Wie sieht eine Hypothese aus, in der freier Wille möglich ist?

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Man könnte folgende Hypothese aufstellen: Der Mensch ist durch Naturgesetze und gesellschaftliche Zwänge determiniert, hat jedoch in einem begrenzten Rahmen eine gewisse freie Wahl, sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Solange der Mensch eine Wahl hat, ist er auch als moralisches Wesen für sein Handeln verantwortlich. Wäre alles determiniert, d.h. es gäbe keine Willensfreiheit, könnte der Mensch nicht für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden, da er lediglich eine Marionette in einem deterministischen Weltbild wäre. Dies würde unser moralisches Empfinden stören, da es dann keine Gerechtigkeit gäbe. Daher muss der Mensch stets eine freie Wahl für seine Entscheidungen haben, damit er für seine Handlungen die moralische Verantwortung trägt. Dies ist die Lehre des Kompatibilismus zur Frage der Willensfreiheit des Menschen, die auch von Chrysipp, Cicero, Spinoza und Daniel Dennett vertreten wurde.


Pyramesse27806  03.06.2024, 15:51

Wenn wir uns für oder gegen etwas entscheiden, müssen für eine spezielle Entscheidung konkrete Ursachen vorliegen. Ohne dem kann es nicht gehen. Denn eine bestimmte Entscheidung ist vergänglich. Ein freies Wollen kann es nur auf der intersubjektiven Ebene geben. Es geschieht immer wieder, das beim vergänglichem Seienden versucht wird, diesem die Grundlagen zu entziehen.

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Merlin128  03.06.2024, 19:36
@Pyramesse27806

Nach Sartre sind wir dazu verurteilt, uns zu entscheiden. Auch wenn wir uns nicht entscheiden, haben wir uns dennoch entschieden, denn wir können uns nicht nicht entscheiden. Das Leben fordert Entscheidungen und ruft den Menschen damit in seine Verantwortung, die er nicht an andere delegieren kann. Dies ist die Philosophie des Existenzialismus, die besagt, dass die Summe unserer Entscheidungen unser Wesen bestimmt und nicht, wie die Metaphysiker meinten, dass das Wesen unser Sein bestimmt. Darum geht die Existenz unserem Wesen voraus.

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Pyramesse27806  05.06.2024, 15:55
@Merlin128

Jede einzelne Entscheidung muss auf Ursachen zurückzuführen sein. Das ist jetzt nicht der Versuch, irgendwas auf andere Leute zu delegieren oder dafür nicht zu haften. Aber nur,, das Ganze ist das Wahre (Hegel) . Und der Existenzialismus interagiert mit Halbwahrheiten, indem direkt dazu aufgefordert wird, die Frage nach dem Warum zu unterlassen. Die Ontologie stellt eindeutig klar das es Antworten auf das Warum und Warum noch geben muss und die Epistemologie versucht zu ermitteln, welche Ursachen wofür vorliegen. Und genau das wird vom Existenzialismus unterschlagen. Das ist Oberflächlichkeit. Entscheidungen können von Interessen, aus Erfahrung, dem Kalkül oder dem Instinkt heraus vom Menschen zur Schau gestellt werden.

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Merlin128  06.06.2024, 13:50
@Pyramesse27806

Ich bin wahrlich kein Existenzialist und habe Sartre nur erwähnt, weil seine Position in diesem Kontext zur Willensfreiheit mir passend schien. Hegels berühmtes Diktum "Das Wahre ist das Ganze" wurde bekanntlich von Adorno demontiert, der behauptete dass das Ganze das Unwahre sei. Ich denke, dass die Systemphilosophie Hegels gescheitert ist und bei der Komplexität der modernen Wissenschafteb niemand mehr den Versuch unternimmt und es wagt, das Ganze auf den Begriff zu bringen.

