Ist der Diamantweg-Buddhismus wirklich so problematisch?

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Ist das wirklich so?

Ich bin Buddhist und sehe ganz persönlich einige Details in der tibetischen Ausprägung des Diamantweg-Buddhismus durchaus kritisch.

In einigen Fällen scheint es sich tatsächlich um kultartige Gruppen zu handeln, wie etwa die "Neuen Kadampa Tradition" (NKT-IKBU)

In anderen Fällen sind es Verhalten, oder Äußerungen von Lehrern wie Lama Ole Nydahl, die ich persönlich für unangemessen halte.

Problematisch ist vielleicht die von dir genannte Verbindung von schamanistischem Bön und dem Buddhismus.

Es könnte durchaus sein, dass einige tibetische Lehrer die alten Lehren allzu wörtlich nehmen und damit asiatischen Aberglauben statt Buddhismus verbreiten.

Allerdings gibt es fragwürdige Gruppierungen und Lehrer auch in anderen buddhistischen Traditionen - da wird das tibetische Vajrayana teilweise auch zu sehr in den Mittelpunkt der Kritik genommen.

Sollte es nicht einen westlichen Buddhismus geben?

Es gibt schon längst Entwicklungen, die man aus verschiedenen Gründen durchaus als "westlichen Buddhismus" bezeichnen könnte.

Das ist auch fast unausweichlich, da es hier kein fest verankertes, buddhistisches Mönchtum gibt, so dass hier Laien einen höheren Stellenwert haben.

Selbst Lehrer, die ihre Ausbildung in Asien absolviert haben, müssen ihre Praxis der Lebensrealität in den USA, oder Europa anpassen.

So gibt es Formen wie den "engagierten Buddhismus" nach Thich Nhat Hanh , die sich erst außerhalb Asiens in dieser Form entwickelten.

Gerade ausgehend von Thich Nhat Hanh hat sich "Wellness-Buddhismus" verbreitet, deren Lehrer dann auch teilweise Konzepte aus Sozialarbeit und Therapie aufgreifen.

Im Zen gibt es beispielsweise die moderne Sanbo-Kyodan-Lehre, die quasi westliche Zen-Lehrer am laufenden Band zu produzieren scheint - möglicherweise auch auf Kosten der Qualität.

Dann gibt es den "säkularen Buddhismus", in dem die  Lehre keine Religion mehr darstellt, sondern als Philosophie und persönlicher Entwicklungsweg vermittelt wird.

Meine persönliche Meinung

Ich halte von den Versuchen, den Buddhismus auf eine reine Achtsamkeits-Praxis mit ein paar ethischen Grundsätzen zu reduzieren, der den Menschen dabei hilft, ihr Leben zu verbessern, herzlich wenig.

Meiner Meinung nach werden durch den Versuch, den Buddhismus möglichst massenkompatibel zu machen, teilweise die Wurzeln des Buddhismus vernachlässigt und sein religiöser Charakter vergessen.

Wenn zB gelehrt wird, das "Leben leidvoll ist", wird im nächsten Satz mit weichgespülter Licht-und-Liebe-Argumentation gearbeitet, der erklärt, dass Leiden ja nur illusorisch sei und man nur achtsam sein müsse.

Das ist eine Glückskeks-artige Simplifizierung, die meiner Meinung nach nicht der buddhistischen Lehre entspricht.

Aber gerade das Bedürfnis nach "weniger Stress, mehr Klarheit, mehr Entspannung" ist es, das viele Menschen zum Buddhismus bringt - und sie sich dadurch selbst optimieren und leistungsfähiger für den Alltag werden wollen.

Anstatt also ihre Lebensweise zu hinterfragen, nutzt man Buddhismus wie ein Medikament, um die Probleme zeitweise abzuschütteln, wieder aufzutanken - um sich dann wieder in ein Netz aus gedanklichen Verstrickungen zu vergeben.

