erkenntnis als Leistung des Geistes?

3 Antworten

René Descartes (1596 – 1659) hat mehrere Jahrhunderte vor dem Konstruktivismus gelebt und eine Erkenntnistheorie aufgestellt. Konstruktivismus ist ein Sammelname für verschiedene im 20. Jahrhundert entstandene philosophische Richtungen mit dem Standpunkt, der Gegenstand der Erkenntnis werde durch einen Vorrang der Erkenntnis konstruiert, oder mit dem Standpunkt, gültige Aussagen/die Absicherung einer Wahrheit von Aussagen würde durch Konstruieren/Rekonstruieren erreicht. René Descartes war der Konstruktivismus unbekannt.

Eine Gemeinsamkeit besteht darin, mit Denken an die Welt heranzugehen und etwas über sie herausfinden zu wollen. Der Konstruktivismus ist aber ein grundlegend anderer erkenntnistheoretischer Ansatz.

Descartes

René Descartes ist ein Vertreter eines Rationalismus (die Vernunft/der Verstand – Ratio – ist für Erkenntnisse das Wesentliche, Vorrangige und Leitende; Descartes hält die Gesamtwirklichkeit für ein geordnetes Ganzes, dem die Ordnung der vernünftigen Gedanken entspricht).

Descartes tritt, da das, was wir glauben, falsch sein kann, für einen methodischen Zweifel ein: Alles ist in Zweifel zu ziehen, da Irrtum möglich ist. Alles, was als Wissen gelten soll, ist zu prüfen. Damit nimmt er den Standpunkt eines gemäßigten Skeptizismus ein. Descartes verneint letztlich mit seinem methodischen Zweifel nicht jede Erkenntnismöglichkeit. Nur lehnt er es ab, ohne Nachdenken von einer Erkenntnisleistung der Sinne, der Existenz von etwas und der Wiederholung von Abläufen als gegebenen Selbstverständlichkeiten auszugehen.

Der methodische Zweifel hat mehrere Stufen:

1) Grundlage: Beruhen Meinungen auf einer zuverlässigen Grundlage oder stützen sie sie sich auf unzuverlässige Informationen der Sinneswahrnehmung?

2) Zustand: Befinden sich Menschen bei ihren Meinungen in einem Zustand des Wachseins oder des Träumens?

3) Autonomie: Sind die Meinungen die eines unabhängigen Subjekts oder eines Spielballs eines bösen, übelwollenden Geistes?

Descartes sucht nach etwas, für das es Gewißheit gibt. In der 2. Meditation (Meditationes de prima philosophia, 1641) geht es ihm darum, als Grundlage etwas Unbezweifelbares aufzuweisen. Dies ist die eigene Existenz eines Denkenden. Die Erkenntnis der eigenen Existenz („ich bin“) ergibt sich als einzige einfach aus einem „ich denke“ und hält - so ist seine Auffassung - auch einem radikalen Zweifel stand, weil dieser Zweifel ja selbst eine eigene Denktätigkeit ist. Im Begriff eines Denkenden ist in allen möglichen Fällen der Begriff seiner Existenz miteingeschlossen bzw. vorausgesetzt. Der Vollzug des Denkens nicht von der Existenz eines dabei Denkenden abtrennbar (Anwendung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch). Dies ist evident (offensichtlich, einleuchtend).

Der Gedankengang ist: Wenn/solange ich zweifle, ist kein Zweifel möglich, daß ich zweifle und ich es bin, der zweifelt. Das Denken erfaßt unmittelbar: Denken schließt eine Existenz des in diesem Augenblick Denkenden ein und wer tatsächlich in einem Augenblick denkt, muß daher existieren. „Ich bin, ich existiere; das ist gewiß.“ (lateinisch:Ego sum, ego existo, certum est.); später auch - Principia Philosophiae (Prinzipien der Philosophie; 1644) - : „Ich denke, also bin ich.“ (Ego cogito, ergo sum.) Damit ist ein erster unbezweifelbarer Satz aufgestellt. Er ist ein beispielhafter Maßstab für richtiges Wissen. Als wahr kann gelten, was ähnlich wie dieser Satz klar und deutlich erfaßt wird.

Nach den Meditationes 3, 2 wird als allgemeine Regel für Evidenz aufgestellt: wahr ist alles, was ich sehr klar und deutlich erfasse (Illud omne verum est, quod valde clare & distincte percipio).

Descartes hat die Auffassung: Im menschlichen Geist (bei Descartes sind denkende Sache, Geist, Seele, Verstand/Intellekt und Vernunft/Ratio im Grunde bedeutungsgleich: res cogitans, id est mens, sive animus, sive intellectus, sive ratio „denkende Sache, das ist Geist oder Seele oder Verstand/Intellekt oder Vernunft/Ratio“ 2. Meditation) befinden sich Erkenntnisanlagen, Keime der Wahrheit: Ideen/Vorstellungen. Es ist möglich, Ideen/Vorstellungen in reflektierendem Denken zu erfassen.

