Wer hat Recht, Descartes mit seinem Spruch, "Ich denke also bin ich" oder Buddhisten die Gedanken stoppen um in Jetzt zu verweilen?

12 Antworten

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Ich bin Buddhist und sehe da absolut keinen Widerspruch.

Unser Selbstbild ("Ich") und die Art, wie wir die Welt wahrnehmen, wird durch Instinkte, Lebenserfahrung, Erziehung und kultureller Prägung bestimmt.

Unsere Ich-Empfinden und die subjektive Realität existieren nur, wenn dir denken.  Falls wir bewusstlos werden, verschwindet unsere Ich-Identifikation.

Aus meiner Sicht sagt Descartes also:

"Wir bewerten die Wahrnehmung, also haben wir ein bestimmtes Bild von uns  und der Welt (so dass wir nicht wissen, wie die Welt ohne Bewertung aussieht)".

Oder anders gesagt

"Ich denke, ich bin großartig, also ändert sich mein Verhalten und ich sehe die Dinge anders (unabhängig davon, wie großartig ich tatsächlich bin)"

Somit haben wir laut Descartes eine beschränkte Wahrnehmung und sind nur begrenzt frei, da sie durch unser Ich subjektiv gefiltert wird.

Descartes stellt also unser fest zementierte Vorstellung vom "Ich" in Frage.

Hier setzt der Buddhismus an

Während der Meditation werden die Gedanken nicht verdrängt, sondern man lässt sie vorbeiziehen, lässt also Identifikation und Bewertungen fallen.

Dadurch soll der Mensch schließlich eine Wahrnehmung erlangen, die nicht durch vorgefasste Muster und Meinungen gefiltert wird.

Der Buddhismus lehrt also, wie man das "Nicht-Denken" (jap. "Hishiryo") erlangt - die Erfahrung der Gegenwart, ohne Bewertung.

"Halte ich am Ich fest, nehme ich nur mein Kopfkino der Realität wahr. Lasse ich das Ich los, nehme ich die Realität war, wie sie ist"

Ein Beispiel

Wir haben einen Stock. Sofern es keine Halluzination ist, wird jeder diesen Stock sehen, anfassen, riechen und hineinbeißen können.

Jetzt kommt die Frage auf "Wie lang ist ein Stock?"

  • Brauchen wir einen langen Stock, ist er zu kurz
  • Brauchen wir einen kurzen Stock, ist er zu lang

In Wirklichkeit ist der Stock weder kurz oder lang, sondern erst unsere Bewertungen und Vergleiche machen ihn dazu.

Descartes würde vllt. sagen "Es gibt den kurzen Stock nur, weil wir ihn uns kurz denken (über die wahre Länge des Stocks, können wir nur spekulieren)"

Fazit

Nach dieser Deutung würde ein praktizierender Buddhist das erleben, was ein Intellektueller Theoretiker nur ankratzen kann; Er erfährt das Nicht-Denken.

Descartes suchte nach absoluten Antworten des Ich und Buddha lehrte, dass es absolute Antworten des Ich nicht geben kann.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit etwa 40 Jahren praktizierender Buddhist

Enzylexikon  02.02.2017, 12:27

Vielen Dank für den Stern. :-)

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Die Leute interpretieren in diesen einen Satz von Descartes immer soo viel hinein...
Im ganzen Absatz oberhalb dieser Schlussfolgerung spricht Descartes davon, dass wir die "Echtheit" unserer Sinnesorgane in keinster Form beweisen können - woraus sich der skeptizistische Ansatz ergibt. Nämlich: "Es ist uns nicht möglich, irgend ein Wissen über die Außenwelt zu haben."
Er spricht von der Irrealität der Organe - und das zu einem Zeitpunkt, in dem es noch keine wirkliche Forschung am Gehirn gab. Da wir heute wissen, dass unsere Gedanken exactamente aus einem Organ kommen, relativiert sich der gesamte Ansatz des "Dass ich denke, stellt die einzige Konstante dar, die nicht mit meiner Körperlichkeit verbunden ist, ergo beweist mein Denken meine Existenz." von selbst.

Und Buddhisten stoppen nicht Gedanken, sondern Wünsche. Dementsprechend schließt das Eine das Andere nicht aus. Dem Buddhismus als Religion geht es um ein Ansinnen - nämlich den inneren Frieden, während die Philosophie Antworten auf gegebene Fragen sucht.
Zu sagen "Cogito ergo sum", heißt noch lange nicht, davon auszugehen, dass wir denken müssen um zu sein.

Erst mal lesen.


oxBellaox  01.02.2017, 12:03

Da wir heute wissen, dass unsere Gedanken exactamente aus einem Organ kommen

... das bezweifle sicher nicht nur ich

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Schattentochter  03.02.2017, 13:51
@oxBellaox

Die Hirnforschung ist lange schon weit genug, um DAS zu wissen. 

Das Schöne an Fakten ist, dass es egal ist, ob sie jemand glaubt - sie werden dadurch nicht weniger wahr.

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Wenn Du Dich über Descartes informierst und über die Philosophie des Buddha, wirst Du feststellen, dass beide Philosophien und die Aussagen darin zu völlig anderen Welteinstellungen gehören. Descartes sucht am Ende der Scholastik noch nach einer Gewissheit, von der Buddha bereits Jahrhunderte vorher gesagt hat, dass es sie für uns Menschen nicht gibt, nicht geben kann. Darin ist Buddha dem zu Descartes Zeiten verleumdeten und verfolgten antiken Philosophen Epikur näher als Descartes, der erste Gehversuche macht, sich aus der kirchlich geprägten idealistischen Weltsicht zu lösen.


Enzylexikon  01.02.2017, 13:50

Descartes sucht am Ende der Scholastik noch nach einer Gewissheit, von der Buddha bereits Jahrhunderte vorher gesagt hat, dass es sie für uns Menschen nicht gibt, nicht geben kann.

Toll summiert, vielen Dank. :-)

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Die Sprüche schließen sich nicht aus. 

Descartes Spruch ist eine Feststellung, während der der Buddhisten eher ein Ziel definiert. Ich verstehe Descartes Spruch nicht als "Du sollst viel denken.", aber den Spruch der Buddhisten als "Versuch loszulassen!".

Descartes Spruch ist eine Implikation. Sie lässt sich nicht einfach umkehren: "Ich bin, also denke ich." oder "Ich denke nicht, also bin ich nicht!", wobei das dann schon mit dem "Ich" gar nicht semantisch mehr funktionieren würde. Damit meine ich, dass um den Gedanken zu fassen, man schon nicht ums Denken herum kommt. Wer könnte schon behaupten "Ich denke nicht"? Ein Computer vielleicht, aber nur, weil jemand für den Computer gedacht hat.
Es gibt viele Dinge, die nicht denken und trotzdem sind, z. B. die Tastatur, auf der ich schreibe.

Hallo,

beides sind unterschiedliche Ansichten.

Wenn ich mich recht erinnere, setzt Descartes die Existenz einer Seele voraus. So kann er seinen Ansichten zufolge auch ohne Körper noch sein.

Buddhisten glauben nicht an eine Seele und auch nicht an ein unabhängiges Sein. Für sie sind Leben und Tod zwei Aspekte derselben Sache, und je nach Schule können sie nahtlos ineinander übergehen - das Leben kann in den Tod übergehen, aber auch umgekehrt kann der Tod wieder in Leben übergehen.

Um zu sehen, wer von beiden recht hat, müsste man herausfinden, ob es eine Seele gibt oder nicht. Bis dahin ist das eine Glaubensfrage.