Welche Rolle spielt der Blinddarm in der Verdauung des Rindes?

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Pflanzenfresser können pflanzliche Gerüstsubstanzen (Cellulose, Hemicellulose usw.) nicht selbst verdauen, weil sie nicht über die dafür notwendigen Enzyme (Cellulasen) verfügen. Sie sind daher bei der Verdauung dieser Stoffe auf die Hilfe von Mikroorganismen angewiesen, die sie in ihrem Verdauungstrakt beherbergen. Durch Gärung (anaerober Stoffwechsel) bauen sie die pflanzliche Gerüstsubstanz ab (Fermentation) und stellen aus ihnen kurzkettige Fettsäuren (SCFA) wie Acetat, Propionat und Butyrat her. Die SCFAs werden von den Pflanzenfressern resorbiert und können zur Energiegewinnung verstoffwechselt werden. Die Mikroorganismen sind in Abschnitten des Verdauungstrakts untergebracht, die zu riesigen Gärkammern umgebildet sind. Dabei können drei Grundtypen unterschieden werden:

  1. Vormagenfermentierer
  2. Blinddarmfermentierer
  3. Colonfermentierer

Außerdem nehmen die Pflanzenfresser auch mikrobielle Proteine auf, indem sie einen Teil der Mikroorganismen selbst verdauen. Die Aufnahme der mikrobiellen Proteine findet, wie die Proteinaufnahme allgemein, im Dünndarm statt.

Bei den Vormagenfermentierern findet der mikrobielle Abbau der pflanzlichen Gerüstsubstanz in Vormägen statt, die dem eigentlichen Drüsenmagen und dem Dünndarm vorgeschaltet sind. Vormagenverdauung hat sich bei verschiedenen Säugetiergruppen mehrfach voneinander unabhängig entwickelt, z. B. bei Beuteltieren (Känguruhs), Primaten (Stummelaffen), Kamelen und Flusspferden. Auch ubter den Vögeln gibt es einen Vertreter von Vormagenfermentierern, den Hoatzin. Bei ihm findet die Fermentation im Kropf statt. Am bekanntesten ist aber das Vormagensystem der Wiederkäuer (Ruminantia), zu denen die Hirschferkel (Tragulidae), der Gabelbock (Antilocapra americana), Giraffen (Giraffidae), Hirsche (Cervidae) und die Hornträger oder Rinderartigen (Bovidae) gehören und somit auch das Rind.

Das Vormagensystem der Wiederkäuer besteht aus drei Abschnitten (Vormägen): dem Netzmagen (Reticulum), dem Pansen (Rumen) und dem Blättermagen (Omasum, Psalter), die dem eigentlichen Magen (Labmagen oder Abomasum) vorgeschaltet sind. Die Aufnahme der SCFAs findet bei den Ruminantia v. a. über die Pansenschleimhaut statt. Beim Rind umfasst der Pansen etwa 80 % des gesamten Magenvolumens, das sind rund 60 bis 100 L!

Andere Säugetiere fermentieren Cellulose und Co. im Dickdarm, also in einem Abschnitt, der dem Dünndarm nachfolgt. Dabei können zwei Typen unterschieden werden. Zum einen kann die Fermentation im Grimmdarm (Colon) stattfinden. Die Fermentation im Colon ist im Vergleich zur Vormagenverdauung nicht so effizient. Das liegt zum einen daran, dass die Verweildauer des Futters recht kurz ist - etwa 50 % der Nahrung wird unverdaut wieder ausgeschieden. Ein anderer Nachteil der Colonfermentation ist, dass das mikrobielle Protein nicht genutzt werden kann, da ja die Proteinaufnahme bereits vorher im Dünndarm erfolgt. Da der Energiebedarf in Relation zur Körpergröße sinkt, können sich diesen Verlust nur große Pflanzenfresser leisten, daher sind nur große Pflanzenfresser wie Pferde, Nashörner oder Elefanten Colonfermentierer. Bei kleineren Dickdarmfermentierern findet die Gärung im Blinddarm (Caecum) statt. Dort wird aus dem verdauten Nahrungsbrei der sog. Blinddarmkot (Caecotrophe) hergestellt. Dieser wird ausgeschieden und anschließend wieder gefressen, sodass die Inhaltsstoffe noch einmal durch den Dünndarm gelangen und somit das mikrobielle Protein aufgenommen werden kann. Zu den Caecimfermentierern gehören u. a. Nager wie Meerschweinchen und Kaninchen. Unter allen Säugern den größten Blinddarm in Relation zur Körpergröße hat der Koala (Phascolarctos cinereus).

Der Blinddarm ist bei den Wiederkäuern relativ klein und spielt daher nur eine untergeordnete Rolle. Die hauptsächliche Fermentation findet bei ihnen im Vormagen statt. Sie ist durch das Wiederkäuen (Regurgitation) besonders effizient, weil die Nahrungspartikel besonders fein zerkleinert werden und weil die Verweildauer der Nahrung im Vormagensystem sehr lang ist; die Mikroorganismen haben also "lange Zeit" für ihre Arbeit. Insbesondere bei Nahrung hoher Qualität ist die Vormagenverdauung der Dickdarmfermentation überlegen.