René Descartes versteht Ideen/Vorstellungen als Denktätigkeiten/geistige Tätigkeiten, die Gegenstände repräsentieren (darstellen). Die Bildung eines wahren Urteils setzt die Bildung einer richtig repräsentierenden Idee/Vorstellung voraus. Descartes zufolge liegt dies nur vor, wenn eine klare und distinkte (deutliche) Idee gebildet wird. Erkenntnis ist eine Vergegenwärtigung von etwas, die im Bewußtsein klar und deutlich ist.


Albrecht  19.02.2015, 06:03

Descartes vertritt den Standpunkt: Sinneswahrnehmung alleingenommen liefert nur Sinneseindrücke, leistet aber nicht die Erkenntnis, was eine Sache ist. Erkennen ist nicht einfach ein Sehen, Berühren oder bildhaftes Vorstellen. Das Erfassen, was die Sache ist, leistet erst der Geist mit seinem Urteilsvermögen. Wer meint, von einem Fenster aus Menschen vorübergehen zu sehen, sieht genaugenommen Farben und Formen, aber unter den Bekleidungsstücken könnten auch Automaten stecken, die irrtümlich für Menschen gehalten werden (2. Meditation). Ein Stück Wachs kann seine sinnliche wahrnehmbaren Eigenschaften (z. B. Form, Farben Geruch, Klang bei Dagegenschlagen) verändern (z. B. bei Erhitzung). Gesucht wird, wenn erfaßt werden soll, was eine Sache (z. B. ein Stück Wachs) ist, aber etwas, das gleichbleibend ist. Körper werden darin, was sie selbst sind, nicht eigentlich durch die Sinne oder das Vorstellungsvermögen erfaßt, sondern allein vom Verstand/der Vernunft.

An der Theorie ist einige grundsätzliche Kritik möglich, so an der Klarheit und Deutlichkeit von Bewußtseinsinhalten als allgemein sicheres Kriterium der Wahrheit. Descartes nimmt zur Gewährleistung der Richtigkeit von Erkenntnis die Existenz Gottes als eines vollkommenen Wesens an (was allerdings als Vorliegen eines Zirkelschlusses anfechtbar ist, weil für Gottesbeweise schon das Wahrheitskriterium der deutlichen und klaren Einsichten benötigt wird). Die Wahrhaftigkeit Gottes wird bei Descartes zum Garant der Richtigkeit der menschlichen Denkinhalte.

Descartes hat in zwei Hinsichten ganz andere erkenntnistheoretische Überzeugungen als der erst lange Zeit nach ihm entwickelte Konstruktivismus:

1) Wahrheitsbegriff

2) Standpunkt zur Realität der Wirklichkeit/Außenwelt

Descartes ist ein Vertreter der Korrespondenztheorie der Wahrheit: ein Urteil des Verstandes/der Vernunft/des Geistes ist wahr, wenn es mir der Sache, wie sie tatsächlich ist, übereinstimmt.

In der Philosophie ist Realismus der Standpunkt, es gebe eine vom Geist/Verstand/Bewußtsein/Subjekt unabhängige Wirklichkeit/Außenwelt und über diese seien (zumindest in einigem Ausmaß) Erkenntnisse möglich. Descartes steht mit seinem methodischen Zweifel deutlich in Gegensatz zu einem naiven Realismus, der meint, die Dinge seien genau so, wie sie wahrgenommen werden/sich einem darstellen, und die Erkennbarkeit der Dinge, wie sie tatsächlich sind, uneingeschränkt vorausgesetzt. Descartes ist aber auf kritische und nicht so weitgehende Weise ein Vertreter des Realismus.

Konstruktivismus

Es gibt verschiedene Richtungen des Konstruktivismus, mit unterschiedlichen Ausprägungen des Begriffes der Konstruktion, unter anderem den methodischen Konstruktivismus und den radikalen Konstruktivismus.

Ihr Wahrheitsbegriff ist nicht der einer Korrespondenztheorie der Wahrheit. Zumindest der radikale Konstruktivismus steht in deutlichem Gegensatz zu jeder Art von Realismus, er ist ein Antirealismus.

