Gibt es "zu viel" Empathie?

10 Antworten

Das muss man trennen. Im Geschäftsleben kann man gar nicht genug Empathie besitzen, egal ob als Verkäufer oder als Manager. Zu wissen, was jemanden bewegt, noch bevor er es selbst weiß, kann ein entscheidender Wettbewerbsvorteil vor anderen Verkäufern oder Managern sein.

Privat ist Empathie generell eine Eigenschaft, die nicht schlecht ist, aber überschätzt wird. Dem, der Empathie zeigt, ist es möglich, sich auf Gefühlsebene mit anderen zu verbinden. Daraus resultiert ein Verständnisgefühl. Der andere hat das Gefühl, verstanden zu werden. Das tröstet und man sagt ja auch, dass geteiltes Leid halbes Leid ist.

Halbes Leid ist aber immer noch Leid. Aus einem Verbundenheitsgefühl heraus ist es schwierig, einen neutralen Blick auf eine Problematik zu wahren. Die Problemlösung rückt je weiter in die Ferne, desto mehr sich auf dem geteilten Leid "ausgeruht" wird.

Wenn das Leid so stark gemildert wird, dass es ertragen werden kann, wird nicht mehr nach einem Weg der vollständigen Genesung gesucht.
Desweiteren leiden dann zwei Menschen, obwohl einer vom Problem gar nicht betroffen ist. Das heißt, der Empath schafft sich selbst Probleme. Es kann ein Ohnmachtsgefühl entstehen, da man Gefühlslagen nachvollziehen, aber nicht positiv beeinflussen kann.


Privatfrau  16.05.2019, 08:30

Doch, indem Verbundenheit gefühlt wird, wird die Gefühlslage beeinflusst - auch beim Einfühlenden!

Du tust ja gerade so, als würde der Empath nur geben und nichts bekommen.

Bleibt man immer auf Distanz, sieht man mehr, aber man spürt eben auch nie das Verbundenheitsgefühl. Da sollte man sich fragen, wovor man Angst hat. Oft ist es die Erfahrung, dass statt dem kleinen Finger gleich der ganze Arm genommen wurde und da liegt die Ursache wieder in mangelnder Abgrenzung.

Im Grunde gleich das Ganze einem Tanz. Ein eingespieltes Team beherrscht die Schrittfolgen im Einklang und genießt gemeinsam :) Klappt etwas nicht, leiden eben auch beide ;)

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Suboptimierer  16.05.2019, 08:43
@Privatfrau

Selbst wenn der Empath positive Gefühle in seinem Bewusstsein spiegelt, macht er sich von der Gefühlslage anderer abhängig. Dann ist er nur gut drauf, wenn andere gut drauf sind und immer wenn andere schlecht drauf sind, ist er auch schlecht drauf.
Ich halte es für einen Nachteil, seine eigenen Gefühle gegenüber die der anderen nicht abschirmen zu können. So kann ein Empath, der eigentlich einen guten Start in den Tag hatte, mit einem Schlag in die Gefühlswelt anderer gerissen werden.

Klar lässt er sich auch für positive, überschwängliche Gefühle leicht begeistern, aber selbst das würde er machen, selbst wenn es objektiv gesehen sinnvoller wäre, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Bleibt man immer auf Distanz, sieht man mehr, aber man spürt eben auch nie das Verbundenheitsgefühl.

Das stimmt. Die Motivation, zu helfen, bedingt wenigstens einen Funken Verbundenheitsgefühl. Empathie motiviert. Das ist der Vorteil.

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Suboptimierer  16.05.2019, 09:03
@Suboptimierer

Der Empathiker (gerade gelesen, dass es so richtig heißen muss) ist übrigens sehr anfällig gegenüber Manipulation. Der Empathiker sollte niemals alleine losziehen, um sich ein Auto zu kaufen. ;)

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Privatfrau  16.05.2019, 15:23
@Suboptimierer

So wie du habe ich auch lange gedacht, aber ... man kann seine eigenen Gefühle gegenüber anderen kaum abschirmen, denn ohne Resonanz spürt man auch die nicht.