Die Vormagenverdauung hat aber auch einige Nachteile. So ist beispielsweise die Verdauung einfach zu verdauender Nahrungsbestandteile (z. B. Einfachzucker) weniger effizient, weil ein Teil dieser Nahrungsbestandteile durch die Mikroorganismen im Vormagen gefressen wird. Im Dünndarm kommt von diesen einfach zu verdauenden Substanzen daher weniger an. Bei den Dickdarmfermentierern findet die Aufnahme dieser Nahrungsbestandteile schon statt, bevor diese bei den Mikroorganismen im Dickdarm ankommen. Auch ist die Dickdarmverdauung dann von Vorteil, wenn die Nahrung eine schlechte Qualität hat (viel Rohfaser enthält). Das liegt daran, dass Vormagenverdauer aufgrund der langen Rückhaltedauer der Nahrung in der Aufnahme der Gesamtnahrungsmenge stark limitiert sind - solange der Pansen voll ist, kann keine weitere Nahrung mehr aufgenommen werden. Bei Dickdarmfermentierern ist die Verweildauer nur kurz; daher können Dickdarmfermentierer kontinuierlich sehr große Nahrungsmengen aufnehmen und durch diese große Menge an aufgenommener Nahrung unterm Strich trotz der ineffizienteren Aufschlüsselung mehr Energie aufnehmen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Laurie744 
Beitragsersteller
 13.01.2023, 19:16

Vielen herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort. Würdest du zustimmen, dass man zusammenfassend sagen kann, dass die Verdauung im Blinddarm zwar weniger bedeutsam ist als im Pansen aber dennoch eine entscheidende Rolle in der Verdauung des Rindes spielt? Ist es denn korrekt, dass alle Nahrung durch den Blinddarm muss, da es die einzige Verbindung zwischen Dünn- und Dickdarm ist?

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Darwinist  14.01.2023, 11:08
@Laurie744
Würdest du zustimmen, dass man zusammenfassend sagen kann, dass die Verdauung im Blinddarm zwar weniger bedeutsam ist als im Pansen aber dennoch eine entscheidende Rolle in der Verdauung des Rindes spielt?

Nein. Die Verdauung im Blinddarm ist bei Wdk aus den oben genannten Gründen eher unbedeutend. Vermutlich könnte ein Rind auch ohne Blinddarm überleben, ein Kaninchen jedoch nicht.

Ist es denn korrekt, dass alle Nahrung durch den Blinddarm muss, da es die einzige Verbindung zwischen Dünn- und Dickdarm ist?

Der Blinddarm ist ein Abschnitt des Dickdarms. Bei den meisten Säugern mündet der Dünndarm genau am Übergang von Caecum und Colon in den Dickdarm, also nicht nur ins Caecum. Ausnahme ist der Hund; hier mündet der Dünndarm ausschließlich ins Colon.

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Der Blinddarm, auch Cecum genannt, ist ein Teil des Dünndarms und hat in der Verdauung des Rindes tatsächlich eine wichtige Rolle. Er dient als wichtige Gärkammer, in der Mikroorganismen und Enzyme die verbleibende Verdaulichkeit der Nahrung erhöhen. Der Blinddarm ist der erste Teil des Dickdarms und bildet eine Art "Anhängsel" an den Dünndarm. Nahrung, die aus dem Dünndarm kommt, gelangt in den Blinddarm und wird dort von Mikroorganismen und Enzymen weiter verdaut, bevor sie in den Rest des Dickdarms gelangt, wo die endgültige Resorption der Nährstoffe stattfindet.


Laurie744 
Beitragsersteller
 11.01.2023, 10:25

Vielen Dank, ich habe noch eine etwas laienhafte Rückfrage: Wird wirklich alle Nahrung durch den Blinddarm transportiert oder gibt es auch eine Direktverbindung zwischen Dünn- und Dickdarm?

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MrGuru190  11.01.2023, 10:32
@Laurie744

Beim Rind und auch bei anderen Wiederkäuern, besteht eine direkte Verbindung zwischen dem Dünndarm und dem Dickdarm. Der Blinddarm wird hier als sogenannte Pansen bezeichnet und hat eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung der Nahrung. Er dient als Gärkammer in der Mikroorganismen die in der Pansen leben, die Nahrung verdauen und Nährstoffe freisetzen die dann im Dickdarm aufgenommen werden können. Der Blinddarm dient also als wichtige Stufe in der Verdauung von Rindern und anderen Wiederkäuern.

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Darwinist  11.01.2023, 11:48
@MrGuru190
Der Blinddarm wird hier als sogenannte Pansen bezeichnet und hat eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung der Nahrung.

NEIN. Der Pansen ist nicht der Blinddarm!

Der Pansen ist einer der drei Vormägen (die beiden anderen sind der Netzmagen, mit dem der Pansen eine funktionelle Einheit bildet, und der Blättermagen) und befindet sich vor dem eigentlichen Magen (bei den Wdk. als Labmagen bezeichnet). Nach ihrer Histologie und ihrer Ontogenese sind die Vormägen auch keine echten Mägen, sondern besonders modifizierte Teile der Speiseröhre. Der Blinddarm (Caecum) ist hingegen ein Teil des Dickdarms und kommt somit hinter dem Labmagen.

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