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Pyramesse27806  06.06.2024, 22:59
@Merlin128

Ein starkes Verlangen von Nietzsche war es, sich mehr um das Wesen der Dinge und deren Ursprünge, Aber heute kommt es mir so vor, als ob niemand danach fragen soll. Auch werden Weigerungen präsentiert, das Kausalitätsprinzip als Beweismittel anzuerkennen, so das eine Hypothese nach der anderen aufgestellt und wieder verworfen werden kann. Falsifiezieren statt vertifizieren, damit der Wissenschaft nie die Arbeit ausgeht . Noch mal zurück zur Willensfreiheit. Es gibt die Ursachen abhängige Willensentstehung, dann die Frage wie bei Kant, ob eine Handlung frei von einem Wollen ist und ob es eine Willensbeeinflussung im intersubjektiven Bereich gibt oder nicht. Aber die Herren Philosophen drücken sich eher selten klar und eindeutig aus.

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Merlin128  07.06.2024, 09:55
@Pyramesse27806

Nietzsche sah sich selbst als den Zertrümmerer der abendländischen Metaphysik und wies die ontologische Frage nach dem Wesen und deren Ursprüngen als "Platonismus für das Volk" zurück. Wir leben in einem postmetaphysischen Zeitalter, und die modernen Wissenschaften basieren auf den Grundlagen des mathematischen Denkens und des wiederholbaren Experiments. Richtig ist, dass die modernen Wissenschaften keine absoluten Geltungsansprüche auf Wahrheit erheben, sondern nur hypothetische Geltungsansprüche, die so lange als wahr gelten, bis sie widerlegt werden. Kausale Gründe sind schwer zu eruieren, weil uns die Wirklichkeit in ihrer Totalität nicht vollständig offenbar ist. Dies gilt insbesondere für das menschliche Handeln, das nur zu etwa 20 Prozent rational ist und zu 80 Prozent vom Unterbewusstsein gesteuert wird. Die moderne Neurobiologie bestreitet sogar, dass es überhaupt Willensfreiheit gibt. Denn bevor wir uns entscheiden, findet eine neuronale Befeuerung im Gehirn statt, die wir erst nachträglich als unsere Entscheidung rationalisieren. Sokrates war nicht umsonst der Weiseste, weil er sich redlich eingestand, dass er nichts weiß. Dies aber ist der Anfang aller Weisheit, und darum nannte er sich bescheiden einen Philosophen, einen Liebhaber der Weisheit.

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Pyramesse27806  10.06.2024, 05:46
@Merlin128

Sich immer nur mit Hypothesen zu begnügen, kann nicht Zweck der Philosophie sein.

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Merlin128  10.06.2024, 08:40
@Pyramesse27806

Was Philosophie ist und was ihr Zweck sein soll, ist selbst schon eine philosophische Frage, die unter den Philosophen kontrovers diskutiert wird. In der Philosophie lernt man eine rationale Diskurskultur einzuüben, die sich vor dem Logos, d.h. der Vernunft rechtfertigen muss. Philosophie lebt vom rationalen Diskurs mit der immer bestehenden Möglichkeit, dass der andere Diskursteilnehmer vielleicht doch recht haben könnte. Oder wie es Habermas in seiner "Theorie des kommunikativen Handelns" treffend formuliert: "Der zwanglose Zwang des besseren Arguments". "Zwanglos" deshalb, weil wir uns darauf einigen, dass wir uns von rationalem Argumenten überzeugen lassen. "Das bessere Argument" wäre dasjenige Argument, welches im Pro und Contra den Konsens aller oder aber der Mehrheit der Beteiligten im Diskursgeschehen findet. Oder anders gesprochen, wer philosophieren will, der muss seine subjektiven Meinungen und vor allem seine persönliche Weltanschauung hinter sich lassen und sich in einen offenen rationalen Diskurs begegeben, der sich durch das bessere Argument im Konsens aller Beteiligten als gültig erweist.