Hier ein passender Artikel;

http://www.welt.de/wirtschaft/article156019448/Wie-Chefs-durch-Meditation-unerbittlich-werden.html

Ich habe nichts gegen eine moderne und zeitgemäße Vermittlung des Buddhismus - aber das sollte eher zu kreativer Interpretation alter Lehren und Gebräuche führen, anstatt das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Ein Positivbeispiel

Früher waren zB die Bettelschalen der Mönche aus Keramik und so lautet eine der Mönchsregeln des Theravada, der Mönch solle darauf achten, sein Geschirr nicht an Orte zu stellen, wo sie leicht zerbrechen kann.

Heutzutage sind in Südostasien die Bettelschalen meist aus Metall, so dass eigentlich keine Notwendigkeit mehr besteht, diese Regel beizubehalten. Doch anstatt sie abzuschaffen, wurde sie einfach als Achtsamkeitsregel umgedeutet.

Solch eine Anpassung halte ich für wünschenswert und richtig - einen weichgespülten Wohlfühl-Buddhismus, einen exotischen Räucherstäbchen-Buddhismus oder Optimierungs-Buddhismus für Manager dagegen nicht.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit etwa 40 Jahren praktizierender Buddhist

vonGizycki  28.01.2017, 17:17

Es gibt schon längst Entwicklungen, die man aus verschiedenen Gründen durchaus als "westlichen Buddhismus" bezeichnen könnte.

Wenn damit so eine Art säkularisierter Buddhismus gemeint ist, dann gerne. Aber dann ist es kein Buddhismus mehr sondern sind humanistische Lebensweisen und humanistische Anschauungen.

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Enzylexikon  28.01.2017, 17:26
@vonGizycki

Es gibt im Westen zum einen diesen "säkularen Buddhismus", von dem ich persönlich wenig halte. Wie du selbst gesagt hast, könnten sie sich dann gleich dem Humanismus zuwenden.

Es gibt aber eben auch "engagierten Buddhismus" als Sonderform, die sich praktisch nur im Westen findet und über Engagement in Hospizen, Naturschutz, Tierschutz, Sozialarbeit usw.

Die "Gay Sanghas", also buddhistische Gemeinschaften, die sich mehrheitlich aus Homosexuellen zusammensetzen und für LGBTQ engagieren, sind ebenfalls eine westliche Schöpfung.

Die Sanbo-Kyodan-Bewegung kommt zwar aus Japan, weist aber zahlreiche westliche Lehrer auf, die teilweise auch um eine Annäherung mit dem Christentum bemüht sind.

Daneben gibt es eben auch noch Buddhismus mit asiatischer Kulturtradition, der sich lediglich den Gegebenheiten des Westens angepasst hat.

All das sind Formen von "westlichem Buddhismus".

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Irmin1777 
Beitragsersteller
 28.01.2017, 17:31
@Enzylexikon

Ist engagierter Buddhismus eine eigene Richtung? Und was ist der Unterschied zu humanistischem Buddhismus?

Den säkularen Buddhismus mag ich auch überhaupt nicht. Weil es eigentlich einfach ein atheistischer Buddhismus ist und die Leute auch extrem aggressiv werden, wenn man mit ihnen über die Frage Wiedergeburt diskutiert. Erinnert mich, offen gesagt, daran, wenn man mit Atheisten über Gott spricht.

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vonGizycki  28.01.2017, 18:20
@Irmin1777

Ich bin religiöser Atheist und damit ist Toleranz eine Tugend. Das heißt aber nicht, das damit die Kritik aus der Welt wäre. Die Vernunft muss und darf ja auch eine Rolle spielen. Klar, der Ton macht natürlich die Musik! :-)

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Enzylexikon  28.01.2017, 18:21
@Irmin1777

Ja, ich denke man kann "engagierten Buddhismus" (EB)eigentlich fast schon als eigene buddhistische Ausprägung sehen, wobei das natürlich keine "Tradition" ist, sondern diese Menschen bereits einen Hintergrund aus anderen buddhistischen Traditionen habenM

https://de.wikipedia.org/wiki/Engagierter\_Buddhismus

Letztlich kann aber "engagierter Buddhismus" so dominant werden, dass der ursprüngliche Aspekt, zB Zen, in den Hintergrund tritt und man den EB als Gradmesser ansieht.

Das muss natürlich nicht schlecht sein, so lange man noch weiß wo man "her kommt" und nicht eine gänzlich neue Suppe kocht.