Mich begleitet seit Jahren ein netter Nebensatz meines damaligen Therapeuten, den er mir mit einem Zwinkern mitgab: "Aber so ein bisschen Abhängigkeit ist doch auch ganz schön ;)"

Das Problem (oder auch Gute) liegt einfach darin, dass wir immer in Resonanz stehen und aufgefordert sind zu schauen, ist das Meins oder ist das Seins. Wer gerne "Alles Meins!" ruft, der darf sich nicht beschweren ;)

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Privatfrau  16.05.2019, 15:25
@Suboptimierer

Bzgl. Manipulation hat der Therapeut mir auch einen netten Gedanken mitgegeben: "Wenn Sie die Manipulation erkennen, ist es keine mehr."

Ich komme schon immer so vorinformiert, dass jeder gleich weiß: "Bei der ist Hopfen und Malz verloren!" :P

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Suboptimierer  16.05.2019, 15:27
@Privatfrau

Wenn du mit Abhängigkeit Vertrauen meinst, stimme ich zu. Immer wenn man vertraut, macht man sich abhängig.

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Empathie und Mitleid sind zwei verschiedene Dinge. Mitleid schadet mir. Empathie bedeutet für mich, dass ich mich sozusagen in die Gefühle des anderen hineinversetzen kann, ohne sie in mich zu lassen.

Ja, nämlich dann, wenn die Grenzen zwischen ihm und dem anderen verschwinden. Wenn es zur Verschmelzung kommt.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Eine spannende Frage!

Unabhängig von der Frage, welche Vor- und Nachteile Empathie hat, finde ich, dass man u.U. gar nicht steuern kann, wann man empathisch regiert und wann einen eine Situation eher kalt lässt. So geht es mir z.B. in Fällen, wo jemand in seiner Würde herabgesetzt werden soll, ebenso, wenn jemand Profit ziehen will aus der Unwissenheit seines Gegenübers und auch, wo jemand ausgegrenzt wird. Komischerweise löst bestimmte Musik bei mir ein ähnliches Gefühl aus.

Mich haben immer das Warum und das WIE interessiert. Erst, als ich erfuhr, dass dem Gefühl der Empathie bestimmte neuronale Muster zugrundeliegen, wurde mir einiges klarer.

Dabei ist erforscht, dass sozialer und körperlicher Schmerz sich gemeinsame Nervenbahnen und Signalwege teilen (s. Naomi Eisenberger). So löst die Erinnerung an eigene schmerzliche Erfahrungen das gleiche Gefühl beim Zusammentreffen mit anderen Menschen in vergleichbarer Situation aus: es entsteht Resonanz, also Empathie.

Diese Fähigkeit lässt sich aktivieren, indem man sie stimuliert, sie lässt sich aber auch 'bremsen', indem man den Übertragungskanal 'bremst': z.b. mit einem Schmerzmittel. Umgekehrt können seelische Schmerzen auch die körperliche Empfindlichkeit erhöhen und sogar auslösen.

Deine Frage nach Vor- und Nachteilen solcher Gefühle wird in Zusammenhang mit Beruf und Karriere gern gestellt: dort ist es notwendig diese Gefühle steuerbar zu machen und sie taktisch einzusetzen: 'emotionale Intelligenz' ist eine der wichtigen Soft-Skills im Beruf.
'Für den Alltag ist letztendlich egal, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Art und Weise Sie Ihre empathischen Fähigkeiten erworben haben – für den beruflichen Alltag ist nur wichtig, dass Sie sie gezielt einsetzen können.' siehe 'Emotionale Intelligenz als wichtige Eigenschaft'.

Da ist die Fähigkeit der Gefühlsunterdrückung sowie die 'Bereitschaft, die Gefühle und Motive nicht nur zu verstehen, sondern auch darauf einzugehen und entsprechend zu reagieren' gefragt.

Das ist aber nur möglich, wenn jemand seine persönlichen Verletzungen schon verarbeitet hat. In dem Moment, wo Gefühle noch akute Schmerzen bereiten, ist er womöglich nicht 'abgebrüht' genug, um Empathie 'gezielt' als Fähigkeit einsetzen.

Sicher ist es gut zu wissen, dass es dafür verschiedene Techniken (Biofeedback und Neuralstimulation) gibt, mit denen diese Verarbeitung angeregt werden kann.