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Pyramesse27806  15.06.2024, 06:13
@Merlin128

Ein rationales Argument wäre es, wenn man den Menschen vom Kausalitätsprinzip überzeugen könnte. Jedoch fällt diese Wahrheit in der Regel der Gefallsucht zum Opfer aus Gründen des Personenkultes. Denn Ontologie stellt eindeutig den Anfang des Philosophierens dar. Die Frage ob die Existenz des Menschen den Wesenszügen vorausgeht oder umgekehrt ist wohl verschiedenen. Was an der Beantwortung dieser Frage so wichtig sein soll, ist mir schleierhaft. Wenn aber an einem Diskurs mehrheitlich die Egozentrik anwesend ist, was dann?

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Merlin128  15.06.2024, 15:00
@Pyramesse27806

Das Problem mit dem Kausalitätsprinzip ist, dass man leicht in einen infiniten Regress fallen kann, weil Kausalität immer weiter hinterfragt werden kann, wenn man nicht obskure Metaphysik betreiben will, die seit Kant als bloßes Vernünfteln kritisiert wurde, da sie in der Erfahrung weder verifiziert noch falsifiziert werden kann. Der Mensch ist auf der Suche nach Wahrheit und kann sich jederzeit irren, daher ist es verständlich, dass wir in Bezug auf die Wahrheit einen gewissen Skeptizismus in den Wissenschaften pflegen. Dieser Skeptizismus hat immer wieder zu neuen und bahnbrechenden Erkenntnissen in der Forschung geführt. Der Begriff der Ontologie wird erst seit dem 17. Jahrhundert verwendet und meint zunächst nichts anderes als die allgemeine Metaphysik. Aristoteles sprach als Metaphysiker vom Staunen, griechisch "θαυμάζειν = thaumazein", als den Anfang allen Philosophierens. Wer jedoch behauptet, die Wahrheit zu besitzen, ist kein Philosoph, sondern ein Ideologe, und Philosophie wäre dann zu einer ideologischen Weltanschauung verkommen, wie es der Marxismus-Leninismus praktizierte, indem er von der einzig wahren Weltanschauung des Marxismus-Leninismus sprach.

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Pyramesse27806  16.06.2024, 06:40
@Merlin128

Ohne die Existenz von Ursachen und deren Zusammenwirken ist keine nachfolgende Existenz von Wirkungen möglich. Das zur Schau stellen einer jeden einzelnen Wirkung durch ein Subjekt mit eingegriffen. Die bloße Existenz der Kausalität ist mathematische Gewissheit und nicht nur Überzeugung. Wenn dann selbst von Professoren behauptet wird Kausalität wäre nicht beweisbar und man kann deshalb auch keinen Nutzen daraus ziehen, dann geht der Skeptizismus entschieden zu weit. Der Schaden, der damit angerichtet wird ist in der Sozialpsychologie unermesslich hoch.

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Wie schon richtig gesagt; wenn das Ursache-Wirkungs-Prinzip nicht gilt.

Wenn wir uns den freien Willen schon selbst nicht zutrauen - die Stelle an der Wand, die sich die Fliege zum Landen aussucht, ist sicher nicht das Ergebnis von sozialen Interaktionen, Regeln, charakterlichen Veranlagungen, Erfahrungen, Bedürfnissen etc. und auch nicht das Resultat einer physikalischen Wechselwirkungskette mit Startpunkt Urknall.

Und ob man's glaubt oder nicht: Auch wir können das. Sei es beim Ankreuzen des Lottoscheins.

Das hängt von der Ebene ab, von wo wir einen Willen betrachten. Die Entstehung eines bestimmten Interesses ist Ursachen abhängig. Das heißt, dass was wir wollen, können wir uns nicht selbst aussuchen. Aber auf der intersubjektiven Ebene ist ein starkes Wollen kaum beeinflussbar. Strafe dient also nur einem präventivem Zweck. Denn ständige Vorwürfe können in extremen Fällen sogar zu Amokläufen führen.