Weil es eigentlich einfach ein atheistischer Buddhismus ist und die Leute auch extrem aggressiv werden, wenn man mit ihnen über die Frage Wiedergeburt diskutiert.

Ich bin Soto-Zen-Buddhist, letztlich auch atheistisch und eigentlich bei den meisten Themen durchaus zum Gespräch bereit. ;-)

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Irmin1777 
Beitragsersteller
 29.01.2017, 15:18
@Enzylexikon

Ist schon was anderes mit einem Zen Buddhisten zu diskutieren, als mit einem säkularen Buddhisten. Die sind ideologisch ganz anders drauf. Ist ungefähr so ein Vergleich, als würde man mit einem Agnostiker oder Atheisten diskutieren.

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Irmin1777 
Beitragsersteller
 28.01.2017, 17:23

Ich finde es schon wichtig, dass der Buddhismus seine spirituellen Wurzeln behält. Das was du als "Wellness- oder Wohlfühl-Buddhismus" bezeichnest, hat ja auch nichts mit Buddhismus zu tun, sondern die Leute nehmen halt die Elemente raus, die sie praktisch finden.

Aber wenn man brutal ehrlich ist, wäre ja der Zen-Buddhismus auch ein Wohlfühl-Buddhismus, denn man hat ihn damals einfach mit den daoistischen Elementen vermischt und Sachen wie die Mettameditation, die der Buddha selbst lehrte einfach gestrichen.

Eigentlich müsste dich da dann doch eher der Theravada Buddhismus ansprechen.

Weil wenn Lehrer in den Westen kommen ist das ja dann auch nicht anders als bei Bodhidharma damals.

Abgesehen davon klingen deine Erfahrungen, die du mit westlichem Buddhismus gemacht hast, extrem negativ. Warum sollte es nicht möglich sein, dass sich ein solider westlicher Buddhismus entwickelt, so wie bei Zen oder dem tibetischen Buddhismus?

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vonGizycki  28.01.2017, 17:57
@Irmin1777


... Zen-Buddhismus auch ein Wohlfühl-Buddhismus...

Wollte das noch nebenbei anmerken:

Zen als Konzentration auf das Wesentliche und dies im praktischen Alltag zu leben und auch das Lebensumfeld entsprechend zu gestalten ist eine hervorragende Sache.

Doch das muss nicht Buddhismus heißen, sondern kann auch als Erlebbarmachung des Göttlichen verstanden werden. Das Göttliche als schöpferische Kraft im Sein und ist absolurt religiös.

Z.B. hier:

https://lh6.ggpht.com/BpQNn1DMpT-fhMTV0bvR1P04L7tgxvR27lu1RWochBgh964Qhu7ntTNpYxRDRl-pefI=h900

oder hier:

http://www.gartenmax.net/wp-content/uploads/japanese-garden-kyoto-wallpaper-x-japanese-garden-kyoto.jpg

Dabei geht es um gestaltete Ordnung, gesteigerte Ästhetik, künstlerische  Umsetzung von Harmonie und damit Erzeugung von Ruhe, Seelenfrieden, Konzentration und damit Erholung. Es ist meisterliches Menschenwerk. Der Wert liegt in der stillen Betrachtung und respektgebietender Ehrfurcht und ist damit meditativ.

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Enzylexikon  28.01.2017, 18:06
@Irmin1777

Wohlfühl-Buddhismus

Das Schlimme ist ja, das wir nicht von ein paar Westlern reden, die im Rahmen von Patchwork-Religiosität einige Aspekte des Buddhismus herausnehmen und dann kombinieren.

Wir reden hier von Personen, die selbst als buddhistische Lehrer auftreten und dann Weichspül-Sprüche für gutes Geld an die Harmonie suchenden Westler verkaufen.

Aber wenn man brutal ehrlich ist, wäre ja der Zen-Buddhismus auch ein  Wohlfühl-Buddhismus

Die Anpassung an andere Kulturen verwässert den Buddhismus ja nicht zwangsläufig, sondern kann ihn vielfältiger machen. Zudem ist Zen ja kein Licht-und-Liebe-Gesülze.