Der Konstruktivismus hat einen anderen Denkansatz als Descartes. Im Mittelpunkt steht beim Konstruktivismus nicht das Was (Was ist die Sache selbst/an sich?), sondern das Wie (Wie wird Erkenntnis konstruiert?).

radikaler Konstruktivismus

Der radikale Konstruktivismus vertritt den Standpunkt, es seien keine objektiven Aussagen über die Wirklichkeit möglich. Nach Meinung des radikalen Konstruktivismus ist eine erkennende Verbindung eines Subjekts zu einer objektiven Wirklichkeit (Realität) ganz grundsätzlich unmöglich. Das erkennende Subjekt habe keine Erkenntnis der Wirklichkeit, wie sie tatsächlich ist. Beobachtende und Beobachtungswelt seien nicht getrennt, jeder Sinnesreiz werde vom Subjekt mit seinem Erfahrungshintergrund und seiner Perspektive verarbeitet und es gebe keinen unabhängigen Bezugspunkt, um ein wahres Wesen der Dinge oder eine Richtigkeit festzustellen. Alle Subjekte schaffen oder erfinden nach dem radikalen Konstruktivismus eine Wirklichkeitswelt der Subjekte.

Erkennen gilt als Konstruktion (also etwas Zusammengefügtes/Hergestelltes) von Wirklichkeit, die unter dem Gesichtspunkt eines Mittels beurteilt wird, nach der Gangbarkeit im Gebrauch. Es geht nicht um richtige Darstellung der Dinge, wie sie tatsächlich sind, sondern um ein Passen in der Bedeutung eines Funktionierens, ein erfolgreiches Überleben/Leben zu ermöglichen und die Erlebniswelt eines Subjekts zu organisieren.

Wissen, wie es vom radikalen Konstruktivismus verstanden wird, ermöglicht keine echte Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Auffassungen. Der Begriff von Wahrheit ist stark aufgeweicht. Es kommt darauf an, einen Weg zu finden, bei ein Durchkommen zu einem gewünschten Ziel gelingt.

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fechi333  20.02.2015, 10:12
@Albrecht

Ich denke doch, dass eine gewichtige Vorüberlegung für die meisten Spielarten des Konstruktivismus, warum die Fragestellung von "Was ist?" auf "Wie wird?" übergeht, in der Einsicht besteht, dass es schlechterdings keine einfache Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt als Voraussetzung der Erkenntnis geben kann und sie sich beide in einander vermitteln darstellen.

Dies wird zum Beispiel von Hegel am Anfang der Phänomenologie in der [Einleitung] als eine Kritik an Kant dargestellt. (Hegel, Werke, Bd. 3, S. 68-82)

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Oh weh, da fehlt aber auch alles. Der Konstruktivismus ist eine neue philosophische Richtung und weit, weit nach Rene Descartes (Lebensdaten siehe Wikipedia). Descartes lebte am Ende der Scholastik (philosophische/theologische Schule des Mittelalters) und für die Scholastik war GEWISSHEIT das Wichtigste. Da Descartes ein Denker war, hat er sich vor allem als Denker erlebt und festgestellt, dass er wohl an allem zweifeln kann, nur nicht daran, dass er derjenige ist, der denkt und damit sich selbst als Denkenden als Gewissheit gesetzt. Ansonsten hat er einige für damals neue Forderungen zur Seriosität wissenschaftlicher Forschung aufgestellt und damit den Schritt in die Moderne gemacht.

Der Konstruktivismus hat mit Descartes gemeinsam, dass es sich um denkende Turmhocker handelt, die glauben, dass sie mit Denken die Welt erfinden. Wenn Du z.B. hin und wieder Formel 1 schaust, weist Du, was für ein Blödsinn das ist. Da ist ein Höchstmaß von Wissenschaft und Technik bemüht, die Leistungsgrenzen dieser Hochtechnologiefahrzeuge zu finden. Und sie stimmen ab und stimmen ab - worauf wohl? Es geht um den Abgleich von den theoretischen Vorstellungen der realen Rennwelt auf die konkreten Bedingungen der realen Rennstrecken- und Autobedingungen. Und wenn sie dann doch nicht die Schnellsten sind, heißt es, die Abstimmung hat nicht gepasst. Oder genauer, die Konstruktion der möglichen Rennbedingungen und die realen Rennbedingungen konnten nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Oder einfacher: Wenn wir bei einer 29 cm hohen Stufe mit flüchtigem Blick und Gedanken ans Mittagessen fahrlässig nur 25 cm Höhe "konstruieren", fallen wir auf die Nase. Das hat allerdings auch schon Descartes gewusst.

Wie du was verstehen musst?
Vereinfacht gesagt funktioniert der Gedanken Descartes so, dass er sich fragt, was das einzige Wahre ist, das wir kennen - nur darauf könne man Wahrheit/ Erkenntnis aufbauen. Im Zuge dieser Überlegung kommt er zu Cogito ergo sum. Auf dieser Erkenntnis wieder baut er seine Erkenntnis-Theorie auf.