bei Neuwahlen als Verweiger einer nötigen Bekämpfung der Sozialdemokratie dargestellt worden. So etwas hatte 1878 nach vorzeitiger Reichstagsauflösung bei Neuwahlen zu Verlusten des Zentrums und der liberalen Parteien und zu Gewinnen der konservativen Parteien geführt.
https://ghdi.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=1447&language=german
„„Für die Kommission zur Beratung des Sozialistengesetzes” (1884)
Ihre Skrupel wegen des Sozialistengesetztes veranlassten die Liberalen dazu, auf einer regelmäßigen neuerlichen Verlängerung des Gesetzes zu beharren. Bei jeder dieser Gelegenheiten musste Bismarck sicherstellen, dass jegliche Vorbehalte gegenüber der Rechtfertigung und Wirksamkeit der ursprünglichen Gesetzgebung unterdrückt wurden. Zu diesem Zweck ließ er die Liberalen ihre Aussichten abwägen, wenn das Parlament aufgelöst und eine Reichstagswahl zu dieser Frage angesetzt würde. Unter der Überschrift „Für die Commission zur Berathung des Socialisten-Gesetzes“ veranschaulicht diese Karikatur aus dem Jahr 1884 Bismarcks Taktik anlässlich einer solchen Verlängerung. Aus den mit „Entweder“ und „Oder?“ gekennzeichneten Körben hat der Kanzler zwei Eier ausgewählt, die er dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Ludwig Windthorst (1812-1891) und den führenden Politikern der linksliberalen und nationalliberalen Reichstagsfraktionen anbietet: ein Ei ist mit „Auflösung“, das andere mit „Socialisten-Gesetz“ beschriftet. Im Bildtext fragt Bismarck, „Hier, meine Herren, die Auswahl ist diesmal nicht groß! Für eins von beiden müssen Sie sich entscheiden!“ Aus: Kladderadatsch (1884).“
Vielen lieben Dank für diese ausführliche Interpretation der Karikatur! Das hilft mir echt weiter.
Der Kleine ist Ludwig Windhorst (Zentrumspartei). Der Große könnte Eugen Richter (Fortschrittspartei) sein. Beide waren Gegner der Sozialdemokraten, aber auch gegen das Sozialistengesetz. Bismarck setzt sie wohl unter Druck: Entweder Zustimmung zum Gesetz oder Reichstagsauflösung und Neuwahl.
Bebel oder Marx sehen anders aus. Bilder vergleichen!
So ungefähr würde ich es auch vermuten. Es ging wohl um die Wahl 1878.
Achsoo dann macht es irgendwo schon Sinn. Er stellt den Reichstag (bzw. insbesondere die Zentrumspartei + Fortschritsspartei) unter Druck, dass es zu einer Auflösung des Reichstags kommen würde, falls sie die Sozialistengesetze nicht annehmen würden. Die Neuwahlen würden die bereits wachsende SAP noch weiter stärken und sie würden noch mehr Stimmen erreichen. Macht das Sinn oder ist das zu weit hergeholt?