Beispielsweise kam Meister Deshimaru als Zen-Mönch nach Europa, weil er der Ansicht war, dass der Buddhismus in Asien erstarrt und leblos geworden sei und frischen Boden brauche.

In die USA wollte er nicht, weil er fürchtete, Zen könne dort zu sehr kommerzialisiert werden, so dass er nach Frankreich kam.

Er hatte zwar keine offizielle Lehrbefugnis der Soto-Schule, wurde jedoch rückwirkend als "Auslandsbeauftragter" registriert.

Weil wenn Lehrer in den Westen kommen ist das ja dann auch nicht anders als bei Bodhidharma damals.

Bodhidharma hat aber die Mahayana-Lehre unverändert aus Indien nach China gebracht, das nennt man "authentische Übertragung"

Wenn man heute KZ-Retreats in ehemaligen Vernichtungslagern durchführt, um "Zeugnis abzulegen", oder im Rahmen von "Street-Zen" eine Woche lang obdachlos lebt, ist das etwas anderes.

Abgesehen davon klingen deine Erfahrungen, die du mit westlichem Buddhismus gemacht hast, extrem negativ

Meine persönlichen Erfahrungen sind weitgehend positiv, allerdings verfolge ich Artikel usw. buddhistischer Lehrer durchaus kritisch.

Warum sollte es nicht möglich sein, dass sich ein solider westlicher Buddhismus entwickelt,

Ich halte das durchaus für möglich und denke, dass das auch durchaus schon gelungen ist - es gibt aber auch viel negatives.

Das folgende ist ein Thema über das man ewig diskutieren kann, daher werde ich versuchen mich kurz zu halten.

Es gibt im Westen zB Zen-Lehrer, die sich als Vertreter einer Traditionslinie verstehen, obwohl sie nie von einem Lehrer die offizielle Lehrbefugnis erhielten.

Sie lebten evtl. als Mönche mit ihm, wurden von ihm geschult - aber ohne Lehrbefugnis kein offiziell authorisierter Lehrer.

Wolfgang Zensho Kopp beruft sich auf Soji Enku - das ist der Mönchsname von Francois-Albert Vialet, der jedoch nur einfacher Mönch war und gar keine Lehrer authorisiert hat.

Wolf-Dieter Nolting (Rei Shin Bigan) und Christoph Hatlapa (Rei Ho) berufen sich auf Oi Saidan Roshi - können aber ebenfalls keine Lehrbefugnis oder nachträgliche Autorisation nachweisen.

Das sind letztlich Betrüger, die vom Buddhismus profitieren.

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Enzylexikon  28.01.2017, 18:16
@vonGizycki

Naja "Zen-Design" also japanisch inspirierten Minimalismus, als Wohn- und Gestaltungskonzept nun als Beispiel für die Manifestation des religiösen Geistes zu sehen, halte ich für etwas gewagt.

In diesem Zusammenhang ist "Zen" für mich einfach genau so ein werbewirksamer Slogan, wie der Name eines Parfüms des japanischen Unternehmens Shiseido

https://www.amazon.de/Shiseido-femme-woman-Parfum-Pack/dp/B0036FTF7K

Aber das kann natürlich jeder sehen, wie er will.

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vonGizycki  28.01.2017, 18:41
@Enzylexikon

Also für mich ist klar, das es hier um die hohe Kunst der Gestaltung geht und das ist eine absolut schöpferische Tätigkeit, die der Mensch mit der Natur gemein hat. Darum halte ich alle Lebewesen oder auch die Materie Ausdruck und Verwirklichung des Göttlichen. Der Mensch hat sich zwar im letzten Grunde nicht selbst zu verdanken, aber seine schöpferische Kraft halte ich mit der in der Natur für identisch. Woher sollte er sie sonst bekommen haben?

Aber mir liegt fern hier missionarisch tätig zu werden.

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vonGizycki  28.01.2017, 18:45
@Enzylexikon

Das mit dem Parfüm ist natürlich absolut dämlich und nur kommerzielle Fassade. Eigentlich ist es ein Nichts.

Feng Shui ist so eine kommerzielle Ausartung des Zens, finde ich.

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Enzylexikon  29.01.2017, 17:20

Vielen Dank für den Stern. :-)

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