Dadurch, dass man weiß, wo Empathie räumlich angesiedelt ist, und zwar in einem bestimmten Hirnareal in der rechten Hirnhälfte (am Schnittpunkt zwischen rechtem Schläfenlappen und Scheitellappen gelegen), kann man mit verschiedenen Methoden heilend auf das der Empathie zugrundeliegende schmerzhafte Gefühl einwirken:

  • Wing Wave-Methode: dabei wird das schmerzhafte Gefühl neural bearbeitet und durch eine Technik, die Augenbewegungen ähnlich wie in der REM-Phase einsetzt, neutralisiert. Coaches gibt in vielen PLZ-Bereichen, auf dieser Webseite gibt es eine Abfragemöglichkeit. (Ich bin durch ein Wing-Wave-Coaching mal innerhalb von 90 Minuten diverse 'Altlasten' glücklich losgeworden und würde so eine Sitzung jederzeit wiederholen, bevor ich mich lange mit Be- und Verarbeitung herumplage).
  • EFT-Klopftechnik (Meridianklopfen): damit kann man selbst oder mit therapeutischer Hilfe vorgehen : siehe Buch: 'Klopfen Sie sich frei' (ist einen Versuch wert, die Technik lässt sich überall schnell anwenden).
  • Geräte zur Neurostimulation: z.B. 'Whisper', wo der Anwender gezielt Überaktivität abschwächen und andere Funktionen aktivieren kann.

Es ist immer schön, wenn man bei Gefühlen eine gewisse Wahl hat!

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – traditionelle Mittel zur Gesunderhaltung

Privatfrau  16.05.2019, 15:47

Danke, sehr guter Kommentar! Wing-Wave war mir noch nicht als Begriff begegnet, muss ich mal schauen :)

" Da ist die Fähigkeit der Gefühlsunterdrückung ..."

Gefühle zu unterdrücken, ist nie gut. Aber man kann "Impulskontrolle" lernen. Das Gefühl also durchaus zulassen, aber quasi erst einmal rational behandeln.

Das wollte ich noch gerne anfügen und hoffe, es ist dir recht :)

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Spielwiesen  16.05.2019, 16:04
@Privatfrau

(Das war übrigens meine Antwort, kein Kommentar :)

Nein, ist ok! Impulskontrolle - gutes Stichwort! (Das wäre etwas, das ich auch noch lernen müsste!) In deinem Kommentar weiter unten fand ich auch gut, dass man immer auch schauen sollte, was ein negatives Gefühl (nach einem Ereignis) an positiven Impulsen bringt bzw. gebracht hat, wenn man mal nach einem Jahr zurückblickt.
Dazu tut oft gut, bewusst einen Schritt neben sich zu treten und die Sache von außen anzuschauen. Aber da gehts jetzt quasi um eigene hilfreiche Verarbeitungsstrategien, wie sie jedem nützen können, der nicht nur weinerlich mit Selbstmitleid dahocken möchte - in Erweiterung des Themas Empathie, sozusagen!

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Privatfrau  16.05.2019, 16:55
@Spielwiesen

Danke! Wobei "Ja, ist ok!" eindeutiger wäre *schmunzel* Ich will dich damit jetzt nicht belehren. Nachdem du dich geoutet hast, immer gerne alles verstehen zu wollen, verweise ich dezent an die Wirkung des Wortes "Nein" im Hirn. Ich bin eine sehr bewusste Leserin.

Ich finde es beruhigend, wenn man verinnerlicht hat, dass wirklich alles auf der Welt dem Polaritätsprinzip folgt. Dann ist Kummer schon nur noch halb so schlimm und verhindert das Versinken in der Opferhaltung.

Das ist übrigens ein ganz wunderbares Buch zum Thema Gefühle:

https://www.amazon.de/gp/product/B004OVEZL6/ref=ppx_yo_dt_b_search_asin_title?ie=UTF8&psc=1

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Spielwiesen  16.05.2019, 17:27
@Privatfrau

Immer schön, wenn sich auch jemand mit Sprache und ihrer Hintergründigkeit befasst! Da bist du schon auf einem guten Weg!

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Ja, das gibt es sogar sehr oft und klingt besser, als es ist. Diese Menschen beziehen nämlich auch sehr viel auf sich und sind damit auch gleichzeitig sehr anstrengend für andere.

Natürlich nehmen sie mehr wahr, auch die Belastungen der anderen. Das Problem daran ist, dass das, was dieser hoch empathische Mensch als belastend empfindet, für den Betroffenen noch lange nicht so sein muss, weil der eben ein dickeres Fell hat.

Umgedreht verletzen die dickfelligen Menschen schnell die Sensiblen.

Da hilft nur immer wieder auf Distanz zu gehen, gute Selbstfürsorge, damit der Sensible eine gesunde Stabilität behält und sauber trennen kann, was ihn betrifft und was eben nicht.