Wieso war früher Deutschland so stark zersplittert?


05.10.2024, 14:25

Kam dieser Trend aus Italien ?

5 Antworten

Zusätzlich zu den bereits vorhandenen Gründen:

Schau auf die Landkarte! Wer irgendwo hin wollte, tangierte Deutschland. Es gab immer Interessenkonfikte und Zweckbündnisse.

Hinzu kommt die Bevölkerungsdichte.

Am Rande Europas war der Andrang logischerweise nicht so groß. Auch dort gab es unterschiedliche Interessen zwischen "Flurstücken", aber nicht so gravierend, dass sie in Landkarten als Grenzen eingetragen werden mussten.

Spanien z.B. wurde stark durch die Araber geprägt und da gab es lange Zeit nur 2 Königshäuser. Gleichzeitig bedeutete das aber relativen Stillstand. Kriege und Kampf gegen das Klima treiben eben die Entwicklung an. Hungersnöte hatten in Irland oder Skandinavien andere Auswirkungen als in den Agrarkulturen am Mittelmeer, wo irgendwas schon wuchs, gerade im Fruchtbaren Halbmond. Bei den Germanen und den Wikingern war der Nachbar die am leichtesten zu beraubende Beute. Deshalb vereinten sich die Völker und Stämme nicht, sondern gingen leichter aufeinander los, sogar Städte wie im alten Griechenland! - was Abgrenzung bedeutete. In den slawischen Gebieten hingegen, die noch dünner besiedelt waren, war die Infrastruktur und die Zentralmacht schwach. Da konnte fast jeder Lokalfürst machen, was seine Macht erlaubte. Entsprechend fasste man alles als ein Gebiet zusammen - was es aber nicht war! So entstanden Vielvölkerstaaten, wo man sich nur ersparte, Linien auf die Landkarte zu malen. Hätte man es getan, sähe es ähnlich zerstückelt aus und vielleicht gibt es dort Landkarten, wo die Herrschaftsbereiche sehr wohl eingezeichnet sind, Deutschland aber als großer Fleck dargestellt wird? Es kommt halt auf den Fokus an.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Das liegt unter anderem daran, dass sich in Frankreich im frühen 17. Jahrhundert die Zentralgewalt gegen konkurriende Mächte durchsetzte. Und im deutschen Raum nicht.

Sehr zugespitzt könnte man sagen: Richelieu gewinnt 1628 für seinen König die Schlacht um La Rochelle (gegen die Hugenotten). Im gleichen Jahr scheitert Wallenstein vor Stralsund (gegen die Protestanten) mit einem ähnlichen Ansinnen. In Frankreich ist damit der Weg für einen Zentralstaat frei. In Deutschland ist dieser Weg spätestens hier fürs Erste gescheitert.

Aber das ist nur sichtbarer Ausdruck einer Entwicklung, die natürlich von vielen Faktoren abhing.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Geschichte

Rugall  05.10.2024, 15:16

Zu den oben genannten Faktoren könnte man unter anderem zählen, dass dieses Reich (deutscher Nation) etwas zu groß und bevölkerungsreich war, als dass es damals gut von einer Zentralgewalt hätte regiert werden können.

Außerdem war die zentrale Lage in Europa hinderlich. Es kam - vor allem im 17. Jahrhundert - immer wieder zum Einfall fremder Armeen. Ein Problem, das der Inselstaat England nicht kannte.

Und drittens bedeutete der universale Anspruch der Kaiser, dass sich die potentielle Zentralgewalt in zu vielen Konflikten verzettelte. So waren die mittelalterlichen Kaiser häufig für Jahre in Italien gebunden. Während ihrer Abwesenheit gewannen naturgemäß die Fürsten an Macht.

Zu guter letzt: Das Reich war eine Wahlmonarchie. Wer zum Kaiser gewählt werden wollte, musste den Fürsten Zugeständnisse machen und Macht abgeben. Auch das verhinderte einen starken Zentralstaat.

Das Heilige Römische Reich, das im 10. Jahrhundert entstand, war keine zentralisierte Monarchie, sondern ein lockerer Zusammenschluss von Fürstentümern, Bistümern, freien Städten und anderen Herrschaftsgebieten. Diese hatten weitgehende Autonomie, und der Kaiser konnte sie nur schwer kontrollieren. Der Kaiser war oft auf die Zustimmung der Fürsten angewiesen, was zu einem dezentralisierten politischen System führte. Diese Struktur hielt die Zersplitterung über Jahrhunderte hinweg aufrecht.

Die deutsche Region war außerdem stark feudalistisch geprägt. Das bedeutete, dass lokale Fürsten, Grafen, Herzöge und Bischöfe immense Macht besaßen und ihre Gebiete unabhängig verwalteten. Viele dieser Herrscher waren nicht daran interessiert, ihre Macht an eine zentrale Autorität abzugeben.

Dazu kamen weitere Konflikte wie der Dreißigjährige Krieg und die Reformation, die Deutschland hart trafen und zwischen der Katholischen und Reformierten Kirche spalteten.

Anders als in Frankreich, wo die Kapetinger und später die Bourbonen eine starke zentrale Monarchie aufbauten, oder in Spanien, wo die Katholischen Könige durch Heirat und Kriege das Land einigten, gab es in Deutschland keine solche zentrale Dynastie, die in der Lage war, das Land zu vereinigen. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war oft schwach, da sein Thron von mehreren Familien umkämpft war und immer wieder Streite um die Erbfolge ausbrachen.

Italien bestand ebenfalls aus vielen kleinen Stadtstaaten und Fürstentümern (wie Venedig, Florenz, Mailand, und dem Papststaat). Die Gründe dabei waren ähnlich wie in Deutschland. Ein "Trend" würde ich es aber nicht nennen. Es war einfach die Abfolge von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Konsequenzen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich habe den Bachelor im Geschichtsstudium.

Was du heute Deutschland nennst, war damals ein größeres Gebiet mit eigenen Königs-/Fürstenhäusern. In Frankreich und Italien gab es das auch.

Unter Karl - so glaube ich - wurden viele Gebiete vereint. Dann aber wieder aufgeteilt, als das Erbe an die Kinder verteilt wurde.

Wieso war früher Deutschland so stark zersplittert aber fast alle Länder Europas nicht?

Alle Länder waren in der Antike und im Mittelalter zersplittert. Dort ist es aber immer einer Dynastie oder einem Herrschaftsbereich gelungen, die Zentralgewalt an sich zu ziehen und alle Macht auf sich zu vereinigen. Eine solche dominierende Macht gab es in Deutschland nicht und der Kaiser war eher von den Fürsten abhängig als umgekehrt.

In Deutschland ist es erst den Preußen im 19. Jahrhundert gelungen, die dominierende Kraft in Deutschland zu werden und unter ihrer Herrschaft die Kleinstaaterei zu beenden.